03.03.2017, 22:27
Sie musste ihm schweigend zustimmen. Ganz abgesehen davon, dass sie wohlmöglich die wenigen gepflegten Häftlinge an einer einzigen Hand abzählen konnte, gab es unter ihnen wohl kaum jene, die mit Gold in ihrem Gesicht herum liefen. Andernfalls säßen sie wohl kaum hinter den stählernen Stäben einer Gefängniszelle - ein jeder Goldzahn hätte ihre Strafe ohne Aufhebens von der Bildfläche verschwinden lassen. Dennoch glitt keine Regung über ihre Miene, kaum dass der Leutnant die Augen öffnete und nur wenig später eine Stimme aus dem Halbdunkel des Zellentrakts hervor trat.
Er spielt um Essen? Wäre sie nicht ebenso verdutzt, wie amüsiert, hätte sie wohl kaum das breite Grinsen überspielen können, das sich wie ein warmer Sommerregen in ihrem Magen breit machte. Sie kannte den Häftling mit den grünen Augen - was letztlich keiner Fügung des Schicksals zuzuschreiben war, sondern lediglich zu ihrer Position auf der Morgenwind gehörte. Als Sergeant HATTE sie die Gefangenen zu kennen, galt hier unten zwischen dem Gestank und Unrat als "Oberhaupt" der wandelnden Trunkenbolde und Vollidioten auf zwei Beinen. Auch wenn viele ihre Stellung nicht für voll nahmen und sich von ihrer - für einen Mann - minderen Statur blenden ließen. Es käme der Tag an dem sie aus dieser widerlichen Haut schlüpfen konnte. An dem sie kein Teil der Marine mehr sein musste, sondern zu jener Frau wurde, die sich nach Rache sehnte. Lieber das Blut ihrer Peiniger an den Fingern spürte, als das Heimchen am Herd zu miemen. Nicht selten hätte sie einem der Herrschaften schmerzlich zwischen die Beine gegriffen und ihnen zischelnd zu verstehen gegeben, dass ein solcher Abschaum wie sie es waren, lieber die Zunge zu hüten hatte. Doch Menschen wie Enrique ermahnten ihre innere Disziplin, bekämpften das zitternde Gefühl in ihren Muskeln, das sie als Kind oft hatte leichtsinnig werden lassen.
Mit skeptischem Blick glitt das warme Braun der Jägerin an den langen Fingern des Leutnants hinab, die für einen Sekundenbruchteil ihre Schulter umschlangen. Beherzt den Druck verstärkten, der sich auf ihren Körper senkte und verschwand, kaum dass Enrique an ihr vorbei geschritten war. Nie würde sie infrage stellen, dass er wusste WAS zum Henker er dort tat. Doch es verwunderte sie, dass er sich so unbedarft in diese Vorstellung hinein stürzte. Noch mehr, als der dichte Wimpernkranz hinauf huschte und den deutlichen Anblick des Gefangenen Scottsdale preisgab, der mehr als provokativ und ebenso lautlos seinen Blick zu ihnen hinüber wandte. Und Skadi musste kein Mann sein, um den Durst in diesen verbitterten Augenpaaren zu entdecken. Einen Durst, den sie nicht selten in den Zügen ihrer Brüder und ihres Vaters gesehen hatte. Mit diesem Gefangenen war sicherlich nicht zu spaßen und wenn sie den Berichten Glauben schenkte, die sie über ihn gelesen hatte, sollte auch ein Edelmann wie Enrique reichlich Vorsicht walten lassen. Vor allem wenn - wie ein weiter Zellegenosse berechtigt zu Protokoll gab - man ihnen die Fesseln lösen musste. Und ganz gleich wie entspannt sich diese Situation auf den ersten Blick anfühlen mochte, setzte sich ein bitterer Kloß in den unteren Zipfel ihrer Kehle fest.
Wollte sie gerade etwas auf Samuels Kommentar erwidern, näherten sich dumpfe Schritte zur ihrer Linken. Ließen den kurz geschorenen Kopf herum wirbeln, dessen Augenlider schlagartig hinab glitten und nur noch einen Hauch des samten Brauns hindurch blitzen ließen, das die zwei Ankömmlinge argwöhnisch musterte. Blond und hoch gewachsen, stattlich und doch absolut plump schlürfte der Erste über den Gang wie ein zu groß geratener Troll. Und seine offensichtlich zielstrebige Gangart ließ keinen Zweifel daran, dass er versuchte irgendetwas zu kompensieren. Ob es allerdings mehr in Richtung Unter- statt Oberstübchen ging, konnte sie in diesem schummrigen Licht kaum ausmachen. Stattdessen fixierte sie ihre Aufmerksamkeit auf den Kleineren, dessen Statur neben dem Riesen beinahe wirkte wie ihre eigene - schmächtig und kaum zu gebrauchen als Rammbock. Und während sich der deutlich Ältere zu Wort meldete und ziemlich dreist zu Protokoll gab, mit von der Partei zu sein, löste sich Skadi aus ihrer Haltung, setzte wenige Schritt voraus, bis sie auf selber Höhe zum Schönling stand. Musterte ihn nicht ein einziges mal aus dem Augenwinkel, weil sie nahezu fieberhaft das Gesicht des Jüngeren musterte. Ihn studierte. Und zu dem Entschluss kam, dass sie dessen Züge genauso wenig kannte, wie die seines Partners. Wer zum Henker waren die beiden Vögel? Ganz davon abgesehen, dass sie im Gegensatz zur restlichen Besatzung keinen Schimmer zu haben schienen wer sie und Enrique waren oder einfach nur dumm genug, sich auf diese unhöfliche Weise über ihren Rang hinweg zu setzen.
"Ach, so ist das?", kam es mit einem tiefen Schnarren aus der geweiteten Lunge des Sergeants, dessen dunkle Bernsteine schlagartig bei den letzten Worten des Fremde zur Seite zuckten und einen eisigen Ausdruck auf die Züge legte. "Und wer gab euch den Auftrag dazu?" Als würde sie jemals einen Gefangenen einer Horde von Dumpfbacken überlassen - auch wenn letzten Endes Enrique die Entscheidung zustand, teilte er schließlich als Ranghöherer mit ihr die Nachtwache. Doch wer glaubte, dass sie sich von Uniformen und Gehabe beeindrucken ließ, hatte kaum diesen abschätzigen Blick gesehen, den sie Aspen zuwarf. Oh ja. Sie traute ihm keine Haaresbreite über den Weg.
[Zellentrakt | direkt neben Aspen und vor Liam, in der Nähe von Enrique | vor der Yaris/Lucien/Samuel-Zelle]