30.08.2016, 11:47
Für einen Moment fragte sie sich, wann sie eigentlich die Böse in dieser Geschichte geworden war. Nicht das Shanaya oder der Gefangene irgendetwas in diese Richtung gesagt hätten, nein. Aber so wie Aspen davon gestiefelt war, konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, er hätte etwas gegen ihre Art die Dinge anzugehen. Am liebsten hätte sie laut geschnaubt, aber sie ließ es. Es kümmerte sie nicht, ob der Blonde wirklich so von ihr dachte und wie er sich verhalten hatte, zumindest wollte sie sich noch nicht drum kümmern, aber es nervte sie. Und da half auch nicht die Tatsache, dass der bis eben gerade noch nackte Kerl vor ihr sie auch nervte. Als er sich des Feingefühls halber umgedreht hatte, hatte sie nur kurz die Augen verdreht. Es war ja nicht so, als hätte sie noch niemals einen nackten Mann gesehen. Vielleicht störte sie ja das an der ganzen Situation. Egal wem sie über den Weg lief, man schien immer nur zwei Dinge an ihr wahrzunehmen. Erstens, dass sie ein Mädchen war und zweitens, dass sie aus diesem Grund wie ein Püppchen behandelt werden musste und inkompetent war. Am liebsten würde sie sich in die nächste Schlägerei werfen, wenn sich eine bot. Das würde dieses Bild zumindest zerstören. Doch sie blieb ruhig stehen, sah weiterhin Ryan an, wartete auf seine Antwort und spürte gleichzeitig das andere Mädchen hinter sich. Ob sie wohl verstand, warum sie bleiben sollte? Ob sie wusste, dass Talin ihr vertraute? Vielleicht war das auch so etwas, worüber sie erst reden mussten, damit das geklärt war. Aber für den Moment musste das warten. Genauso wie ihre Kopfschmerzen, die sich langsam anbahnten. Wie nervig.
Als der Gefangene schließlich sprach, zog sie eine Augenbraue in die Höhe. Gut, vielleicht dachte auch er, sie wäre die böse hier. Seinen Willen brechen indem er gestand? Das klang doch ziemlich dramatisch. Vielleicht war er doch Schauspieler und kein kleiner Dieb, wie sie zuerst gedacht hatte. Amüsiert, aber auch ein bisschen verwirrt, was sie nicht zeigte, schüttelte sie den Kopf. Das mit dem Willen brechen, ließ sie einfach unkommentiert. Sollte er sich ruhig denken, dass sie eine Schreckensgestalt war, die ihm jeden freien Willen aus dem Kopf saugen wollte.
„Du interessierst dich also weder für Schiff oder Mannschaft. Aber irgendjemand tut das? Wieso? Dieses Schiff ist wertlos im Gegensatz zu den Schiffen der großen Piraten.“
Und nebenbei fuhr es zwar, aber dennoch war es an einigen Stellen immer noch beschädigt. Und was seinen Wert anging, so war es ihr Weg in die Freiheit gewesen. Materiell war es wertlos, ja, aber für sie war es kostbarer als jeder Schatz. Bei diesem Gedanken schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen, dass aber auch schon recht schnell wieder verschwand bei seinen Worten. Stattdessen seufzte sie nur. Wollte sie hier eigentlich gar keiner verstehen? Wenn es ihr nur darum ging, dass er sich hilflos vorkam, da könnte sie ihn auch frei herumlaufen lassen. Aber darum ging es doch nicht! Sie dachte wirklich, sie hätte es ihm erklärt. Ehrlich gesagt hatte sie auf noch eine Runde keine Lust. Mit einem Seitenblick sah sie zu Shanaya hinüber und dann wieder auf den Gefangenen. Wozu hatte sie das Mädchen sonst mit hier unten bleiben lassen, wenn nicht zum zu hören und sich nützlich machen.
„Statt zu meckern, solltest du dich glücklich schätzen, dass du noch lebst.“ Nachdenklich legte sie den Kopf schief und lächelte dann amüsiert. „Du wirst dich auf dem Schiff frei bewegen können, allerdings unter Aufsicht...von Shanaya.“ Sie machte eine Handbewegung, als würde sie das andere Mädchen präsentieren. „Wenn ihr auffällt, sei es an Bord oder an Land, dass du dem Schiff oder der Crew schaden willst, dann ändert sich dein Glück ganz schnell.“ Dabei warf sie ihm einen Blick zu, der keine Widerrede duldete.
[Brig - Shanaya & Ryan]