11.01.2017, 23:10
Yaris stand so ganz und gar nicht darauf im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. Dazu liebte er die Schatten viel zu sehr. Von niemandem beachtet lebte es sich einfach besser. Und wer war schuld? Ein Taugenichts, der dem Ganzen auch noch eine Dramaturgie verpassen musste mit seiner Panik. Als würde eben dieser Attentäter ihn von seiner Zelle aus, mit auf den Rücken gefesselten Händen und blutig gepeitschtem Rücken auch nur ein Haar krümmen. Lächerlich. Einfach undurchführbar, selbst für einen Künstler des Tötens, wie Yaris es war. Wäre der Fakt der Gitterstäbe nicht, dann müsste der arme Mann einpacken. Einfach nur, um ihm zu zeigen, wie angebracht seine Panik war. Nicht gerade ein Notwendiger Tod, aber er konnte in diesem Fall eine ausnahmen machen.
Die grünen Augen blickten Starr gegen die Decke, um sein Desinteresse zu untermalen. An dem Fakt, dass seine Tätigkeit und der geheimnisvolle Attentäter nun ein hoch offizielles Abbild besaß, konnte er nichts ändern. Sollten die sich das Maul über ihn zerreißen, wenn es sie glücklich machte. Darin musste er diese Deppen nicht auch noch unterstützen, indem er Öl ins Feuer goss nur weil er sich dazu verlocken ließ, seine innig gepflegte stoische Ruhe abzulegen.
Wäre da nicht ein gewisser furchtloser Jungspund, der sich bei der Verteilung von Mut eindeutig ein paar Mal zu viel angestellt hatte, als gut für ihn war. „Geschichten. Ist das also alles, was hinter einem Mann wie dir steckt? Oder ihm? … Geschichten sagen nichts über einen Mann aus ... Aber gut, vielleicht hast du Recht. Und ich habe gerade nichts Besseres zu tun, also... Deine Geschichte kenne ich schon. Seine noch nicht … Will mir die nicht auch noch jemand erzählen? Du vielleicht?“
Sah Yaris etwa so aus, als würde er einfach so aus dem Nähkästchen plaudern? Oder gab er in irgendeiner Weise Anlass das zu glauben? Langsam sank sein dunkler Schopf wieder herab und ein gelangweilter Blick richtete sich auf den jungen Kerl. Ein weiteres schweigendes Blickduell kündigte sich an. Doch als dieser durchläuten ließ, woher er stammte, wurde Yaris hellhörig. Keine wirkliche Regung, das feine Muskelspiel einer Zuckung nur erkennbar, wenn man genau hinschaute und es als tatsächliche Reaktion auch deuten konnte.
Kelekuna. Yaris war nicht mehr dort gewesen, seit er nach dem Mord an seinem Vater geflohen war. Er vermisste diese Insel. Denn obwohl er so viele dunkle Erinnerungen daran hatte, war es doch seine Heimat und es war nicht alles schlecht gewesen.
Nur wenige Augenblicke waren verstrichen, kaum eine Chance, das Wort zu ergreifen, wenn Yaris es denn gewollt hätte. Das übernahm ein weiterer Gefangener. “Jeder kennt doch die Geschichten, die sich um den Attentäter ranken. Man sagt, er hätte Verbindungen bis in die höchsten Kreise des Adels und sogar bis ins Königshaus selbst.“, raunte er mit einer Spur Ehrfurcht, doch überwiegend Furcht. Furcht vor den Taten und davor, wie viele Menschen ihm in seiner Laufbahn wirklich zum Opfer gefallen waren. Yaris selbst hatte noch immer nur seinen jungen Zellengenossen im Blick. Doch mit einem Ohr folgte er tatsächlich dem Mann, der da berichtete. Wenn man die Wahrheit kennen würde, wie viele der sogenannten feinen Familien seine Dienste bereits in Anspruch genommen hatten, es würde eine alles verändernde Rebellion auslösen. Oh, er hatte unzählige Kunden aus allen Schichten der Gesellschaft. Doch die feinen Familien hatten mitunter die niedersten Beweggründe, jemanden aus dem Weg geräumt zu bekommen. Am Anfang hatte der damals Mitzwanzigjährige nicht fassen können, wie Machtgeil und hintertrieben diese Menschen sein konnten. Eine Zeitlang war die Ungläubigkeit Abscheu gewichen. Inzwischen jedoch hatte sich Pragmatismus eingestellt.
“Ja …Und … man hat ihn auch wegen eines blutigen Mordes vor vielen Jahren verurteilt.“, stimmte ein weiterer Gefangener ein. "Ich stamme aus Trithên, aber selbst wir hörten vom bestialischen Vatermord von Kelekuna … Auch wenn sie es nicht eindeutig beweisen konnten, haben sie den da dennoch für rangezogen …“ Der Mann zuckte mit den Schultern. “Die Marine kann das halt. Hauptsache ein Steckbrief weniger.“
Na das hatte ja flott die Runde gemacht. Gefangene waren doch wahrlich meisterliche Waschweiber. Yaris verdrehte die Augen und widmete sich wieder der Deckenmusterung. Aus dem untersten Augenwinkel behielt er den Mann ihm Gegenüber im Blick, um eine etwaige Reaktion vor allem auf die letzte Information zu erkennen. Doch mit keiner Faser ließ er nach Außen erkennen, ob etwas Wahres an diesen Aussagen war oder nicht. Sollten die glauben, was sie wollten. Nein, Geschichten machten keinen Mann aus. Sie Malten ein verfälschtes Bild. In einigen Fällen beschönigten sie Dinge, in anderen malten sie die schlimmsten Vermutungen. Die Wahrheit sah meist ganz anders. In Yaris‘ Fall noch viel viel schlimmer. Doch das würde er keinem je unter die Nase reiben, hier drinnen schon mal gar nicht.