30.01.2017, 12:39
Sein Gegenüber überlegte und auch die Antwort kam etwas zögerlich. Der Leutnant mußte schmunzeln. Dieser Mann misstraute ihm und würde nicht so ohne weiteres persönliches preisgeben, nicht wenn es so nah an den Kern seines Selbst ging.
Trotzdem ging Enrique nicht davon aus, dass der Bärtige ihn in diesem Punkt belog. Viel wahrscheinlicher war, dass es da mehr gab und dass alles zu erklären ihn in vielen Punkten bloßstellen würde, dass er nicht mutmaßen wollte, dass einiges davon sogar gegen ihn verwendet werden könnte oder er widersinniger Weise immer noch etwas für seinen Vater empfand. Bei den Ahnen, wenn Zaedyn nicht schon verurteilt wäre, hätte er genug erfahren, um seinen Feinden Ansatzpunkte dafür zu geben ihm einen Strick zu drehen.
Und die Zurückhaltung bestärkte vieles. Samuel drängte ihm diese Geschichte nicht auf, war nicht darum bemüht, sie lückenlos und glaubhaft zu erzählen oder ihn zu blenden. Er versuchte auch nicht ihn einzuschüchtern, abzulenken oder anzugreifen.
Gerade diese Verschlossenheit machte ihn in den Augen des 2. Leutnant glaubwürdig. Dem Verurteilten war seine persönliche Integrität immer noch wichtig, und dass jemand mit so einer Vergangenheit niemanden traute war zu erwarten.
Enrique ging zudem davon aus, dass er wesentlich mehr aus ihm herausgeholt hatte als Andere.
Eine Weile betrachtet er den Gefangenen mit neutraler Miene und ließ die Begründung in seinem Kopf herumgehen. Was Menschen nicht alles für Macht, Ansehen und Geld taten. Samuel wäre bass erstaunt gewesen, welche Erinnerungen in dem Offizier hochkamen. Lediglich ein Ansatz der damit verbundenen Emotionen zeigten sich: Wut, Enttäuschung und Resignation bildeten eine Mischung mit schalem Nachgeschmack. Nein, der Erste war er mit Sicherheit nicht. Aber im Gegensatz zu de Guzmáns Vater kam dieser Richter damit durch, erreichte sein Ziel und dieser Sadist in seinen Diensten wollte die Gelegenheit weiter ausnutzen.
Und wenn Enrique eine Möglichkeit hatte den Gefängnisaufseher daran zu hindern, dann würde er sie auch nutzen.
"Nein, vermutlich spielt es keine Rolle. Jedenfalls nicht für die Welt da draußen. Ich glaube aber, dass es für sie eine Rolle spielt. Und für mich. Davon hängt nämlich ab wie weit ich breit bin zu gehen." Die Verbitterung war nicht zu überhören und mischte sich jetzt mit Zorn: "Mister Zaedyn, was glauben sie? Wird Lowell, jetzt da sie nicht mehr in Reichweite sind, diese Angelegenheit so ohne weiteres ad acta legen? Falls nicht, welches neue Ziel würde er sich suchen? Und was hat er damit gemeint, dass er ihrer Tochter möglicherweise Grüße ausrichten wolle?"