16.11.2022, 22:33
Shanaya spürte ein beinah nervös Kribbeln im Nacken. Das, von der Sorte, wenn man beobachtet wurde. So fühlte sich vielleicht die Maus, die von einer Katze gejagt wurde, aber immer nur im Kreis rennen konnte. Ohne Ausweg. Und dass die junge Frau in diesem Moment selbst die Maus war, schmeckte ihr gar nicht. Trotzdem wich sie Talin nicht aus, hielt auch dem Blick der Blonden und ihrem Kopfschütteln stand. Sie hatte ihre Worte nicht spezifiziert – Talin hätte also alles meinen können. Und in Shanayas kleiner Verzweiflung, lag ihr ein hoch amüsierter Kommentar als Antwort auf der Zunge – den sie jedoch herunter schluckte. Einer dieser wenigen Momente, in denen die Schwarzhaarige ein wenig Feingefühl besaß. Vielleicht auch, weil sie in ihrem Inneren wusste, worauf die andere Frau anspielte. Nicht umsonst machte Shanayas Herz ein paar schnelle Hüpfer, brachte sie beinahe aus dem Konzept – bis Talin weiter sprach.
Nachdenklich musterte sie die Blonde, ließ sich selbst einen Moment, um die Teile in ihrem Verstand zusammen zu setzen. Ohne, dass sich die Schwarzhaarige dagegen wehren konnte, drängte sich ihr die Erinnerung an das Gespräch mit Lucien auf. An die Worte, die sich wie Klingen in ihrem Inneren gewunden hatten. Die etwas los getreten hatten, was auf keiner Seite erwünscht gewesen war. Und so versuchte Shanaya nach wie vor, es herunter zu schlucken, es klein zu halten. Wäre ihr bloß nicht kurz zuvor Liam begegnet. Das verzwickte ihre ganze Situation in diesem Moment nur umso mehr.
„Das Ganze ging von dir aus?“
Eine Frage, frei von jeglicher Beurteilung. Shanayas Stimme war ruhig, trotzdem schwang darin eine gewisse Sicherheit mit.
Änderte es etwas an der Situation? Hätte Lucien dieses Thema von sich aus angesprochen? Hatte die Blonde ihm auch einen Floh ins Ohr gesetzt? Und wieso endete Talin mitten im Satz? Und warum zum Teufel kam sie immer und immer wieder auf ihren Bruder zu sprechen?
„Hat er.“ Noch immer war die Stimme der jungen Frau ruhig, nur wenn Talin genau hin hörte, würde sie vielleicht das leichte Zittern darin erkennen, als Shanaya weiter sprach. „… nicht mehr als ein Spiel zum Zeitvertreib und zur gegenseitigen Bespaßung ist. So, wie ich es dir nicht zum ersten Mal versichert habe.“
Shanaya lächelte, ein aufrichtiges Lächeln. Die Worte schmeckten falsch, hinterließen einen bitteren Beigeschmack. Und trotz allem war es immernoch genau das, woran sie glauben wollte.