27.06.2022, 16:43
Was er – unter anderem – an seinem Leben liebte? Dass man im Grunde nirgends fremd war. Und damit bezog er sich nicht auf die Tatsache, dass sämtliche Marine-Stützpunkte und Kopfgeldjäger inzwischen Jagd auf sie zu machen schienen. Im Gegenteil, denn diesen Teil seines Lebens hatte er auch schon vor jenem Abend in der Taverne auf Tokara gehabt. Auch, wenn er die Gestalt, mit der er heute Abend verabredet war, tatsächlich erst kennengelernt hatte, als er bereits Mitglied der Crew der Sphinx gewesen war. Unabhängig von ihnen allerdings. Liam war schon immer ein Mensch gewesen, der offen durch die Welt lief, hier und da Bekanntschaften machte und somit nicht selten über bekannte Gesichter stolperte. Gesichter, die Menschen gehörten, die ähnlich wie er stetig auf Reise waren und keine Heimat kannten. Vielleicht war das ein Umstand, der verhinderte, dass man sich ständig einsam fühlte. Denn irgendwie war man ja doch nie allein. Ganz gleich, ob es alte oder neue Freunde waren, mit denen man die Zeit teilte.
Was sich nebst seiner Aufgeschlossenheit allerdings auch nicht verändert hatte, war seine Zerstreutheit, die dafür verantwortlich war, dass er auch an diesem Abend ein wenig knapp kalkuliert hatte, was die Zeit betraf. Sie hatten vor Sonnenuntergang ausgemacht, doch als Liam zwischen den Feldern auftauchte, färbte sich der Horizont bereits rötlich. Ein paar Minuten zu spät vielleicht, war er sich sicher. Er hatte die Zeit einfach irgendwie nicht im Blick gehabt. Sowieso – was genau Arik von ihm lernen wollte, wusste er sowieso noch nicht. Es gab weitaus fähigere Kandidaten, die wussten, wie man richtig mit einem Dolch umging. Er hatte es nie irgendwo gelernt. Seine Fähigkeiten waren viel mehr den Gelegenheiten – ober viel mehr Notwendigkeiten - entsprungen, in denen er sie gebraucht hatte. Für ein bisschen Grundwissen reichte es wohl. Davon hatte zumindest Arik ihn überzeugt, als er ihn dazu überredet hatte, ihm etwas davon beizubringen.
Wie der Wahrsager gesagt hatte, glaubte der Lockenkopf recht schnell, die Baumgruppe innerhalb des Fliedermeers ausgemacht zu haben, die er als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Je näher er kam, desto deutlicher wurde auch die Gestalt, die bereits im Schatten der Bäume auf ihn zu warten schien.
„Hey.“, rief er und hob eine Hand zum Gruß, kaum, dass er in Hörweite war. „Entschuldige die Verspätung. Irgendwie hab‘ ich mich verzettelt.“
Er wusste nicht einmal genau, womit er sich verzettelt hatte. Plötzlich war die Zeit einfach verstrichen gewesen, während er mit Shanaya getüftelt und gerätselt hatte.
„Ein schönes Plätzchen. Fürchte, das muss ich dir nochmal streitig machen, solange wir hier sind. So viel Flieder habe ich glaube ich noch nie an einem Fleck gesehen.“
Dann allerdings nicht mit einem Dolch oder einer sonstigen Waffe – viel mehr mit Pergament und ein wenig Kohle oder Bleistift.