06.04.2017, 13:45
Ein grimmiges Lächeln bildete sich auf Samuels Gesicht, als der Leutnant davon sprach, Lowell leiden zu lassen. Der Gefangene war sich zwar bewusst, dass es dazu wahrscheinlich nicht kommen würde, doch die Aussicht auf die Chance, dass der Lakaie seines Vaters für seine Taten bezahlen musste - wie verschwindend gering sie auch sein mochte - erhellte sein sonst so schweres Gemüt zumindest ein wenig. Gern wäre er selbst derjenige gewesen, der dem Gefängnisaufseher seine gerechte Strafe beibrachte, doch in seiner Situation war er deshalb umso dankbarer dafür, dass ein anderer dazu bereit war, dieses Privileg zu übernehmen.
De Guzmán schien jedoch ebenso wenig wie er davon überzeugt zu sein, dass es zu dem gewünschten Duell kommen würde. Seine Worte zumindest drückten starke Zweifel daran aus. Im Gegensatz zu ihm selbst würde dem Leutnant dadurch jedoch nicht nur seine gewünschte Rache durch die Lappen gehen, denn der Dunkelhäutige hatte deutlich mehr zu verlieren als er selbst - seinen Posten, seine Karriere, vielleicht sogar sein Leben, das eigentlich noch nicht dem Tode geweiht sein sollte. All das war abhängig davon, wie Lowell auf die Provokation des Leutnants reagieren würde und dem De Guzmán mit einem Duell unter Umständen einen Riegel vorschieben konnte. Erneut wurde dem Gefangenen klar, was der Dunkelhäutige durch sein Verhalten an Deck riskiert hatte. Und umso mehr überraschte es ihn, dass er jetzt hier unten stand, mit ihm redete und ihn als Gleichwertigen behandelte - etwas, das seit Jahren niemand mehr getan hatte.
Noch unvorbereiteter traf ihn deshalb auch das Angebot, das der Leutnant nach kurzem Zögern aussprach. Der unvermittelte Vorschlag, seiner Tochter eine Nachricht von ihm zukommen zu lassen, trieb ihm die Tränen in die Augen - eine Reaktion, gegen die er sich vergeblich sträubte. Seit seiner Gefangennahme hatte er kein Wort mehr mit ihr gewechselt, sie nie mehr gesehen, denn Besuch war ihm in der Zelle auf Netara konsequent verwehrt worden. Er wusste nicht einmal, ob Kiara ebenfalls glaubte, dass er ihre Mutter ermordet hatte und die Ungewissheit darüber - oder vielmehr die Befürchtung, dass es sich so verhielt - hätte sein Herz gebrochen, wenn dies nicht schon längst geschehen wäre. Die Aussicht darauf, sich ihr erklären und ihr ein letztes Mal sagen zu können, wie sehr er sie liebte, bedeutete ihm in diesem Moment, Tage oder vielleicht Wochen vor seinem sicheren Tod, alles.
"Wenn Sie das tun würden, wäre ich Ihnen auf ewig dankbar", flüsterte er mit brüchiger Stimme und musste schlucken. Nicht, dass diese Worte in Anbetracht seiner geringen Lebenserwartung sonderlich viel bedeutet hätten, aber dennoch hatte er selten etwas so ernst gemeint. "Ich weiß nicht, womit ich die Ehre Ihrer Bekanntschaft verdient habe, aber das Wissen darum, dass es auf dieser Welt zumindest einen Mann gibt, der an meine Unschuld glaubt und das Geschenk, meiner Tochter ein paar letzte Worte mitteilen zu können, werden meinen Tod erträglicher machen."
Weil Samuel nach diesen Worten noch nicht das Gefühl hatte, seiner Dankbarkeit in ausreichendem Maße Ausdruck verliehen zu haben, blickte er sich verstohlen um, um sicherzugehen, dass sie nicht beobachtet wurden, und verneigte sich dann kurz entschlossen vor De Guzmán.