04.02.2017, 19:17
Bestürzung mischte sich in die Frustration und die Wut des Leutnant. Mit solch einer Heftigkeit hatte er wirklich nicht gerechnet. Aber damit traf auch ihn eine Erkenntnis:
Der Bärtige hatte es nicht gewusst. Er konnte es nicht gewusst haben. Und jetzt hatte ihm irgendetwas klar gemacht, dass es nicht anders sein konnte.
Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass wäre er gewesen. Selbst jetzt blieb der Verurteilte stumm, kämpfte im Inneren mit seinem Zorn und seiner Verzweiflung.
Enrique selbst hätte sich nicht zurückhalten können, hätte geschrien, getobt, hysterisch gelacht oder wäre zusammengebrochen, da war er sich sicher. Wieder verstrich eine kleine Weile. Wieder machte sich die Stille des Schiffes breit. Äußerlich war der Dunkelhäutige ruhig, im Inneren aber spürte er, wie sich etwas in seiner Brust verdichtete, ein dunkles, zerstörerisches Gefühl ausbreitete und versuchte sich dagegen zu stemmen.
Sein Gegenüber hob schließlich den Kopf und sah ihn an, in beider Augenpaare stand der Hass auf einen gemeinsamen Feind. Samuels Worte überraschten ihn erneut. Nach dessen letzten Reaktion hatte er mit einer knappen Antwort gerechnet, nicht damit dass er sich so entblößen würde aber er tat es. Und stellte die Selbstbeherrschung des Leutnants vor eine harte Prüfung, kannte er vieles doch nur zu genau. Wie oft hatte man ihn betrogen und belogen, wie oft war der andere damit durchgekommen, hatte sich über ihn lustig gemacht oder ihn so behandelt, weil er sich für etwas besseres hielt? Viel zu oft hatte er das erdulden müssen und nicht zurückgeschlagen. Und Heute wieder! Mit jeder Frage wurde das Gefühl mehr, mit jeder Antwort füllte es ihn mehr aus, stieg höher und drohte ihn zu übermannen. Und dennoch wollte er nicht nachgeben. Jetzt nicht! Ich darf die Kontrolle jetzt nicht verlieren! Entschlossen hielt er sich die Erinnerung an seine Schwester fest vor die geistigen Augen.
Dann bestätige sein Gesprächspartner seine Erkenntnis, aber eine leere Drohung? Lowell war, sofern sich der Leutnant nicht sehr irrte, niemand, der eine Niederlage einfach so vergaß. Schon gar nicht, wenn er, für dieses Eingeständnis vor Zeugen, einen auf den Deckel bekommen würde. Und wenn Zaedyn das vorher nicht gewusst hatte, dann wäre der oberste Richter sicher nicht damit einverstanden, dass es Zeugen gab.
Falls Lowell also nicht über den Vorfall schwieg würde der Richter davon hören und der würde sich bestimmt dafür interessieren, wer etwas darüber wissen könnte.
Ja, auf ihn würde der Beamte sich einschießen.
Gaskel? Enrique war sich nicht einmal sicher, ob Gregory ihn überhaupt mitbekommen hatte aber selbst wenn, der war manipulierbar, würde sich entschuldigen und damit vom Haken springen.
Der Rest war unwichtig.
Weit schlimmer wog aber die Tatsache, dass die Morgenwind Netara zeitig verlassen würde. Damit würde dieser dreckige Bastard warten müssen. Und Geduld war definitiv keine von Lowells Tugenden. Was hieß, er würde sich das nächstbeste Ziel suchen und wenn er niemand Anderen fand, dann konnte das durchaus die Tochter des Bärtigen sein. Obendrein hatte seine Macht in den letzten Jahren zugenommen. Ob sie weit genug reichte wusste der Leutnant nicht zu sagen aber der Gefängnisvorsteher würde sich wahrscheinlich sehr anstrengen um seine Herrsch- und Zerstörungswut zu befriedigen.
"Verdammt!" Wham! Im Gegensatz zu Samuel konnte Enrique den kurzen Wutausbruch nicht verhindern. Seine flache Hand schlug hart gegen die Gitterstäbe. "Ich hätte ihn vordern sollen. Ich hatte einen Grund, verdammt noch mal!" Dann hielt er sich krampfhaft an den Stangen fest und kämpfte mit zusammengepressten Liedern mit seinem Zorn. Sollte er bis jetzt noch niemanden geweckt haben würde er das sicherlich tun, ließe er seinen Gefühlen freien Lauf...