Progress, not perfection

[Lucien Dravean]

Die ersten Runden hatte sich Lucien noch am Spiel beteiligt, nachdem er Soula an einen der relativ prominent platzierten Tische unweit der Bar gelotst hatte. Er war weder ein besonders guter, noch ein besonders schlechter Spieler, aber in diesem Fall interessierte ihn nicht das bescheidene Sümmchen, dass er durch Gewinn und Verlust anhäufte, sondern in erster Linie das Talent seiner Begleiterin.
In zweiter Linie war er für das lose Geplauder hier, dass einer ihrer drei Gegenspieler mit fortschreitendem Abend von sich gab, umso mehr Alkohol und Adrenalin durch seine Adern flossen. Und beides schien immer dann exponentiell zu steigen, wenn er besonders spektakulär gegen Soula verlor. Eben diesen besonderen Umstand machte Lucien sich zunutze, um so viel wie möglich über den eigentlichen Besitzer dieses Ladens zu erfahren, ohne je ganz gezielt auf ihn zu sprechen zu kommen.
Irgendwann war er zufrieden mit dem, was er gehört hatte, und zog sich mit der Begründung aus dem Spiel zurück, dass er sich zunächst an der Bar gütlich tun würde, bevor sein schwindendes Gold das nicht mehr zuließe.
Ab da widmete er – mit einem Krug Rum in der Hand und gelassen an der nur einige Schritt weit entfernten Theke lehnend, seine Aufmerksamkeit ganz Soula und ihrem Spiel, die immer wieder geschickt den richtigen Zeitpunkt zu erspüren schien, an dem sie aussteigen musste, oder im Gegenteil ganz vortrefflich bluffte – wenn sie nicht ohnehin Glück mit der gezogenen Hand hatte. Und schon allein ob des immer dunkler werdenden Gesichts einer ihrer Gegner war es eine Freude, ihr dabei zuzusehen. Da schien jemand ganz und gar nicht damit zurechtzukommen, von einer Frau geradezu bis aufs letzte Hemd ausgezogen zu werden.
Am Ende hätte der junge Captain die Wendung der Ereignisse wahrscheinlich kommen sehen müssen. Soula hatte einfach zu oft gewonnen, als das es das Ego des Mannes länger ertragen konnte. Und er reagierte mit der einzigen Anschuldigung, die in seinem kleinen Hirn Bestand hatte – denn dass sie einfach besser war, konnte selbstverständlich nicht sein.
Ein leichter Ruck ging durch Luciens Körper, als der bullige Typ nach der Hand der jungen Frau griff und sie festhielt. Doch noch schritt der Kelekunier nicht ein, sondern beobachtete wachsam, was als nächstes geschah, stellte nur seinen halb geleerten Krug auf dem Tresen ab, um die Hand frei zu haben und nach seiner Waffe greifen zu können. Einen Herzschlag später hatte er allerdings ohnehin kein freies Schussfeld mehr, da sich an dem Tisch, der zwischen ihm und Soula stand, ein paar Schaulustige halb von ihren Plätzen erhoben, um zu sehen, was das Geschimpfe zu bedeuten hatte.
„Von wegen ‚Verlierer‘! Hol mich Svavar, wenn du nicht ein paar Karten unter deinen Röcken versteckst, du kleine Hexe!“, blaffte der Kerl, der Soula noch immer am Arm festhielt und von Alkohol und Frustration getrieben dazu ansetzte, nach ihrem Kleid zu greifen, um die vermeintlichen Karten aus dem Stoff zu schütteln. Und auch die beiden anderen Männer, gegen die Soula gespielt hatte, erhoben sich – allerdings noch unschlüssig, ob sie sich beteiligen sollten, oder nicht. Wahrscheinlich warteten sie darauf, dass bei diesem Gerangel tatsächlich ein Beweis zu Boden rieselte.