04.03.2017, 20:13
Samuel musste sich bemühen, nicht schuldbewusst zusammenzuzucken, als einer der Soldaten, von dem Wutausbruch des Leutnants aufmerksam geworden, das Wort an eben jenen richtete. De Guzmán hingegen reagierte mehr als souverän und verfiel sofort in die Rolle des sadistischen Offiziers, der Gefallen daran gefunden hatte, seinen Gefangenen das Leben zur Hölle zu machen. Es war dementsprechend kein Wunder, dass der Soldat sofort eifrig nickte und seine Zustimmung bekundete. Erleichtert erlaubte Samuel es sich, leise durchzuatmen. Eigentlich konnte es ihm egal sein - eine vertrauliche Konversation mit einem Gefangenen würde sich wahrscheinlich negativer auf die Stellung des Leutnants auswirken als auf seine eigene Gesundheit -, aber die Tatsache, dass der Dunkelhäutige seit Jahren der erste zu sein schien, der seiner Version der Geschichte zumindest teilweise Glauben schenkte, förderte die Empathie zutage, die ihm ureigen war und die er in seiner Zeit im Gefängnis effektiv zu unterdrücken verstanden hatte.
So jedoch tat er sein Bestes, um die Aussage des Leutnants zu unterstützen. Er hielt seinen Blick fest auf De Guzmán gerichtet und funkelte ihn hasserfüllt an, richtete seine Augen nur einmal kurz auf den Soldaten, als dieser ihn ebenfalls anblickte und grinste leicht, einen mordlustigen Ausdruck auf dem Gesicht. Die nicht zu übersehenden heftigen Bewegungen des Kehlkopfes des armen Mannes machten mehr als deutlich, dass auch er von den Geschichten über den grausamen Gefangenen gehört hatte und am liebsten rein gar nichts mit ihm zu tun haben wollte. Für einige Momente entstand Stille, in der der Soldat wohl mit sich haderte, ob er der Szenerie noch länger beiwohnen sollte, doch schließlich drehte er sich langsam um und entfernte sich. Der Leutnant wartete noch einen Moment, um sicherzustellen, dass Jones sie nicht belauschen oder ein etwaiges verdächtiges Verhalten beobachten konnte und wandte sich dann wieder Samuel zu.
Die Geschichte, die er erzählte, entlockte ihm zunächst ein Lachen, das er - um keinen Lärm zu verursachen - so sehr unterdrücken musste, dass daraus eher die Mischung aus einem Schnauben und einem Keuchen wurde.
"Das klingt nach Lowell, wie er leibt und lebt", meinte er bitter und schüttelte den Kopf. "Ich habe selten jemanden gesehen, der so sehr von sich selbst überzeugt war und dabei so wenig Grund dazu hatte."
Dann runzelte er die Stirn und dachte über die Worte des Dunkelhäutigen nach. Es war durchaus richtig, dass Lowell mit seinem Verhalten an Bord einen Fehler begangen hatte. Auch De Guzmán hatte sich zwar nicht einwandfrei verhalten, da er jedoch in diesem Moment auf der Morgenwind das Sagen gehabt hatte, würde das keine allzu große Gewichtung haben. Theoretisch zumindest. Denn auch wenn der Leutnant dadurch das Recht hatte, ein Duell mit dem Gefängnisaufseher einzufordern, war Samuel sich nur allzu bewusst, dass es dazu wahrscheinlich niemals kommen würde.
"Es wäre wirklich höchst erfreulich, wenn Sie ihn ein wenig mit Ihrem Degen kitzeln könnten", begann er und das leise Schmunzeln auf seinen Lippen zeigte eindeutig, wie sehr ihm der Gedanke gefiel. "Doch ich vermute, dass es niemals zu diesem Duell kommen wird, wenn Sie es nicht vor unserer Abfahrt erzwingen können. Was Sie über Lowell zu sagen haben, klingt beunruhigend. Wenn er seinen Einfluss tatsächlich ausgeweitet hat, werden er und mein Vater dafür sorgen, dass Ihr Anspruch weniger wert ist als..." - übertrieben zuckte er mit den Schultern und verzog ironisch das Gesicht - "... mein Leben in diesem Augenblick."
Bei diesen Worten wollte er es jedoch nicht belassen. Vielleicht hatte ja auch der Leutnant entsprechende Kontakte und eine Möglichkeit, sein Recht einzufordern. Deshalb suchte er nun offen den Blick des Dunkelhäutigen, und diesmal lag keine Ironie in seiner Stimme, sondern aufrichtige Sympathie mit einem Mann, der seinen Hass nachvollziehen konnte und seinen Worten Glauben geschenkt hatte.
"Wenn es Ihnen dennoch gelingen sollte... denken Sie an mich, wenn Sie ihm den entscheidenden Streich verpassen. Und lassen sie ihn büßen für alles, was er und mein Vater Ihnen und mir angetan haben."