27.06.2022, 22:41
Die Nachwirkungen des feuchtfröhlichen Abends vor zwei Tagen hatten sich unangenehmer Weise noch bis in den späten Abend des Vortages hineingezogen. Der Lockenkopf konnte wirklich nicht sagen, wann er zuletzt so lange mit den (Fehl-)Entscheidungen einer Nacht zu kämpfen gehabt hatte. Ihm fehlten noch immer einige Erinnerungsfetzen, aber da sowohl er als auch Skadi unverletzt waren und bisher niemand versucht hatte, sie umzubringen, ging er optimistisch davon aus, dass nichts von dem, was sie in dieser Nacht getrieben hatten, weitreichendere Konsequenzen mit sich brachte. Er hoffte, dass das Schicksal ihn nicht noch eines Besseren belehrte.
Die vergangene Nacht jedenfalls hatten Skadi und er noch einmal die Annehmlichkeiten eines Zimmers in der Taverne zu schätzen gewusst. Zwar hatten Appetitlosigkeit und Kopfschmerzen im Laufe des Tages nachgelassen, doch das Gefühl von Elend und Müdigkeit war geblieben, sodass ein weiches Bett mit festem Stand – und ihre Ruhe - tausendmal verlockender gewesen waren. Nicht zuletzt, weil nicht nur der Kater Skadi seit gestern zu schaffen machte und ihm mehr oder minder die Hände gebunden waren, irgendetwas für ihr Wohlbefinden zu tun. Nach einem ausgiebigen Frühstück hatten sie sich letztlich getrennt, um ihren eigenen Erledigungen nachzugehen. Auch, wenn Enriques Verschwinden noch immer ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend hinterließ, hatte er sich der Nordskov nicht aufgedrängt und schlenderte nun stattdessen allein durch die Straßen. Doch obwohl er vor hatte, sich nach Pergament und Farbe umzusehen, war er gedanklich nicht ganz bei der Sache. Abwesend strichen seine Finger über das zweite lederne Band um sein Handgelenk, an dem mehrere, verschiedenste Muscheln aufgefädelt waren, als ihn plötzlich ein kleiner Wirbelwind aus seiner Welt riss.
Im ersten Moment schafften es seine Gedanken nur träge, sich von Skadi zu lösen, doch nichts an diesem Überraschungsangriff trug die Handschrift der Nordskov. Etwa zeitgleich mit Shanayas neckendem Vorwurf, zählte sein Kopf Eins und Eins zusammen und ein überrumpeltes, aber keineswegs unfreundliches Lächeln wanderte in seine Mundwinkel hinauf.
„Ist jetzt die Frage, auf wen von uns beiden das ein schlechteres Licht wirft.“, zog er sie beide auf und grinste. Ihre gute Laune war erfrischend und sagte ihm, dass sich irgendein Knoten in ihrem Kopf gelöst hatte. Er gönnte es ihr. „Hibiskus?“ Er steckte die Hand locker in die Hosentasche, damit sich die Schwarzhaarige einfacher einhängen konnte. Dann lehnte er sich leicht in ihre Richtung und schnupperte. „Oder Hyazinthe?“
Er unterzog die Jüngere eines prüfenden Blickes, während er angestrengt überlegte, welche exotische Blüte sie meinen konnte. Dann lachte er. So, das war also ihr Plan für heute? Vielsagend warf er einen Blick über ihre Schulter, ehe er wieder zu Shanaya hinübersah.
„Und die Scharr deiner Verehrer kommt gleich um die Ecke? Brauchst du mich als Ausrede oder als Entscheidungshilfe?“
Nur, damit er sich schon mal auf die Aufgabe vorbereiten konnte, die ihm bevorstand.