09.05.2024, 16:58
In Shanayas Geist tickte es regelmäßig, wie eine Uhr, die sich in ihrem Inneren befand. Mit jeder Sekunde wurde es lauter, drängender. Aber sie wartete, voller Geduld. Nur still stehen konnte sie nicht, das wäre doch zu viel verlangt. Aber die Erlösung kam, als sich die ersten Gestalten auf dem Schiff regten. Selbst mit Laternen war es schwer, auszumachen, wer sich in ihre Richtung bewegte. Der erste war Liam, der nicht stehen blieb, nichts sagte und ihr einen Blick zu warf, den die Schwarzhaarige ebenso erwiderte. Er wusste um Bláyron und sorgte sich gerade deshalb noch mehr um Skadi. Shanaya hoffte einfach, dass sie sie schnell genug finden würden. Alle drei, am besten in unversehrtem Zustand.
Die anderen, die an ihr vorbei gingen, betrachtete die junge Frau mit aufmerksamer Miene, achtete auf jede Reaktion, die sie bekam – oder eben auch nicht. Sie wussten nicht, dass sie auch in Gefahr waren, wenn sie mit ihr zusammen gesehen wurden. Aber vielleicht war es auch besser so.
Erst eine etwas unsicher laufende Gestalt lenkte ihre Aufmerksamkeit voll auf sich. Zairym kam auf sie zu, stellte eine Frage, die Shanaya trocken schnaufen ließ.
„Schön wär’s, aber ich fürchte, das wird leider nichts. Ich warte.“
Ihre Stimme war nicht direkt kühl, nicht abweisend, aber in ihr lag der deutliche Unmut der Schwarzhaarigen. Warten, wie sie es hasste. Die Anderen, die an ihr vorbei liefen, warfen ihnen meist nur einen kurzen Blick zu, wenn überhaupt, bis auf Trevor. Er sagte nur, sie solle auf sich aufpassen, was die Schwarzhaarige leicht eine Augenbraue heben ließ. Dann war er schon wieder fort, worum sie absolut nicht traurig war.
Als sie sich dann wieder umwandte, sich eigentlich an Zairym richten wollte, tauchte das lang erwartete Gesicht, erleuchtet von einer Laterne, auf. Fest ruhten die blauen Augen der Frau auf Lucien, der im nächsten Moment die Lichtquelle los wurde, sie dem Söldner in die Hand drückte. Er hatte mitgedacht, sie wäre ohne jegliches Licht los marschiert, so war es vermutlich deutlich besser. Die gute Laune des Captains lag nicht nur in seinen Worten, sie schwirrte quasi in der Luft mit. Gut, sie war da nicht besser, aber sie hatte sich auch nicht dieser Sitzung aussetzen müssen. Trotzdem war sie angespannt, bis in die letzte Faser. Sie hoffte inständig, dass ihr Bruder nichts damit zu tun hatte, das würde die ganze Sache deutlich einfacher machen. Aber… der Verdacht lag einfach zu nah. Ein tonloses Seufzen kam ihr über die Lippen, als sie dem Söldner noch einen kurzen Blick zu warf, sich dann widerstandslos herum wandte, um Lucien zu folgen. Sie entnahm ihrem Weg, dass sie sich am Hafen umsehen würden. Wie gut, dass sie diesen in den letzten Tagen schon oft genug besucht hatte.
„Irgendetwas, was ich wissen muss?“
Ihre Stimme war ruhig, wenn auch Anspannung darin lag. Aber jetzt kopflos durch die Gegend laufen würde weder ihnen noch den drei Verschwundenen helfen. Ihre blauen Augen legten sich also mit fragender Miene auf Zairym und Lucien, bevor sie wieder begann, die Umgebung aufmerksam im Blick zu haben. Sie konnten antworten, aber Shanaya wollte nicht, dass ihnen irgendetwas entging. Keine noch so kleine Information, die ihnen helfen konnte oder sie vor einem gewissen Schicksal bewahrte. Die Dunkelheit machte es deutlich schwieriger, aber umso aufmerksamer wurde die Schwarzhaarige. Und wenn sie jeden verdammten Kiesel umdrehen musste.
[Richtung Hafenviertel | Lucien & Zairym]