08.07.2022, 22:06
You know that I know, nothing is ever alright
27.06.1822
Sphinx
You know that I know, nothing is ever alright
Abend des 27. Juni 1822 Lucien Dravean & Shanaya Árashi
Shanaya wusste nicht, wie spät es war. Sie hatte eine ganze Weile mit Soula gesprochen, bis sich ihre Wege getrennt hatten. Nachdem die Schwarzhaarige sich noch etwas zu trinken besorgt hatte, hatte sie sich schließlich, auch in Anbetracht des Wetters, auf den Weg zurück zur Sphinx gemacht. Nicht eilig, dafür war sie noch immer zu müde, zu sehr mit den Gedanken bei… was auch immer. Die Wolken am Himmel wurden dunkler, der Geruch von Regen lag deutlich und schwer über den Straßen von Ostya. Die Corsage hatte die junge Frau ausgezogen, sie in ihre Tasche gestopft, um es nicht ganz so warm zu haben. Wenn es bei Regen blieb, konnte sie damit leben, der würde die Luft sicher auch abkühlen. Für den Rest… Trotzdem eilte die junge Frau nicht, nur die Leichtigkeit ihrer Schritte fehlte. Auch ohne die Wolken würde es bald dunkel werden und heute war ihr nicht danach, in der Abenddämmerung irgendwelchen Gestalten zu begegnen.
Die vermummte Gestalt, mit der er sich im düsteren Schatten einer schmalen Gasse getroffen hatte, nahm den kleinen Beutel Gold mit einem zahnlosen Grinsen entgegen, verbeugte sich mit einer übertriebenen Geste und wandte sich ab, um in der Dunkelheit zu verschwinden. Lucien biss für einen Moment ärgerlich die Zähne aufeinander, wandte sich der Kreuzung zu, von der er wenige Minuten zuvorgekommen war und hielt kurz davor wieder inne, als er Schritte von links kommen hörte, die zweifellos nicht zu dem Mann gehörten, mit dem er sich gerade noch getroffen hatte. Keinen Herzschlag später erschien eine ihm nur zu vertraute Silhouette an der Ecke des Gebäudes, das die Gasse säumte und lockte ihm ein sachtes Lächeln auf die Lippen. „Ich bin wirklich froh, dass die durchaus reelle Gefahr, verfolgt zu werden, dir nicht genug Angst einjagt, um nicht nachts alleine durch die Stadt zu schlendern“, begrüßte er Shanaya mit nur halb gespieltem Tadel in der Stimme. So wirklich ernst meinte er den nicht. Gleichzeitig konnte er den Anflug von Sorge, der sich über diese Tatsache in seine Gedanken schlich, nicht gänzlich leugnen. Allerdings verschwieg er ihn.
Shanaya blieb aufmerksam, auch wenn ihre Gedanken Mal hier hin und Mal dort hin abdrifteten. Die junge Frau achtete auf ihre Umgebung, auf die Menschen, die ihr möglicherweise zu nah kommen konnten. Aber niemand schien sich so richtig für sie zu interessieren, und allmählich wurde der Andrang auf den Straßen deutlich weniger. Nur für einen Moment hob die Schwarzhaarige den Blick zum dunkler werdenden Himmel, zu den Wolken, die die Sterne verdeckten. Gerade wollte ein leises Seufzen über ihre Lippen kommen, als eine vertraute Stimme sie aus den Wolken riss und ihren Blick senken ließ. Luciens Worte ließen sie zuerst einen Moment überrascht blinzeln, ehe sie sachte, wenn auch etwas müde, lächelte. „Der Großteil der Menschen, die mich entführen würden, würden dir und Talin eine Menge Geld dafür zahlen, dass ihr mich zurück nehmt.“ Sie meinte diese Worte halb ernst, immerhin gab es genügend Menschen, die absolut nicht wussten, wie sie mit ihr umgehen sollten. „Es sei denn, du hast jetzt geplant, mich über die Schulter zu werfen und Lösegeld zu fordern.“ Von seinem Treffen hatte sie nichts mitbekommen, ließ den hellen Blick also auf ihrem Captain ruhen.
Lucien gab ein leises, spöttisches Schnauben von sich, das allerdings nicht so inbrünstig ausfiel, wie sonst. Weniger ehrlich, fast beiläufig. Wie die letzten Tage auch schon. Er verschränkte die Arme vor der Brust, warf ihr einen leicht strafenden Blick, obgleich das milde Lächeln nach wie vor auf seinen Lippen lag. „Und du weißt ganz genau, dass es nicht diese Art Entführer ist, die mir Sorgen macht.“ Er schüttelte mit einem matten Schmunzeln den Kopf und hob schließlich den Blick zum Himmel. Auch ihm entging nicht, wie sich die Wolken vor dem abendlichen Firmament mehr und mehr zusammenzogen. Es roch bereits nach Regen. „Und?“, fragte er und richtete die tiefgrünen Augen wieder auf Shanaya. Dieses Mal gänzlich frei von Sorge oder Spott. „Auf dem Weg zurück zum Schiff?“
Shanaya zuckte unter dem Blick des Mannes leicht mit den Schultern, wog bei seinen Worten dann jedoch zustimmend den Kopf. Seine Worte lösten verschiedene Gefühle in ihr aus. Auf der einen Seite eine sanfte Wärme, auf der anderen… sie wusste nicht genau, was es war. „Ich weiß, aber… ich lasse mich garantiert nicht von diesen zwei Idioten davon abbringen, zu tun, wonach mir ist. Dann würde ich ihnen genau das geben, was sie wollen.“ In manchen Momenten musste sie allein sein, musste allein durch die Städte ziehen, sie erkunden, ohne jemanden bei sich. Nur kurz huschte ihr Blick nach oben, Luciens folgend, dann nickte sie auf seine Frage, schluckte dieses nervöse Kribbeln für den Moment herunter. „Quasi, ja. Der Regen würde sicher Abkühlung bringen… aber mit einer nassen, weißen Bluse durch die Straßen rennen ist dann vielleicht doch nicht ganz so klug.“ Ein mildes Lächeln auf den Lippen zupfte sie etwas an dem Stoff herum, wedelte sich so etwas frische Luft zu. „Haben wir den selben Weg oder willst du noch etwas erledigen?“
Wieder huschte ein Lächeln auf seine Lippen. Dieses Mal deutlich wärmer. „Ich weiß“, erwiderte er sanfter. „Und ich würde dich nicht anders wollen. Friedlich entspannen kann ich in dem Wissen aber trotzdem nicht.“ So war sie. So gefiel sie ihm. Aber es stimmte – und das durfte sie durchaus immer wieder von ihm hören: Sorgen würde er sich um sie trotzdem. Erst Recht deshalb. Auch wenn ihm darüber hinaus nie in den Sinn käme, ihr etwas verbieten zu wollen. Sie zum Hausarrest auf der Sphinx zu verdonnern. Mal abgesehen davon, dass sie sich nie würde einsperren lassen. Nicht von ihm und auch von sonst niemandem. Letzten Endes war es mit ihr nicht anders als mit Talin, der er jede Freiheit ermöglichen würde, die sie sich wünschte – während er sich schwor, jeden Schaden von ihr fernzuhalten. Es sei denn, dieser Schaden wäre er. Mit einem Kopfschütteln vertrieb er diesen Gedanken und schmunzelte nun doch eine Spur amüsierter, als er Shanaya einen erneuten Seitenblick zuwarf, auch wenn er auf die kleine Anspielung erneut nicht einging. „Nein, vielleicht nicht“, bestätigte er und nickte schließlich. „Ich wollte mich gerade auf den Rückweg machen.“ Womit er sich bereits in Richtung Hafen wandte und nur kurz zögerte, bis sie sich ihm anschloss. „Was hat dich in die Stadt gelockt?“
Shanaya spürte mit dem Lächeln des Mannes eine gewisse Erleichterung, nicht mehr solch eine… Distanz wie Momente zuvor. Und seine Worte verstärkten dieses Gefühl nur noch, ließen sie das Lächeln erwidern. Trotzdem… etwas machte sie nervös – wovon sie Lucien jedoch nichts bemerken ließ. „Ich habe dir versprochen, auf mich aufzupassen. Und daran halte ich mich. Wenn nicht gerade ein übergroßer Vogel das Schiff zum Schwanken bringt.“ Seine Erwiderung, trotz des etwas anderen Ausdrucks auf seinem Gesicht, blieb trotzdem recht mager, lockte in Shanaya diese Verwirrung auf, die sie in den letzten Tagen immer wieder heimgesucht hatte. Immer, wenn es um Lucien ging. Sie schnaufte nur leise, fuhr sich mit der Hand über die müden Augen, blinzelte zwei Herzschläge lang verwirrt, als Lucien sich schon abgewandt hatte. Ihre Antwort war so simpel… und trotzdem hätte sie ihm nie vollständig geben können. „Ein bisschen den Kopf frei bekommen, etwas zu Essen suchen und… ja…“ Noch andere Dinge, die sie von sich fern hielt, mit denen sie sich nicht auseinander setzen wollte. Und während sie stumm darüber nachdachte, die Gedanken aber wieder in eine Ecke in ihrem Verstand drängte, benetzten erste, kleine Tropfen Regen ihr Gesicht.
Ein flüchtiges Schmunzeln huschte über seine Lippen. Dass er die Schwarzhaarige auf irgendeine Art und Weise verunsicherte, bemerkte er derweil nicht. „Diesen Vögeln hast du dich ja nicht völlig unsinniger Weise allein gestellt. Also kann ich dir schlecht verübeln, dabei verletzt worden zu sein.“ Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, in dem ein ruhiger, warmer Ausdruck lag. Dass sie als Crew in gefährliche Situationen schlidderten, würde sich ja kaum vermeiden lassen. Selbst wenn sie sich nur zu zweit in Gefahr brachten, war das für ihn nicht das Problem. Anders verhielt es sich aber, wenn sie sich gänzlich allein in Schwierigkeiten brachte. Entweder, weil sie glaubte, dass es sonst niemanden etwas an ginge, oder weil sie auf den Trichter kam, dass es niemanden interessierte. Ihn interessierte es. Doch er verfolgte das Thema in Gedanken nicht weiter, sondern wandte sich ihrer zweiten Antwort zu. „Und? Hat es geholfen? Den Kopf frei zu kriegen, meine ich.“ Lucien hatte kaum zu Ende gesprochen, als ihn plötzlich ein einzelner Tropfen knapp oberhalb der Augenbraue erwischte. Er zuckte kurz davor zurück, hob dann den Blick und blinzelte zum Himmel. „Sieht aus, als sollten wir uns mit dem Rückweg etwas beeilen.“
In stummer Zustimmung neigte Shanaya den Kopf ein wenig, deutete ein Nicken an. „Wenn ich also alles so aussehen lasse, als wäre es nicht meine Schuld, dann komme ich glimpflich davon?“ Nun hob die junge Frau leicht eine Augenbraue, warf dem Mann einen vielsagenden Blick zu. Nicht, dass sie wirklich daran glaubte… das Maultier war immerhin auch nicht ihre Schuld gewesen. Nur war das olle Tier nun einmal nicht durch ihr Bordell im Zimmer gerannt. Luciens Frage entlockte ihr dann einen undefinierbaren Laut, der weder Zustimmung noch Widerspruch war. Sie wusste es schlicht und ergreifend nicht. Aber sie wusste auch nicht, wie sie das Chaos in ihrem Kopf ordnen sollte. „Vielleicht steigt mir einfach die Hitze zu Kopf, ich kann mich nicht erinnern, dass es auf Yvenes so heiß geworden ist.“ Sie beschwerte sich nicht, die Schwarzhaarige konnte jedem Wetter etwas abgewinnen. Aber… es klang nach einer guten Ausrede. Ihre blauen Augen folgten Luciens Blick zum Himmel, dann wischte sie sich ein paar Tropfen mit dem Arm aus dem Gesicht. „Dabei habe ich passend eine weiße Bluse an.“ Shanaya lachte leise, wandte den Blick dann wieder vorn, nach den roten Segeln der Sphinx suchend, die jedoch noch nicht in ihrem Blickfeld erschienen.
Dieses Mal stieß Lucien nur ein Schnauben aus, das ohne jedes weitere Wort deutlich machte, dass es so einfach ganz bestimmt nicht sein würde, ihn zu überzeugen. Doch er beließ es dabei. Sie wusste es selbst besser und letzten Endes konnte er sie nicht zwingen, ihr Wort zu halten. Er maßte sich nicht an, dass allein die Tatsache, dass er es war, der sie darum gebeten hatte, reichen würde. Und er war auch nicht ihr Bruder. Es war nicht seine Aufgabe, sie zu beschützen. Er musste sich nur offensichtlich immer mal wieder daran erinnern. Lucien stieß leise die Luft aus, fuhr sich kurz mit der Hand über die Augen und tarnte die Bewegung als einen Versuch, sich die ersten Regentropfen vom Gesicht zu wischen. Sein Schmunzeln kehrte jedoch zurück, als Shanaya weitersprach. „Dabei ist es heute gar nicht so warm“, stellte er, der aus der wärmsten Ecke der Ersten Welt stammte, gelassen fest. „Und ich kann mich nicht erinnern, dass du je etwas anderes als eine weiße Bluse angehabt hättest.“ Wieder huschte ein Seitenblick in ihre Richtung, amüsierter dieses Mal. „Wir können uns aber auch ein Plätzchen zum Unterstellen suchen und das Schlimmste abwarten. Auf mich wartet meines Wissens nach keiner.“ Abwartend sah er sie an, eine unausgesprochene Frage in diesen letzten Worten.
Ihr Captain schnaubte nur auf die wenig ernst gemeinten Worte der Schwarzhaarigen hin und Shanaya beließ es dabei. Sie wussten beide die Antwort darauf. Und sie… sie hatte es ihm versprochen und war nicht daran interessiert, noch einmal solch ein Versprechen zu brechen. „Das sagst du so, du bist damit aufgewachsen! Wir sprechen uns nochmal, wenn wir in der Nähe der zweiten Welt sind! Da erfriert jemand von Kelekuna garantiert.“ Ein Gedanke, der sie schmunzeln ließ. Unter normalen Umständen wären sie sich wahrscheinlich niemals über den Weg gelaufen, von dem einen Ende der ersten Welt zum Anderen. Und doch waren sie jetzt hier. Und sie warf dem Dunkelhaarigen ein sanftes, amüsiertes Lächeln zu. „Soll ich dir einmal eine kostenlose Führung durch meine Kleidersammlung geben? Da finden sich verschiedene Farben… auch wenn weiß dominiert, da gebe ich dir Recht.“ Eine Antwort von Lucien, die sie so vielleicht erwartet hatte, weil es in letzter Zeit nie anders gewesen war. Trotzdem weckte so etwas unscheinbares nur wieder dieses Kribbeln in ihrem Inneren. „Ich denke, das klingt nach einem guten Plan, wenn ich mir die Wolken so ansehe… es zieht sich ziemlich schnell und dunkel zu.“ Damit wandte sich ihr Blick vom Hafen ab, huschte nun über die Lagerhallen, auf der Suche nach einer, die in diesem Moment nicht genutzt wurde, während der Regen nun deutlich stärker wurde.
Lucien gab ein leises, amüsiertes Lachen von sich. „Oh, ich wette, ich werde unerträglich sein. Ich kriege wirklich... wirklich schlechte Laune, wenn mir kalt ist.“ Nur, um sie wenigstens vorgewarnt zu haben. Wobei er in letzter Zeit ohnehin schon nicht mit bester Stimmung aufwarten konnte. Aus... anderen Gründen. Aber vielleicht legten sich wenigstens die, wenn sie die Zweite Welt erreichten und für’s erste aus aller Sicht verschwanden. Vielleicht. Er vertrieb den Gedanken und tat es stattdessen seiner Begleiterin gleich, ließ den Blick über die angrenzenden Gebäude wandern, während er mit halbem Ohr auf ihre Antwort lauschte und dabei schmunzelte. Das Angebot einer Führung durch ihre Kleiderkammer klang für ihn doch schon wieder unfreiwillig anzüglich. Auch wenn er nicht wirklich darauf einging. „Dann habe ich bisher wohl ausgerechnet dann auf deine Kleidung geachtet, wenn sie gerade mal wieder weiß war.“ Leise Belustigung schwang in seiner Stimme mit, die jedoch bei seinen nächsten Worten wieder verschwand, als er den Arm hob und auf eines der einzeln stehenden Lagerhäuser deutete. Es stand etwas abseits vom Hafen, umgeben von Wohnhäusern und war deshalb etwas schwerer zugänglich. Und damit vielleicht auch weniger in Gebrauch. Wenn bei diesem Wetter überhaupt jemand kam, um ein Schiff zu beladen, das ohnehin den Hafen nicht verlassen konnte. „Lass es uns dort probieren.“ Prompt erwischte ihn ein dicker Tropfen direkt an der Wange, kündete von stärkerem Regen. Und auf einen folgten nun in schneller Abfolge weitere.
Shanaya warf Lucien einen vielsagenden Blick, ein versprechendes Lächeln auf den Lippen. „Das werde ich auf jeden Fall nicht vergessen, bis wir in die zweite Welt segeln. Notfalls helfe ich dir wieder, dich warm zu halten.“ Sie lächelte amüsiert, auch wenn ihr unterbewusst irgendwie klar war, dass dieser Versuch ins Leere laufen würde. Aber Shanaya kämpfte gegen das Gefühl an, dass damit in ihr hoch kriechen wollte. Sie schluckte es herunter. Es machte ja doch keinen Sinn. „Du hast wahrscheinlich auf andere Dinge geachtet.“ Gut, ein kleiner Versuch noch. Nach diesen Worten folgte sie dem Deuten des Dunkelhaarigen, blinzelte gegen die Tropfen in ihren Augen an und blickte zu der Lagerhalle, die langsam näher kam. Um sie herum wurden die Menschen etwas schneller, manch einer schien sein Haus noch trocken erreichen zu wollen. Ihre Schritte wurden nicht schneller, sie strich sich nur ein paar der nassen Strähnen aus dem Gesicht. „Immerhin habe ich keine Karten gekauft… die wären jetzt vermutlich hin.“
Dieses Mal war die Reaktion auf Shanayas Andeutung nicht mehr als ein halb abwesendes Schmunzeln. „Ich werde darauf zurückkommen“, versicherte er ihr, war jedoch gedanklich längst bei dem Gebäude, das sie sich zum Ziel auserkoren hatten. Die Menschen um sie herum bemerkte er kaum, beschleunigte seine Schritte selbst ebenfalls nicht, da die Schwarzhaarige keine Anstalten machte, sich zu beeilen. Und ihretwegen hatte er schließlich vorgeschlagen, einen Unterstand zu suchen. Wenn sie sich also nicht beeilte, sah er keinen Anlass, das Gegenteil zu tun. Und erst, als sie ihm erneut eine kleine Anspielung entgegen warf, wandte Lucien den Blick zu ihr herum und lenkte auch seine Gedanken wieder auf Shanaya. „Wie man besagte Kleidung loswird, zum Beispiel“, stimmte er zu und ein kleines Lächeln stahl sich in seine Mundwinkel. Dann sah er wieder nach vorn, fuhr sich mit der Hand beiläufig durch die inzwischen feuchten Haare, die ihm widerspenstig in die Stirn fielen, während der Regen langsam kräftiger wurde. Aber auch das Tor der Lagerhalle kam bereits in Sicht. „Und wenn es so weiter geht, sind wir ohnehin so nass, dass wir getrost auch zum Schiff zurück laufen können.“ Wieder schwang leise Belustigung in seiner Stimme mit.
Shanaya warf dem Mann an ihrer Seite nur einen kurzen Seitenblick zu. Seine Antwort blieb so ernüchternd wie sie es in letzter Zeit gewohnt war – woran sie sich jedoch nicht gewöhnte. Erst mit seinen nächsten Worten huschte auch ein Lächeln über die Züge der jungen Frau, mit dem sie leicht den Kopf neigte. Dem hatte sie nun ihrerseits nichts hinzu zufügen, immerhin ein kleiner Erfolg. Bei den nächsten Worten ihres Captains machte die junge Frau zwei schnelle Schritte nach vorn, breitete die Arme aus und grinste ihm munter entgegen. Und noch bevor sie aussprechen konnte, was ihr auf der Zunge lag, das sie wirklich einfach zurück zur Sphinx gehen konnten, meinte sie ein leises Grummeln in der Ferne zu hören. Sofort schlug ihr Herz einige Takte schneller und passend dazu schienen die Wolken aufzubrechen. Sturzbach artiger Regen, der einem auf die Ferne die Sicht versperrte, prasselte auf sie hinab und ließ Shanaya jede Worte herunter schlucken. In Sekundenschnelle waren sie durchnässt, sodass sie sich nun doch mit etwas schnellerem Schritt zu der Lagerhalle bewegte. Ruhig vor sich hin nuschelnd. „Vielleicht finden wir ein bisschen Holz für ein Feuer zum Trocknen…?“ Wenn ein Gewitter aufzog, verließ sie diese Halle vorerst wahrscheinlich nicht so schnell.
Shanayas schnelle Bewegung zog Luciens Blick unwillkürlich auf die junge Frau. Und ebenso unwillkürlich stahl sich ein sanft-amüsiertes Schmunzeln auf seine Lippen. Der Ausdruck in den tiefgrünen Augen wurde eine Spur wärmer. So, wie sie da stand – mit ausgebreiteten Armen – wirkte sie fast, als wolle sie gleich im Regen tanzen. Scheiß auf die Lagerhalle. Scheiß auf klatschnasse Kleidung. Doch dieses Bild rief ihm auch mit aller Klarheit seine kleine Schwester ins Gedächtnis und das reichte vollkommen, um ihn den Blick ruckartig abwenden zu lassen. Glücklicherweise grummelte gerade in diesem Moment ein ferner Donner am Himmel und die Wolken über ihnen öffneten ihre Schleusen, sodass selbst der junge Captain überrascht den Kopf einzog. Innerhalb von Sekunden waren Haar und Kleidung vollkommen durchnässt. Sein Hemd klebte ihm am Körper. Und dieses Mal beschleunigten sie ihre Schritte doch merklich, was ihm ein leises Lachen entlockte. Gerade noch so gelassen, trieb es sie nun doch zügig in den nächstbesten Unterstand. „Eigentlich keine schlechte Idee, solange wir dabei nicht versehentlich das Lagerhaus in Brand stecken...“ Sie hatten inzwischen das Tor erreicht, das lediglich durch einen schweren, eisernen Riegel gesichert und nicht verschlossen war. Wachpersonal war weit und breit keines zu sehen. Also griff er kurzerhand nach dem Hebel, zog den Riegel auf und öffnete einen der beiden Torflügel gerade so weit, dass sie hindurchpassten. „Nach dir.“
Shanaya erwiderte, für den Moment, den es anhielt, das Lächeln des Mannes. Dass er den Blick von ihr abwandte nahm sie halbherzig wahr, war von dem fernen Donnern zu abgelenkt, um sich darüber Gedanken zu machen. Bewusst jedenfalls. Shanaya schüttelte die nassen Strähnen aus ihrem Gesicht, lachte Lucien dann offen entgegen, einen vielsagenden Blick in den blauen Augen. „Dann wird dir immerhin nicht kalt.“ Aber gut, sie hatten hier noch etwas zu erledigen… vielleicht sollten sie wirklich aufpassen, nichts abbrennen zu lassen. Seine Einladung, die Lagerhalle durch das geöffnete Tor zu betreten, ließ sie sich nicht zwei Mal sagen, schlüpfte hindurch und richtete sich direkt wieder um, um an Lucien vorbei durch die Tür zu spähen, bevor er sie schloss. Der Regen plätscherte unablässig auf die Erde, war deutlich auf dem Dach der Halle zu hören. Mit beiden Händen fuhr Shanaya sich über das Gesicht, auch wenn es nicht wirklich half. Erst dann ließ sie den Blick schweifen. Sie waren allein, ein paar vereinsamte Kisten standen herum, wirkten aber, als würden sie dort schon eine ganze Weile unangerührt stehen. „Es sieht so aus, als würde uns hier in nächster Zeit niemand stören.“ Shanayas Stimme blieb ruhig, während sie neugierig in die Mitte der Halle trat, den Blick nach oben gewandt.
Lucien schob sich direkt nach Shanaya durch den geöffneten Torspalt, zog die Tür mit einer ruhigen Bewegung hinter sich zu und schüttelte sich gleich darauf wie ein Hund das Wasser aus den Haaren. Tropfen spritzten in alle Richtungen davon, hinterließen feuchte kleine Kreise auf dem staubigen Boden, während er sich erneut mit der Hand durch die Haare fuhr – dieses Mal, um sie nach dem Schütteln wieder halbwegs in Ordnung zu bringen. „Dann wird mir wahrscheinlich nie wieder kalt“, kommentierte er amüsiert-spöttisch ihre Worte von draußen und ließ dann ebenfalls den Blick schweifen. Wortlos stimmte er ihrer Einschätzung zu: Hier war seit längerer Zeit niemand mehr gewesen und es würde – erst recht nicht bei diesem Wetter – wohl auch so bald niemand vorbeikommen. Bis das Trommeln des Regens über ihnen nachließ, wären sie also ungestört. Ein schwaches Unwohlsein schlich sich bei diesem Gedanken in seine Magengegend. Nicht, weil ihm ihre Gesellschaft zuwider war – im Gegenteil. Erst recht nicht, wenn sie unter sich waren. Doch zumindest in diesem Moment drängte sich das Gespräch mit Talin vor knapp einem Monat erneut in sein Bewusstsein. Wie schon die ganze Zeit. So sehr er seine kleine Schwester im Moment auch mied, so präsent war das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, seit Wochen in seinem Kopf. „Lass uns mal sehen, was in diesen Kisten ist. Vielleicht kann man daraus tatsächlich ein kleines Feuer machen.“ Damit schob er diese unwillkommenen Gedanken wieder einmal zur Seite und trat an eine der Kisten heran, die an der Seite der Halle standen. Ihr Deckel war wie auch die Lagerhalle selbst unverschlossen und als er ihn mit ein bisschen Kraft zur Seite schob, war ihm auch klar, warum. Darin befand sich nicht mehr, als ein dicker Berg Stroh zur Polsterung. Was auch immer darin gewesen war, war längst ausgeräumt worden. Zumindest... beinahe. Sein Blick fiel auf etwas dunkles, das zwischen dem Stroh hervor blitzte und als er sich vorbeugte und danach griff, förderte er eine einzelne Flasche Zutage, die augenscheinlich vergessen worden war. Das arme Ding. Er wandte sich an Shanaya und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich habe Holz, Stroh und ein bisschen was zu trinken. Alles da, damit uns wieder warm wird.“
Shanaya ließ den Blick in aller Ruhe schweifen, lauschte dabei dem Trommeln auf dem Dach über ihr. Für den Moment verdrängte Shanaya die Situation in der sie sich befand, mit wem sie sich hier befand. Bewusst ruhten ihre Augen nie länger als einen Moment auf Lucien, der sich selbst umblickte. Er sagte nichts, sodass die Schwarzhaarige ihre Aufmerksamkeit nicht zwangsweise zu ihm herum wenden musste. So bekam sie auch nichts von seinen Gedankengängen mit, konnte den eigenen, verwirrenden Gedanken nachhängen. Erst, als Lucien auf die Kisten zu sprechen kam, richtete die junge Frau sich zu ihm herum, nickte zustimmend und trat zu ihm und einer der Kisten hinüber. Direkt neben ihm kam sie zum Stehen, wartete geduldig, bis er den Deckel geöffnet hatte und hob eine Augenbraue, als sie den Inhalt erkannte. Stroh. Nicht sonderlich spannend, aber nützlich für ihren Plan, es in dieser Halle etwas angenehmer zu gestalten. Lucien schien noch etwas anderes aufzufallen und die junge Frau konnte ein Lachen nicht unterdrücken, als er eine volle Flasche aus der Kiste empor hob. „Sie hat auf uns gewartet.“ Und wer wusste schon, wie lange. Mit einem warmen Ausdruck neigte die junge Frau den Kopf erneut etwas zur Seite, kramte dann in ihrer Tasche, deren zum Körper gewandte Hälfte noch einigermaßen trocken war. Einige Herzschläge, bis sie drei Streichhölzer hervor holte. „Wie gut, dass ich immer für genau solche Fälle ausgerüstet bin.“ Mit der freien Hand strich sich Shanaya eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr immer wieder in die Augen fiel. „Wie es aussieht, sollten wir auch etwas hier drin bleiben, solange da draußen die Welt untergeht.“
Lucien lachte leise auf. „Scheint ganz so.“ Man könnte tatsächlich fast meinen, dass Alkohol in jedweder Form unweigerlich den Weg zu ihm fand. Als wüsste er, dass er bei ihm stets einen dankbaren Abnehmer fand. Und in diesem Falle wäre er sogar bereit, zu teilen. Ausnahmsweise. Er warf Shanaya einen kurzen Blick zu, beobachtete sie dabei, wie sie in ihrer Tasche kramte. Und als sie schließlich ein paar Streichhölzer hervorzauberte, lächelte er. „Sehr schön. Lass uns das Feuer in der Mitte machen, dort ist das Dach am höchsten.“ Er griff mit der freien Hand erneut in die Kiste, zog ein Bündel Stroh heraus und reichte es mitsamt der Flasche an die Schwarzhaarige weiter. „Hier, nimm du schon mal das. Ich zerlege den Deckel, dann sollten wir erst einmal genug Holz für die nächste Stunde haben. Vielleicht beruhigt sich das Wetter bis dahin schon wieder.“
Shanaya gab ein abschließendes, leises Seufzen auf die Worte des Mannes von sich. Wie auch immer dieser Alkohol hierher gekommen war und wer ihn hier vergessen hatte… Shanaya war dankbar auf eine absurde Weise. So erwiderte sie das Lächeln des Mannes, nickte dann ruhig. Ohne noch etwas dazu zu sagen, nahm die Schwarzhaarige das Stroh entgegen, klemmte es in eine lockere Umarmung, während sie die Flasche fest in der Hand hielt. „Ob das mit uns beiden wohl so gut in der Wildnis funktionieren würde?“ Ihr Lächeln nahm etwas schelmisches an. „Du wärst auf jeden Fall für Essensbesorgung zuständig, die weit über meinem Kopf liegen.“ Der Gedanke, an eine ihrer ersten, richtigen Begegnungen im Dschungel sandte ein leises, warmes Gefühl durch ihren Körper, lag auch in dem Lächeln auf ihren Lippen. Vielleicht gerade deswegen wandte sie sich in die Mitte der Halle, hebelte im nächsten Moment mit den Zähnen den Korken aus der Flasche – um sich einen ersten Schluck zu gönnen. Vielleicht half ihr das bei dem unbekannten Gefühl, dieses nicht ganz angenehme Kribbeln, wenn sie darüber nachdachte, die nächste Zeit hier mit Lucien allein zu sein. Aber nichts davon lag in ihrer Stimme. „Vielleicht locken wir mit dem Feuer ja ein paar Obdachlose an… Man weiß ja nie.“ Damit richtete sich Shanaya wieder zu dem Mann herum, als dieser mit dem Holz zu ihr trat. Ruhig reichte sie ihm das Stroh und schließlich die Streichhölzer. „Ich wäre einem schönen Stück Fleisch auf jeden Fall nicht abgeneigt.“
Lucien schmunzelte sacht. Auch seine Gedanken wanderten bei der Erwähnung höher gelegenen Essens zu jener frühen Begegnung im Dschungel, als sie versuchte, die Sternfrüchte vom Baum zu schlagen. „Allerdings bezweifle ich, dass ich in der Wildnis auch so erfolgreich über Flaschen voller Rum stolpere.“ Belustigung lag in seiner Stimme, bis Shanaya sich ab- und er sich dem Deckel der Kiste zuwandte. Mit seinem Dolch brach er etwas mühsam die Querleisten heraus, hielt die übrigen Bretter mit dem Fuß auf dem Boden, bis sich die Nägel ganz und gar lösten. Der Rest fiel beinahe von selbst auseinander. Dann hob er den Stapel Holz vom Boden auf und folgte Shanaya zur Mitte der Halle, wo sie mit der bereits geöffneten Flasche stand. Nur kurz warf er ihr einen amüsiert-skeptischen Blick zu, hob dabei eine Braue und ließ das Holz zu Boden fallen, bevor er ihr Stroh und Streichhölzer abnahm. „Oh, ich hoffe, du schlägst grad nicht vor, ein paar Obdachlose zu grillen. Ich glaube nicht, dass ich diesem Gedanken viel abgewinnen kann.“ Er ging in die Knie, knüllte den Ballen Stroh zu einem lockeren Haufen zusammen und brach zwei der Bretter in der Mitte durch, die einmal der Kistendeckel gewesen waren. Das alles schichtete er zu einem kleinen Haufen auf, bevor er eins der Streichhölzer an einer weiteren Leiste entzündete und es vorsichtig an das gut getrocknete Stroh hielt. Fast sofort fing es Feuer und nur ein paar Herzschläge später züngelten die Flammen bereits am Holz empor. „So weit so gut...“
„Ja… das könnte sich etwas schwieriger gestalten…“ Fast ein wenig abwesend nickte die Schwarzhaarige über die Worte des Mannes, hob dann die Flasche an die Lippen, um einen kleinen Schluck zu trinken. Das Zeug brannte gut, vielleicht auch einfach, weil sie noch immer nicht viel und oft Alkohol gewohnt war. Irgendwann würde sich sicher auch das ändern. Als Lucien mit dem Holz zu ihr hinüber trat und ihr das nötige Feuermaterial abnahm, bedachte sie den Dunkelhaarigen mit einem kurzen Blinzeln, dem dann ein etwas angewidertes Schaudern folgte. „So verzweifelt bin ich noch lange nicht.“ Nur den winzigen Hauch eines Augenblicks zögerte die junge Frau, sprach weiter, bevor sie sich zurück halten konnte. „Eher würde ich dich anknabbern.“ Sie zwinkerte dem Mann zu, nicht so ausgelassen, wie es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Ihr Captain kniete sich hin, Shanaya trat wieder etwas näher zu ihm und beobachtete, wie er das Stroh anzündete, von dem sofort eine kleine, warme Woge zu ihr nach oben schwebte. Shanaya trank noch einen Schluck, hielt dem Mann schließlich die Flasche mit fragendem Blick hin. Erst, als sie wieder freie Hände hatte, machte sie sich daran, die Schnüre ihrer Stiefel zu öffnen, um schließlich aus ihnen hinaus zu schlüpfen. Ein Versuch, der Stille um sie herum zu entfliehen, die ihr Herz ein wenig schneller schlagen ließ. „Wir würden schonmal nicht erfrieren, immerhin.“ Sie richtete den Blick wieder direkt auf Lucien. „Was hattest du in der Stadt zu erledigen? Oder hast du mir etwa aufgelauert?“ Sie lächelte ihm entgegen. Sanft, warm, mehr Zuneigung in den blauen Augen als sie beabsichtigt hätte.
Lucien gab ein leises Schnauben von sich. „Solange du mich nicht in Scheibchen schneidest und übers Feuer hältst...“ Er verlagerte das Gewicht leicht nach hinten, bis er in der Hocke stand und hob dann den Blick, nur um die Flasche mit dem Alkohol direkt vor seiner Nase zu haben. Und die kam ihm gerade mehr als gelegen. Mit einem gutmütigen „Danke“ nahm er ihr die Flasche ab, genehmigte sich gleich im Anschluss einen großen Schluck und sah der Schwarzhaarigen aus dem Augenwinkel dabei zu, wie sie ihre Stiefel auszog. Etwas, das er ihr unbedingt nachtun sollte. Zunächst jedoch wanderte ein zweiter Schluck seine Kehle hinab, bevor er die Flasche neben dem kleinen Feuer abstellte und dann die übrigen Holzleisten zu sich heranzog, um sie nach und nach in handlichere Stücke zu zerbrechen. Für einen Moment huschte dabei ein Schmunzeln über seine Lippen. „Ich glaube, um dir aufzulauern, hätte ich eher auf dem Schiff gewartet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass deine Liebe zur Sphinx stark genug ist, um dich immer wieder zu ihr zurückzuführen.“ Sanft amüsiert schüttelte er dann jedoch den Kopf. „Ich war geschäftlich dort. Hab Informationen gekauft.“ Ohne aufzusehen drehte er die Frage schließlich um. „Was ist mit dir? Was treibt dich so um, dass du versuchen musst, den Kopf frei zu kriegen?“
Lucien reagierte auf ihre Worte – und trotzdem anders als sie es gewohnt war. Sie schüttelte nur den Kopf, lachte leise. „Das behalte ich auf jeden Fall im Hinterkopf, solltest du Mal wieder einen schönen Spitznamen für mich raus kramen.“ Ihr Blick sagte ihm eindeutig, welchen Namen sie meinte. Er nahm die Flasche entgegen, blieb jedoch in der Hocke, sodass Shanaya für einige Herzschläge die Augen schloss, auf das Prasseln des Regens lauschte. Es wurde nicht weniger, eher hatte sie das Gefühl, er wurde lauter, stärker. Und ihr Gemüt damit ein wenig schwerer. Irgendetwas zog an ihr, schwerer, als die Kleidung, die nass an ihrem Körper klebte. Etwas, das das Feuer nicht einfach so trocknen und vertreiben konnte. Die Antwort des Mannes entlockte ihr ein Lachen, dem ein leises, ergebenes Seufzen folgte, das ihm genug verraten würde. Er hatte wahrscheinlich mehr als Recht damit. Ein innerer Impuls verlockte Shanaya dazu, die Hand zu heben, dem Mann, der vor ihr hockte, kurz durch die nassen Haare zu streichen, als sie sich an ihm vorbei in Bewegung gesetzt hatte, auf die andere Seite des Feuer trat. Dort ließ sie sich in einen Schneidersitz auf den Boden sinken, die Augen noch einen Moment geschlossen und die warme, rauchige Luft einatmend. Auch mit der Frage ihres Gegenübers ließ sie die blauen Augen geschlossen, öffnete erst nach einiges Herzschlägen ihr rechtes Auge. Sie ließ ihn nicht merken, dass sie sich vor ihrer Antwort auf die Zunge gebissen hatte. „Nichts Besonderes. Manchmal muss ich einfach allein sein, über Dinge nachdenken, über die ich nicht nachdenken möchte, wenn ich ständig angesprochen werde… oder wenn ich mich auf meine Arbeit konzentriere.“ Jetzt bereute sie es, von der Flasche weg getreten zu sein. Auf der anderen Seite entspannte sich zumindest ein Teil ihres Geistes. Wenn auch nicht so, dass sie wirklich zur Ruhe kommen würde.