15.12.2016, 15:53
Nun war es also soweit. Samuel würde die letzte Reise seines Lebens antreten. Es hatte länger gedauert als erwartet, bis endlich ein Schiff aus Esmacil geschickt worden war, um ihn aus dem Loch zu holen, in dem er mehr als zwei Jahre verbracht hatte - eingesperrt und verurteilt für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, und das von seinem eigenen Vater. Nun galt er als grausamer Mörder, der seiner eigenen Frau den Kopf abgeschlagen, ihre Leiche verstümmelt und dafür gesorgt hatte, dass ihre Tochter diesen grausamen Anblick ertragen musste. Selbstverständlich war die Todesstrafe für so ein Monster eigentlich eine Gnade, die es nicht verdient hatte.
Samuel selbst sah es ähnlich - der Tod war in der Tat eine Gnade, auf die er sich zwar nicht ausgesprochen freute, die er jedoch durchaus willkommen hieß, denn sie bedeutete Erlösung von den seelischen Qualen, die er seit dem Tod von Anthea durchlebt hatte. Wirkliche Lebensfreude besaß er seitdem nicht mehr, denn seine Tochter, den einzige Menschen, für den es sich noch gelohnt hätte, die Schrecken der Vergangenheit zu überwinden und - erneut - nach vorne zu blicken, würde er als verurteilter Verbrecher ohnehin nie mehr zu Gesicht bekommen, wenn er sie nicht in Gefahr bringen wollte. Aus diesem Grund war es ihm auch nie in den Sinn gekommen, einen verzweifelten Fluchtversuch zu starten oder vehement gegen das Urteil zu kämpfen, nachdem er festgestellt hatte, dass ein solches Unterfangen vergebens war. Sein Vater hätte es niemals zu einer Begnadigung kommen lassen, insbesondere dann nicht, wenn er an den Mord an Anthea verwickelt war, was Samuel stark annahm.
Der bärtige und bedauernswert ungepflegte Mann saß deshalb ruhig auf dem Beiboot, das ihn an Bord der Morgenwind bringen sollte, ließ sich anstandslos Fesseln anlegen und befolgte die stumme Anweisung der Mannschaft, das Schiff über die Strickleiter zu betreten. Er vertraute darauf, dass niemand zu grob mit ihm umspringen würde. Die Besatzung des Schiffes hatte zweifelsohne schon von seiner Gräueltat gehört und die Seefahrer würden ihm sicherlich liebend gern auf jede erdenkliche Art und Weise zu verstehen geben, wie angewidert sie davon waren, doch seine mittlerweile fast schon berüchtigte Grausamkeit sorgte zumindest dafür, dass die Wenigsten sich wirklich trauten, ihm zu nahe zu kommen, selbst wenn er offensichtlich wehrlos war. Auf diese Weise kletterte er mehr oder weniger unbehelligt auf das Deck des Schiffes, blickte sich kurz um und wartete auf weitere Anweisungen, die ihn wohl auf direktem Wege in die Brig schicken würden, wo er darauf warten konnte, auf Esmacil erneut in eine Zelle verlegt werden und dann, hoffentlich in absehbarer Zeit, seiner Strafe entgegenblicken würde.