22.01.2017, 19:22
Hart rauschten die Wellen gegen das dunkle Holz, zerbarsten in winzige Partikel und spritzten als milchige Gischt über den Rand der Reling hinweg, den Skadi auf ihrem Weg in Richtung Unterdeck nur aus den Augenwinkeln beobachtete. Seit langem waren Details wie diese nichts mehr, worauf sie achtete. Glitten an der verkleideten jungen Frau vorbei wie Luft. Es spielte keine Rolle mehr. Zum einen befanden sie sich schon seit Wochen auf hoher See - es glich einem Wunder, wenn ihre letzten gezählten Tage auf diesem Deck dazu bestimmt sein sollten, den ewig wehrenden Kampf zu verlieren, der vor Jahren begonnen hatte. Zum anderen waren sie Meilen entfernt von feindlichen Schiffen, die ihr und ihrem Vorhaben zum Verhängnis werden konnten. Kein flirrender Schatten am Horizont deutete auf Gefahr hin, kein plötzlicher Aufschrei aus dem Krähennest auf ein Piratenschiff. Ihr blieb alle Zeit dieser Welt in der kommenden oder darauffolgenden Nacht das zu vollbringen, worauf sie seit Jahren bereits hinarbeitete. Und es kribbelte bereits in ihren Fingerkuppen, wann immer sie am Kapitän vorbei schritt. Zu ihm aufblickte und sich diesen wulstigen, blassen Kopf auf einem Holzspieß vorstellte.
" Kaladar!" Mit katzenhaftem Blick wanderten die dunklen Augenpaare zur Seite, erblickten den Leib des Offiziers in eben jenem Moment, als ihre Zehenspitzen sich dazu entschlossen, energisch gegen die dunklen Planken zu schlagen. Sie wusste sehr genau, mit welcher Vorsicht sie sich auf Deck bewegen musste. Hatte trainiert auf einen Namen zu reagieren, der weder ihr eigener, noch der ihrer Familie war. Ergaunert von eben jenem jungen Kadetten, dessen Identität vor Jahren wie eine zweite Haut auf sie übergegangen war. Noch heute fragte sich die Nordskov, was aus dem Suffkopf geworden war, dessen Körper sie kopfüber in einem leeren Bierfass steckend zurück gelassen hatte. "Vergeude nicht deine Zeit, mach dich nützlich." Er hätte es nicht weniger herablassend ausdrücken können. Glich sein Blick bereits dem eines Scheiße schnüffelnden Schankwirts, machte die tiefe Tonlage und der kehlige Unterton allemal klar, dass Skadi binnen weniger Sekunden ihren Hintern unter Deck zu bewegen hatte. Zwar empfand die Tochter eines Jägers die rauen Sitten auf diesem Schiff als ungemein harmlos und belächelnd, doch musste sie dem Großmaul wohl kaum unter die Nase reiben, dass ihr das bissen "Popoklopfen" wohl kaum etwas ausmachen würde. Sie musste - ganz gleich wie enorm es jeder Faser ihres Körpers widerstrebte - diesem Offizier und allen anderen die Füße lecken. Kuschen, wenn sie den Mund aufmachten und jedes ihrer Worte für bare Münze nehmen.
Und somit verschwand sie mit einem einzigen Nicken ihres kurzgeschorenen Kopfes die rutschigen Treppenstufen hinab. Hörte das stetig lauter werdende Seemannslied, das irgendwo von den Gefängnissen zu ihnen hinauf schwappte und gleichsam obszön wie amüsant war. Wortlos fischten ihre Finger nach den Schüsseln voller Brei, die dampfend auf dem Holztisch der Kombüse standen und ignorierte gekonnt die zierliche Gestalt ihres Kollegen, der bereits ungeduldig auf sie wartete. Mit angesäuertem Gesicht musterte er die junge Frau und nuschelte abfällige Kommentare vor sich hin, die Skadi nur mit einem Zucken ihrer Fingerkuppen quittierte. Sollte er doch wettern und fluchen so viel er wollte. Wenn die Nacht der Nächte gekommen war, würde sie ihm eine Lektion erteilen, die ihm noch sein vorlautes Mundwerk austrieb. "Hast du es bald soweit?" Es lohnte sich nicht aufzublicken. Diese dünne Gottesanbeterin mit einem finsteren Blick zu strafen oder ihm gleich die abgenutzten Fingerknochen gegen die Visage zu brettern. Lediglich ein Seufzen verließ die angespannten Lungen der Jägerin, dessen Arme die zwei großen Schalen fest umklammerten. "Beeilen wir uns, bevor sie bei den obszöneren Strophen angekommen sind.", waren die einzigen Worte, die sie auf seine Ungeduld hin erwiderte. Sich an ihm provokativ vorbei drängte, um als Vorhut in Richtung Frachtraum zu verschwinden.
"Schüsseln raus!", brüllte die Stimme Skadis die letzten Stufen hinab, bevor das Licht des Kanonendecks in ihrem Rücken verschwand. Dem schummrigen, fast schon beängstigenden Zwielicht des Frachtraums Platz machte. Unangenehm stob der Gestank von Nässe und Urin in ihre Nase. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Ausgabe des abartigen Fraßes, der zwischen den Wänden der Schalen hin und her schwappte, nicht die einzige lästige Aufgabe dieses Tages bleiben würde.