02.05.2024, 15:54
Endlich hatte sie es also geschafft. Geschafft, die Insel, die ihr immer mehr wie ein Gefängnis vorgekommen war, zu verlassen. Natürlich hatte sie schon beim Anlegen des Schiffes damals die Idee gehabt, sich der Crew anzuschließen, es zumindest zu versuchen, weil ihr bewusst war, dass es mitnichten viele Seeleute gab, die sich auch mit Frauen zufrieden gaben. Vor allen Dingen wusste Cassy am Anfang nicht einmal so recht, was sie zum Allgemeinwohl hätte beitragen können. Es war mehr eine Chance auf Sicherheit, einen Neuanfang und irgendwie auch eine Chance auf ein gewagtes Abenteuer gewesen, das sie gesehen hatte. Wie einfach es schließlich geworden war, war wohl einfach nur Glück und Schicksal gewesen. Mehr wollte die Blondine dem Ganzen überhaupt nicht zuschreiben.
Dann jedoch folgten die ersten Seetage und obwohl Cassy nicht Seekrank geworden war - welch ein Glück aber auch - war es nicht zu vergleichen mit ihrem Leben zuvor. Sie hatte sich nützlich gemacht, wo sie gebraucht wurde und war ziemlich schnell zu einem Stammhelferplatz in der Küche gelangt. Das war in Ordnung für sie, kochen hatte sie schließlich schon früh auf dem Bauernhof ihrer Eltern gelebt. Dennoch war das Leben auf hoher See etwas vollkommen anderes als das nackte Überleben zwischen den Straßen der Inseln, auf welchen Cassy sich bisher herumgetrieben hatte. Aber sie würde das schaffen, sie würde sich behaupten, ihren ganz eigenen Platz in der Crew finden und sich endlich wieder sicher fühlen.
So viel zumindest die Theorie, denn nachdem sie nun ein paar Tage auf See waren, hatten sie zumindest für Cassy, das erste Mal ein Ufer angesteuert und die Blondine hätte Lügen müssen, zu sagen, es tat nicht gut endlich mal wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Auch das Schwanken des Schiffes war noch sehr ungewohnt und doch stand für sie fest, sie würde weiterhin bei der Crew bleiben. Sie wollte dieses Leben, ganz gleich was es kostete. Also ging ihre Reise weiter und als sie gut drei Wochen später schließlich in Ghisleen zu Anker gingen,sollte es direkt zu einem eher unangenehmen Vorfall kommen, den Cassy nicht einfach so ignorieren konnte.
Ja, es hatte auch den Tod von Per gegeben, den sie selbst viel zu nah miterleben musste, seine Seebestattung und natürlich hatte auch Cassy mitbekommen, dass einem der Seemänner, Alex, vorgeworfen wurde eine der Frauen vergewaltigt zu haben. Ein sehr harter Vorwurf, aber auch eine furchtbare Tat und doch hielt Cassy sich eher zurück, hielt sich aus der Sache komplett heraus, wollte sie keinen Unschuldigen anprangern oder gar einer geschädigten Frau, die den Mut hatte auszusprechen was ihr widerfahren war, vorwerfen sie würde Lügen. Nein, die junge Frau hatte sich dazu entschieden, der Misere so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Aber als sie, drei Tage nachdem sie in bereits in Ghisleen geankert hatten, feststellen mussten, dass drei weibliche Mitglieder der Crew verschollen zu bleiben schienen, spürte Cassy wie unruhig alles wurde und sie konnte es verstehen. Selbst wenn sie niemanden dieser Menschen sehr gut kannte, so hatte sie jeden von ihnen in den letzten Wochen erlebt. Sie waren nicht nur irgendwelche Bekannten, irgendwelche Menschen, die miteinander arbeiteten, nein. Die Crew funktionierte förmlich wie eine Familie und da war äußerste Rücksicht und Hingabe gefordert, wenn jemand von ihnen in Gefahr zu sein schien und das war bei den drei Vermissten definitiv der Fall.
Nachdem Tarón sie nun alle aufgeklärt hatte, wie sie vorgehen würden und dass sie Gruppen bilden mussten, stand für Cassy definitiv fest, wo sie hingehen wollen würde. Zum Marktplatz, der aktuell als Festplatz diente. Dorthin, wo sich vermutlich aktuell das meiste Leben abspielte aufgrund der bevorstehenden Feierlichkeiten und der aktuell noch anhaltenden Dunkelheit. Sie war auf der Straße groß geworden und auch wenn es sich hier um eine fremde Insel handelte, eine fremde Umgebung, so war sie davon überzeugt, wenn sie irgendwo überhaupt einen Nutzen haben konnte, dann dort. Tarón selbst schien jedoch beim letztlichen Einteilen nicht besonders erfreut darüber zu sein, dass sie sich genau dieser Gruppe hatte anschließen wollen. Cassy vermutete auch genau zu wissen warum das so war und der Seitenhieb von dem Quartiermeister in die Richtung von Alex, der sie ebenfalls begleiten würde, entging der jungen Frau ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Luft zwischen den beiden Männern ziemlich aufgebraucht war. Uff. Das konnte ja etwas werden.
Tarón ging schließlich voraus und Alex sagte zwar nichts, ließ ihr aber den Vortritt und Cassy wollte nicht, dass er das Gefühl bekam sie hätte Angst vor ihm oder sonst etwas, weshalb sie ihm ein sanftes Lächeln zuwarf und dann zügig hinter Tarón herging.
”Hast du dir schon etwas überlegt, wie wir Vorort vorgehen wollen? Uns eher erst einmal umsehen und diskret Leute beobachten, die auffällig sind oder so wirken, als wüssten sie etwas, oder aber direkt mit Befragungen starten?”, fragte sie dann direkt an den Quartiermeister gewandt, da er doch sehr zielorientiert wirkte und sie davon ausging, er hatte noch wesentlich mehr geplant als nur die Aufteilung der Crew für die Suche der vermissten Frauen. Denn ganz gleich was mit ihnen geschehen war, es zählte am Ende vermutlich jede Sekunde und da durfte man sicherlich vieles tun, aber nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen. Cassy wusste schließlich aus ihrer eigenen Vergangenheit gut genug, dass einen solche Spontanhandlungen eher zurückwarfen, als das sie am Ende dafür sorgten das man sein Ziel erreichte.
{ Tarón & Alex | auf dem Weg zum Markt }