02.05.2024, 14:34
Vermutlich hätte er weiter vorne am Kai gewartet, wären seine beiden Begleiter nicht unmittelbar hinter ihm gewesen. Weiter vorne in der Hoffnung, irgendetwas in den Schatten sehen zu können, dass ihnen weiterhalf, nicht, weil er Shanayas Gesellschaft mied. Ihn interessierte nur weniger, was auf der Sphinx passierte als das, was Ghisleen vor ihnen verborgen hielt. Liam hoffte noch immer, dass wenigstens eine der drei Vermissten einfach aus der Dunkelheit stolperte und ihre verspätete Rückkehr harmlos begründete. Gelächter auf beiden Seiten, sie konnten sich entspannen und niemandem wäre irgendetwas geschehen. Wann war das letzte Mal, dass sie ohne Verluste oder Verletzungen von einem Landgang zurückgekehrt waren? Pers Tod überschattete seine Erinnerungen. Eigentlich hatte er sich darüber auch nie wirklich Gedanken gemacht - jetzt gerade aber war es ihm umso bewusster im Kopf. Lolas Stimme ließ ihn aufsehen und erst, als er die blonde Mähne der jungen Frau im Licht seiner Laterne erkannte, ahnte er, dass sie sich an ihn gerichtet hatte. Ceall war direkt hinter ihr, dementsprechend war ein Warten gar nicht notwendig und sie konnten direkt in den stummen Gassen der Stadt verschwinden. Er hatte sich eine Karte Ghisleens abgezeichnet und mitgenommen - vielleicht würde es helfen, wenn sie bereits durchsuchte Gegenden oder Hinweise darauf einzeichneten, um mit ihrer Suche voran zu kommen. Im Fall, dass die drei überhaupt noch in der Stadt waren, jedenfalls. Was hätte Bláyron überhaupt mit ihnen vor, wenn er wirklich dahinter steckte?
„Hm?“, reagierte Liam auf Ceallaghs Frage, obwohl er sie durchaus verstanden hatte. „Zuverlässig. Und wenn sie wirklich in Schwierigkeiten sind, werden's ihre Gegner definitiv bereut haben, sich mit ihr angelegt zu haben.“ Er wandte den Blick nicht von der Straße ab, während er sprach. „Vielleicht hören wir was von Verletzten. Auch das könnte ein Hinweis darauf sein, wohin man sie gebracht hat. Aber es sieht ihr alles andere als ähnlich, nichts von sich hören zu lassen.“
Natürlich wussten sie noch immer nicht, ob ihnen wirklich etwas zugestoßen war, doch Liam hatte ein ungutes Gefühl. Und bislang war er gut gefahren, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Ein Gutes hatte es allerdings: Sein Bauchgefühl wusste ihn auch davon zu überzeugen, dass sie noch lebte. Etwas, auf dem er sich allerdings nicht ausruhen wollte. Das Gespräch mit Ceall ließ ihn den Schritt etwas verlangsamen. Sie mussten aufmerksam bleiben. Vorauseilen würde ihnen auch nichts bringen. Kurz wandte er den Kopf herum, um sich zu vergewissern, dass auch Lola noch in ihrer Mitte war, dann lenkte ein Geräusch vor ihm seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Liam hielt inne und hob die Laterne etwas nach oben. Zwei riesige Augen spähten in seine Richtung, eine lange, buschige Rute peitschte kurz durch die Dunkelheit. Auf seinen Lippen formte sich ein schwaches Lächeln. Nach ihr hatte er tatsächlich gesucht. Sie war zwar kein Spürhund, den man abrichten konnte, aber Alex hatte sie auch gefunden. Vielleicht würde sie auch Skadis Witterung irgendwann aufnehmen. Er würde sie im Blick behalten.
„Da bist du ja. Komm.“, wies er die Ginsterkatze an und ging in die Hocke, damit sie mit einem gezielten Sprung auf seine Schulter klettern konnte. Sineca musterte die drei Piraten kurz, maunzte dann tonlos und nahm ihren Platz auf Liams Schulter ein. „Sineca hat uns schon das ein oder andere Mal vor Gefahr gewarnt. Besonders in dieser Dunkelheit ist sie uns um einiges überlegen.“ Seine Erklärung galt mehr Lola als Ceall, der die Ginsterkatze schon öfter außerhalb der Sphinx erlebt hatte als ihr Neuankömmling.