02.07.2022, 16:17
Man sah ihm an, dass er sich nicht ganz sicher war, ob er ihr das glauben sollte oder nicht. Aber Alex versuchte in diesem Augenblick auch nicht, ein Geheimnis daraus zu machen. Neugier war zweifellos eine Eigenschaft, die er ihr zusprach, ansonsten wäre sein Plan bis hier hin vermutlich nicht besser aufgegangen, als er es sich erhofft hatte. Ganz davon ab, verstand er die Gier nach Dingen, die man nicht erfahren sollte, umso mehr. In seinen Gedanken keimte die Möglichkeit, dass sie heute vielleicht wirklich irgendetwas herausfinden würden. Die Aussicht auf Bereiche in einer Bibliothek, in die man nicht sollte, reizte ihn nämlich ebenso wie Soula durchblicken ließ. Was diesem Plan allerdings einen Dämpfer verpasste, war die Tatsache, dass er nicht viel mit Büchern anzufangen wusste – oder viel mehr mit dem Wissen, das sie vor ihm geheim hielten. Selbst, wenn sie in einen solchen Bereich kamen, hatte er also absolut gar nichts davon, musste sich auf Soula verlassen und gleichzeitig hoffen, dass sie keinen Verdacht schöpfte. Er war sich nicht sicher, ob ihm das das Risiko wert war. Und blindlinks irgendein Buch mitgehenzulassen, war so dämlich, wie die falsche Goldmünzen aus einem Schatz zu klauen.
Ihre Einstellung auf die Sache mit dem Fremdgehen nahm er mit leiser Überraschung zur Kenntnis. Nicht per se die Entscheidung, viel mehr die Entschlossenheit und Nachdrücklichkeit, mit der ihr das Wort über die Lippen ging. Die gehobenen Kreise wussten ihren Nachwuchs scheinbar zu erziehen und in das Muster zu pressen, in das sie ihn haben wollten. Es schickte sich nicht. Für Frauen noch viel weniger als für Männer – bei Letzteren konnte man nämlich immer noch behaupten, dass es um Geld und Ansehen ging. Die Toleranz, die sie ihm daraufhin allerdings offenbarte, konnte unmöglich aus diesen Kreisen kommen. Vermutlich hätte sie sich zuhause im Stübchen eine saftige Ohrfeige dafür eingefangen, allein darüber nachzudenken. Alex nahm es mit einem langsamen Kopfnicken zur Kenntnis, blieb ihr eine Beurteilung aus seiner Sicht allerdings – abgesehen von einem undurchsichtigen Schmunzeln - schuldig. Erst, als sie sicher verkündete, dass man sie nicht direkt mit ihnen in Verbindung brachte, musste er lachen.
„Ledrige Haut, Skorbut, das Holzbein – kommt alles noch früh genug.“, warnte er sie scherzhaft vor und zwinkerte.
Als das Thema schließlich auf Kieran fiel, dämmerte es ihm, dass Soula diesbezüglich entweder die Augen verschloss oder Kieran seine Blicke ziemlich gut vor ihr zu verbergen wusste. Oder, dass sie den Bogen nicht geschlagen hatte. Auch, als sie James mit in den Topf nahm, gab es ihm keine Gewissheit darüber, ob sie verstanden hatte, was genau er angedeutet hatte. War ihm aber auch spätestens dann egal, als die Erinnerung an jenen Tag trotz allem, was sie erlebt hatten, ein flüchtiges Grinsen auf die Züge zauberte.
„Hach. Ich bin mir sicher, dass es noch lustig mit ihm geworden wäre.“, sagte er offen mit dem entrüsteten Gesicht James‘ vor dem inneren Auge. Noch bevor er fortfahren konnte, bewies Soula doch, dass sie wusste, dass es nicht um sie sondern um ihr Anhängsel ging. Alex verzog die Lippen nur minder begeistert von dieser Idee, versuchte es dann aber hinter einem Lächeln zu verbergen. „Ich habe keine Vorurteile. Bislang hast du vieles davon auf deine Art bestätigt.“
Wenn er etwas gern tat, dann ablenken – und das ziemlich selbstzufrieden. Das änderte sich auch nicht, als Soula zu einem neuen Seitenhieb ansetzte, der ihn abermals zum Lachen brachte. Davon ab – berechtigte Frage. Eine, die er sich selbst lieber nicht stellte, um weiter unbesorgt davon ausgehen zu können, dass es nicht so war.
„Warum? Soll ich dich dann mit einem von ihnen verkuppeln?“, spielte er dann auf ihr zartes Alter an, das er nicht punktgenau schätzen konnte. Jung jedenfalls, vermutlich nicht einmal volljährig. Und wenn er zurückrechnete – Sein erster Spross hätte jetzt auch schon gut vierzehn sein können. Nur, dass er von dem vermutlich noch erfahren hätte. Er ließ sie nicht lange schmoren, ehe er mit einem Schulterzucken fortfuhr und ihr erstaunlich offen begegnete. „Nein. Keine, von denen ich wüsste, jedenfalls.“
Oder wissen wollte. Er hatte die Stimme gesenkt und kaum, dass er ausgesprochen hatte, wandte sich auch schon ein Mitarbeiter der Bibliothek an sie. Alex schwieg fürs Erste und überließ Soula das Reden, während er die Gestalt unauffällig musterte. Dann allerdings kam ihm die Idee, dass es ihre Suche doch um einiges vereinfachen würde, wenn er ihnen beim Suchen half. Er hatte keine Ahnung, wonach er hier suchen sollte und wenn einer diese Hallen kannte, dann doch er? Er öffnete den Mund, spürte aber, wie ihn etwas von der Seite weiter und an dem Gelehrten vorbei drückte. Alex setzte sich widerwillig in Bewegung, lächelte dem Gelehrten kurz zu, als wäre gar nichts Auffälliges dabei und warf ihm dann einen prüfenden Blick über die Schulter zu, ehe er sich in Soulas Richtung lehnte.
„Was sollte das? Der hätte uns doch helfen können und wir wären in Nullkommanichts wieder hier rausgewesen.“
Unverständnis lag in seiner Stimme, doch er respektierte Soulas Entscheidung insofern, dass er sie nicht abgeschüttelt und wieder zurückgedackelt war, um trotzdem zu fragen. Schließlich standen sie auch schon vor einer größeren Halle, in der sich Bücherreihen um Bücherreihen aufreihten. Ihm wurde bewusst, dass er den Anblick nach all der Zeit irgendwie unterschätzt hatte. Er seufzte erschlagen.
„Sicher, dass wir selbst suchen wollen?“