05.12.2016, 12:23
Samuels Hoffnungen auf völliges Desinteresse des Neuankömmlings an seinen Mitgefangenen zerstreuten sich ebenso schnell, wie die Wachen die Zellentür hinter dem Braunhaarigen zugestoßen hatten. Es dauerte nicht lange, bis dieser damit begann, seine Umgebung zu mustern, wobei sein Blick bedauernswerterweise auch auf ihn fiel. Zu seinem Glück jedoch richtete der neue Gefangene seine Aufmerksamkeit nicht auf ihn, sondern auf den jungen Burschen, der ihn bisher als einziger der bemitleidenswerten Hunde in dieser gottverlassenen Zelle nicht auf seine Geschichte angesprochen oder ihm nervöse Blicke zugeworfen hatte, weil andere sie ihm erzahlt - und dabei sicherlich kräftig ausgeschmückt - hatten. Grundsätzlich war Samuel froh darüber, von einem Menschen weniger belästigt worden zu sein, doch das ganz und gar unbeeindruckte Verhalten des bemerkenswert entspannten Mannes beunruhigte ihn zeitgleich auch ein wenig. Schließlich baute seine gesamte momentane Existenz darauf auf, dass möglichst jeder um ihn herum zumindest so viel Respekt vor ihm - oder besser gesagt dem, was er zu sein vorgab - hatte, dass er ihn in Ruhe ließ und ihm keine Probleme bereitete. Bei besagtem jungen Mann war er sich dessen jedoch nicht ansatzweise sicher.
Auffällig an der aktuellen Situation war, dass sowohl der Neuankömmling als auch der junge Mann den Blick aufeinander gerichtet hatten, der Ausdruck auf ihren Gesichtern dabei jedoch gänzlich verschieden war. Während er sich mit dem Neuen zumindest in dieser Situation recht gut identifizieren konnte, weil das drohende Funkeln in dessen Augen ihm nur allzu bekannt war, zeigte der Jüngere von beiden unverhohlenes Interesse. Was genau der Grund dafür war, vermochte Samuel zwar nicht zu deuten, doch es lag eindeutig eine, wenn auch subtile, Spannung in der Luft, welche im Kontrast zu der äußerst eintönigen Atmosphäre der letzten Tage beinahe schon aufregend war. Und es war nicht nur er, dem die stille Konversation auffiel. Zu seiner Rechten hatten es sich zwei äußerst heruntergekommene, eher kleinwüchsige Männer im mittleren Alter bequem gemacht, die anscheinend wegen des Diebstahls einiger Ziegen verurteilt worden waren und sich durch einen beeindruckenden Mangel an Zähnen auszeichneten. Der eine von beiden - Eddy, wie er von seinem Kumpel genannt wurde, rempelte diesen soeben leicht an.
"Ey, Steve. Steve! Steve?", flüsterte er, ehe er merkte, dass sein bester Freund anscheinend eingeschlafen war und ihm seinen Ellenbogen diesmal etwas härter in die Seite rammte. "Steve! Was iss'n mit den beiden da los, he?"
Mit einem Grunzen, auf das jedes Hängebauchschwein neidisch gewesen wäre, erwachte Steve aus seinem Schlummer und schaute sich für einen kurzen Moment panisch um, ehe der ausgestreckte Finger seines Nachbarn seinen Augen den Weg zu der Szenerie wies, die Eddy so brennend zu begeistern schien.
"Was machn die'n da?", fragte der noch schlaftrunkene Steve nuschelnd, während sein Blick zwischen den beiden Beteiligten hin und her huschte.
"Keine Ahnung, Steve. HEY! Hey, ihr beiden! Nehmt euch'n Zimmer", rief Eddy unvermittelt und grinste dümmlich angesichts seines für seine Begriffe wohl formidablen Witzes.
Samuel schnaubte verärgert, denn er hätte es gern gesehen, wie der Neuankömmling und der Junge allein mit der Situation umgegangen wären - ob einer von beiden den Blickkontakt schließlich abgebrochen, sich ein Gespräch oder vielleicht sogar eine Handgreiflichkeit entwickelt hätte. Aus diesem Grund warf er Eddy einen finsteren Blick zu und entschied sich dazu, ihn zurechtzuweisen, in der Hoffnung, dass die beiden anderen die Störung ignorieren würden.
"Halt dein Maul", murmelte er einfach nur in die Richtung des Kleinkriminellen, der ihn daraufhin ängstlich anstarrte und näher zu Steve rückte, der darüber wiederum gar nicht glücklich erschien. Immerhin diese Vollidioten hatten Angst vor ihm, dachte Saumel mit einem Hauch Genugtuung und wandte sich wieder den beiden interessanteren Personen zu.