30.11.2016, 02:22
Trevor kniff die Augen zusammen und starrte hochkonzentriert auf das Papier vor ihm. Nicht, dass das was gebracht hätte. Es war stockduster in ihrer kleinen Ecke da hinter dem Lagerhaus und entsprechend sah auch sein Kunstwerk aus. Er hatte in wirklich bemerkenswerter Voraussicht einen Stift von Gregory mitgehen lassen – und sich unterwegs einen von Aspens Steckbriefen von einer der Tafeln gekrallt. Jetzt hielt er den Zettel an die Wand des Lagerhauses gedrückt und verpasste dem Bild-Aspen einen Vollbart. Im Wesentlichen bestand der aus wildem Gekruckel, das waren die Haare, und ein paar dicken Punkten mit sechs Strichen in alle Richtungen und zwei Glubschaugen, die Läuse darstellen sollten. Und das im Dunkeln gezeichnet. Trevor war verdammt stolz auf diese Details. Außerdem tat er damit gleich mehrere gute Dinge:
Erstens, er hielt die Klappe. Nur hin und wieder lachte er leise in sich hinein oder raschelte mit dem Papier. Das war eine der Hauptbedingungen für die Erlaubnis zu diesem Ausflug gewesen – der ohne Gregory ablief, wohlgemerkt, wobei Trevor selbst damit weniger ein Problem hatte.
Zweitens, er erschwerte es anderen, den Gesuchten zu erkennen. Wenn er das jetzt mit allen Plakaten in der ganzen Stadt machte, war Aspen sicher. Trevor wusste schon jetzt, dass der Plan nicht lange anhalten würde, das war ja viel zu anstrengend. Aber die Idee war klasse.
Und drittens, er schleimte sich damit bei Aspen ein. Nicht, dass er das nötig oder groß im Sinn gehabt hätte. Aber er fand es schon sehr nett von ihm selbst, dass er hinter die „688“ noch eine „1“ gequetscht hatte. Er hatte keine Ahnung, was das jetzt für eine Zahl war, aber er wusste, je mehr davon hintereinander standen, desto besser war es. Shanks Vandarté hatte fünf Zahlen, aber das fand Trevor doch etwas zu viel für Aspen.
Völlig versunken begann er mit den Koteletten, als neben ihm jemand aufbrüllte. Trevor zuckte zurück, der Stift klapperte zu Boden, als seine linke Hand den Knauf des Entermessers packte. Aber statt auf ihn zu, stolperte jemand von ihm weg: Reshef. Jetzt stand er mitten im Sichtfeld der Soldaten. Trevor unterdrückte gerade noch ein „Hey, was soll das!“. Er konnte es nicht fassen, dass es – endlich! – losging, und dann sagte ihm keiner Bescheid. Aufgeregt drängelte er sich nach vorn bis zu Shanny und wäre auch noch weitergerannt, hätte Reshef nicht in diesem Moment Reißaus genommen. Die Soldaten folgten dem Koch mit gezückten Degen – es war ein Ablenkungsmanöver. Der Anblick lies Trevors Herz hüpfen und einen Augenblick lang war er wirklich sauer, dass nicht er da rennen durfte. Aber dann nutzte Shanny die entstandene soldatenfreie Zeit, um auf den Eingang zuzumarschieren, und die Idee war viel besser.
Er rannte dem Mädchen zwei Schritte hinterher, wäre am liebsten gesprungen, hielt dann aber plötzlich so abrupt in der Bewegung inne, dass es ihn fast vornüber riss. Er fing sich geübt, wirbelte auf dem Absatz herum und kam grinsend noch einmal zurück.
„Hier“, flüsterte er lachend und reichte Aspen den zerknitterten Zettel mit dessen aufgehübschten Ebenbild, „dann bist du nicht so einsam!“
Und damit war es mit seiner kreativ genutzten Engelsgeduld endgültig vorbei. Shanny hatte nämlich schon ganz schön Vorsprung. Glücklich hechtete er ihr hinterher, ohne auf irgendetwas oder irgendjemandem zu achten. Sie stand mit dem Rücken neben der Tür und drückte sie vorsichtig auf. Als sie sich nach ihm umsah, warf Trevor ihr einen leuchtenden Blick zu, ignorierte ihr vorsichtiges Gehabe und riss die Tür komplett auf. Wie lange hatte er da draußen gehockt und dieses Ding angestarrt! Erst gestern bei dieser Spionaktion und jetzt auch noch heute Nacht.
Gedämpftes Licht fiel nach draußen. Seine Quelle lag irgendwo hinten in dem riesigen Raum. Die Schatten von Fässern und Kisten krochen über den Boden auf Trevor zu. Er stieg ungerührt über sie hinweg. Als hätte man einen Schalter umgelegt, ein Segel anders gesetzt, war alles an ihm war mit einem Mal hochkonzentriert. Seine Ohren waren gespitzt, die Muskeln locker angespannt, jede Bewegung geräuschlos, nur seine Augen verrieten die kindliche Vorfreude. Er war völlig in seinem Element.
Er ging aufs Geratewohl den Gang gegenüber der Tür entlang. Sie wollten ja schließlich nach oben, nicht? Und hier war noch nichts Treppiges. Die ersten zwei Reihen mannshoch gestapelte Kisten passierte er, ohne jemand anderem zu begegnen als einer Maus.
Hinter der dritten Reihe stand ein Mann. In der rechten Hand hielt er eine kleine Laterne, die linke Hand lag vor dem zum Gähnen aufgerissenen Mund. Er hatte beide Augen zusammengekniffen. Der Degen baumelte nutzlos an seiner Hüfte. Trevor betrachtete ihn belustigt. Vermutlich war er gekommen, um zu schauen, wer da so spät noch hereinspaziert kam.
Trevor warf einen Blick zurück, deutete in den schmalen Nebengang und formte ein „Soll ich mal nachfragen, wo's langgeht?“ mit dem Mund.
Eine Antwort wartete er nicht ab, denn der Soldat blinzelte ihn bereits an. Plötzlich deutlich wacher, scannte Trevors abgewrackte Kleidung, das Entermesser und den Dolch, die offen sichtbar in seinem Gürtel steckten. Trevor musste zugegeben, er sah nicht aus, als hätte er sich verlaufen und wolle nach dem Weg fragen. Der Soldat riss verärgert den Mund auf, aber Trevor hatte bereits die letzten zwei Schritte überbrückt und erstickte die Worte mit einem gezielten Schlag in den Bauch. Der andere krümmte sich, schnappte nach Luft, und Trevor nutze den Augenblick, um den Kopf mit beiden Händen zu packen und mit einem Ruck weit über die Schulter zu drehen. Es überraschte ihn immer wieder, wie viel Kraft es dafür brauchte. Der Soldat starrte ihn aus großen Augen an, bevor er wegknickte. Trevor griff ihn gerade noch unter den Achseln.
Einen Moment herrschte Stille. Dann rutschte die Laterne aus den Fingern des Toten zu zersplitterte kreischend auf dem Boden.
[anfangs: bei den anderen | jetzt: Kontor, Lagerraum im Erdgeschoss, einige Meter weit von der Tür entfernt hinter ein paar Kisten; bei einem toten Soldaten]