19.02.2017, 16:20
Nach seinem eigenen Gefühlsausbruch hatte Samuel nicht damit gerechnet, etwas ähnliches bei dem Leutnant beobachten zu können. Insbesondere konnte er ihn sich nicht recht erklären. Er hatte ihm zwar einen Konflikt mit Lowell in Aussicht gestellt, die Möglichkeit dessen aber auch direkt wieder für unwahrscheinlich erklärt. Das konnte nur bedeuten, dass De Guzmán deutlich mehr Informationen besaß als er, was angesichts seiner Situation der letzten Jahre nicht sonderlich überraschend war. Der Leutnant hatte schon einmal im Verlaufe ihres Gesprächs Andeutungen in die Richtung gemacht, dass Lowell ein ernstzunehmender Gegner sein könnte, was in Samuels Ohren merkwürdig klang. Kennengelernt hatte er ihn schließlich als hoffnungslos untalentierten Speichellecker, dessen Unterwürfigkeit sein Vater gnadenlos ausgenutzt, der jedoch niemals selbst auch nur ein Fünkchen Macht besessen hatte. Daran konnte sich in den Jahren seiner Gefangenschaft etwas geändert haben, doch der Bärtige konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie das hätte passieren sollen.
Andererseits passte Lowells Verhalten dazu. Er war mit einer zwar unauthentischen, aber nichtsdestotrotz selbstverständlichen Autorität an Bord der Morgenwind aufgetreten, die nicht zu dem Mann passte, der er früher gewesen war. Samuel hatte das auf seine lächerliche Arroganz geschoben, aber vielleicht gab es tatsächlich andere und zweifelsohne bedenklichere Gründe. Gleichzeitig hieß das, dass die Drohungen des Gefängnisaufsehers doch mehr Substanz haben konnten als gedacht, denn auch wenn Samuel den potentiellen Tod - oder was auch immer dieser Hurensohn vorhatte - seiner verbliebenen Familie nicht mehr erleben würde, war es durchaus möglich, dass Lowell etwaige Pläne rein zur persönlichen Befriedigung in die Tat umsetzen könnte.
Nachdenklich beobachtete Samuel sein Gegenüber. Wenn seine Theorie zutraf, brauchte er weitere Informationen - und einen Verbündeten. Er selbst war nicht mehr in der Lage, seine Familie zu schützen, doch De Guzmán schien ebenfalls ernste Probleme mit Lowell zu haben, die eindeutig nicht erst durch ihr kurzes Intermezzo vor einigen Stunden entstanden waren. Es lag dementsprechend sicherlich auch in seinem persönlichen Interesse, den Tätigkeiten des Gefängnisaufsehers einen Riegel vorzuschieben - und vielleicht konnte er damit gleichzeitig dafür sorgen, dass seiner Tochter nichts passieren würde.
"Sie und Lowell scheinen eine Vorgeschichte zu haben. Würden Sie mir erzählen, was zwischen Ihnen vorgefallen ist?", fragte er, während ihm auffiel, dass De Guzmán sich nicht zu seiner Geschichte geäußert und damit auch nicht hatte verlauten lassen, ob er es in Erwägung zog, sie zu glauben. Die Antwort auf diese Frage musste jedoch zunächst einmal warten.