02.06.2022, 22:38
Als Shanaya den Kohlestift entgegen nahm und den Blick dabei für einen Moment senkte, sah Lucien sie dabei unverwandt an, beobachtete jede ihrer Regungen, den Ausdruck auf ihren Zügen. Und er meinte neben der ihm schon so vertrauten Leidenschaft für alles, was mit Navigation und Karten zu tun hatte, auch eine gewisse Schüchternheit, eine Scheue zu erkennen, die nicht ganz zu der immer schlagfertigen jungen Frau passte. Zumindest nicht im Umgang mit ihm. Wenn sie unter sich waren, gab es keinen Grund, schüchtern zu sein. Außer... ja, außer... Einerseits fand er ihre Reaktion unheimlich niedlich. Wohl gerade deshalb, weil er sie als als so tough kannte. Andererseits bereitete sie ihm auch umso mehr Sorgen. Die Sorge, dass Talin Recht haben könnte. Dass es ernster wurde, als es sein sollte.
Nichts davon sprach er aus. Das war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit dafür. Stattdessen huschte lediglich ein Lächeln über seine Lippen. Sanft und nicht ohne eine Spur warmer Zuneigung. „Klingt nicht schlecht. Und wo liegt sie, diese Insel?“ Er legte die Hände flach auf die beiden Seiten des leeren Pergaments und hielt das Blatt damit fest an Ort und Stelle, hielt den Blick darauf gerichtet, während er auf ihre Erzählung lauschte und wartete, dass sich die leere Seite mit feinen Linien füllte.
Shanaya bekam von Luciens Gedanken nichts mit. Ihr blauer Blick ruhte nachdenklich auf dem Papier, grüblerisch, noch nicht ganz schlüssig. Sie hatte das Bild dazu genau im Kopf, gerade schien ihr Verstand jedoch ein wenig abgelenkt. Shanaya schluckte, verdrängte es damit und hob nur die Augen zu Lucien, lächelte bei seiner Frage warm, während ihr die Hände auf das Pergament legte.. "In einer Welt ohne Namen. Zumindest hat sie noch keinen, der kommt erst, wenn ich noch ein paar Inseln zusammen habe." Sie wog den Kopf ein wenig zur Seite. "Und irgendwann suchen die Leute damit nach der neunten Welt." Damit lehnte sich die Schwarzhaarige nach vorn, bis die Zähne fest aufeinander. Sie begann mit dem Umriss der Insel, fing am nördlichsten Punkt zwischen Luciens Händen an, einen feinen Kreis mit kleinen Buchten zu zeichnen. "Du willst doch Geld für die Crew verdienen..." kurz hob Shanaya den Blick, ehe sie sich wieder auf die Zeichnung konzentrierte. "Ob echte oder leicht... verfälschte Karten... wir könnten davon welche verkaufen, die ich einfach so zeichne."
Der erste Teil ihrer Antwort ließ Lucien zunächst sacht schmunzeln. Eine Welt ohne Namen – das hatte beinahe etwas Mystisches. Doch als sie fortfuhr, zog er unwillkürlich eine Braue in die Höhe. Nicht etwa, weil er ihre Gedanken als Spinnerei abtat oder spottete, sondern teils aus Überraschung, teils durchaus angetan von dieser Idee. Warum eigentlich nicht? Er hatte längst angefangen, auch ins Schmugglergeschäft zurückzukehren. Warum das Geschäft nicht um eine Sparte erweitern? Gefälschte Karten, gefälschte Dokumente – er war sich ziemlich sicher, dass Shanaya mit ihren Fähigkeiten auch Handschriften problemlos würde kopieren können – ließen sich sicherlich zu gutem Geld machen. Darüber hinaus befanden sie sich in der vorteilhaften Position, nie länger an einem Ort zu bleiben. Ehe also jemand herausfand, welchem Schwindel er aufgelegen war, hatten sie längst Segel gesetzt. „Ist eigentlich gar keine schlechte Idee...“ Sein Schmunzeln vertiefte sich, nahm einen entschlosseneren und zugleich amüsierten Zug an. „Meinst du, du kriegst es hin, eine Karte möglichst alt und wertvoll aussehen zu lassen? Wenn wir eine gute Geschichte darum spinnen und sie den richtigen Leuten präsentieren, kriegt man für eine Schatzkarte mindestens eine Stange Gold. Oder ein paar wirklich gute Informationen im Austausch...“
Shanaya hob nicht noch einmal den Blick, um auf Luciens Reaktion zu achten. Die blauen Augen ruhten auf den Linien, die sie bisher auf das Pergament gebracht hatte. Den nicht ganz runden Kreis, der langsam Form annahm. Trotzdem schmunzelte sie bei seinen Worten, hielt die Finger jedoch nicht still. „Ich habe eigentlich nur gute Ideen, das weißt du doch.“ Sie sachte das so ruhig nebenher, Worte, die sie vollkommen ernst meinte! Seine Frage ließ ihre Hand dann doch inne halten, ehe sie mit vorwurfsvoller Miene den Blick zu dem Dunkelhaarigen hob. Mit einem Pusten beförderte sie eine Strähne aus ihrem Gesicht. „Wann hörst du endlich auf, so etwas zu fragen! Natürlich bekomme ich das hin.“ Sicherheit lag in ihrer Stimme, das Lächeln auf ihren Lippen schwang jedoch auch darin mit. Ihre Augen richteten sich wieder auf die Karte vor sich. „Ich denke auch, dass für gute Karten viel Gold den Besitzer wechselt… Abgemacht. Nach dieser Karte starte ich mit einer neuen… Geschäftsidee.“ Nun war die Vorfreude in ihrer Stimme nur sehr schwer zu überhören.
Lucien gab ein amüsiertes Glucksen von sich, während er den Blick wieder auf die Karte senkte und den Linien dabei zusah, wie sie nach und nach Küste und Berge zu formen begannen. „Stimmt, hatte ich fast vergessen“, erwiderte er mit sanftem, freundschaftlichem Spott in der Stimme. Ihre Hand hielt für einen Moment inne und der Dunkelhaarige hob den Kopf, nur um ihrem beinahe strafenden Blick zu begegnen. Ein Anflug von Schalk blitzte in seinen Augen auf, doch immer noch etwas zurückhaltender als sonst und auch seine Antwort fiel alles andere als provokant aus. „Natürlich bekommst du das hin...“, wiederholte er schlicht ihre Aussage mit ruhiger Zustimmung, nicht aber ohne ein Lächeln in seinem Unterton. Er hatte keinen Zweifel daran. Auch nicht daran, dass sie bei dieser Geschäftsidee sofort mitziehen würde – zumal es schließlich ihre Idee gewesen war. „Gut, ich würde sagen... du hast Zeit, bis wir den nächsten Hafen anlaufen. Bis dahin solltest du ein paar präsentable Stücke vorbereitet haben. Eventuell finde ich dafür auch einen passenden Käufer.“ Und eventuell hatte er dafür auch schon eine Idee.
Shanaya blickte nicht noch einmal zu Lucien auf, als der ihre Worte nur noch einmal bestätigte. Die Ruhe, mit der er ihre nächsten Worte jedoch wiederholte, brachten die junge Frau etwas ins Stocken. Wieso konnte sie nicht verstehen, nicht greifen. Sie verlagerte also ihr Gewicht etwas, genoss das Ziehen in ihrer Schulter dabei fast. Sie schnaufte leise, hielt noch einmal inne und betrachtete das Pergament vor sich. „Das sollte machbar sein.“ Wieder hob die junge Frau den Blick, schmunzelte über einen Gedanken, der ihr dazu kam. „Wie lange es wohl dauert, bis jemand mir meine eigene Karte als die ultimative Schatzkarte andrehen will?“ In ihrer Vorstellung ein absurdes, amüsantes Bild. Nun fing sie an, in die Mitte der Insel einen See zu zeichnen. Groß genug, um die Insel fast auszufüllen, noch genug Platz für ein Gebirge lassend, das ihn umgeben würde. „So geht es wirklich besser. Du hättest sehen sollen, wie ich mich auf dem Boden rum gerollt habe, um dieses Papier irgendwie fest zu halten…“
Ihr Unwohlsein über sein Verhalten bekam Lucien nicht mit, schrieb das – wenn überhaupt – ihrem konzentrierten Arbeiten zu und senkte lediglich den Blick wieder auf die Insel, die vor ihm Gestalt annahm. Dennoch stahl sich ob ihrer Worte ein weiteres Lächeln auf seine Lippen. Milder dieses Mal, weniger amüsiert. „Wenn wir genug davon in Umlauf bringen? Wer weiß!“ Er sah zu, wie sie den See in die Mitte der Insel zeichnete, die längst so weit war, dass man Gebirge und Land gut erkennen konnte. Dann stieß er ein leises, sanft-spöttisches Schnauben aus, ohne zu Shanaya aufzuzsehen. „Ich kann es mir vorstellen. Vor allem nach diesem Zettelgemetzel hier unten...“ Konnte er wirklich. Ihr Frust steckte in jedem einzelnen, wütenden Gekritzel und jedem wirr herumliegenden Blatt. „Ist sie eigentlich bewohnt, diese Insel?“ Und um zu verdeutlichen, dass er sich auf die Insel zwischen ihnen bezog, nickte er deutend nach unten, bevor er flüchtig den Blick zu ihr hob.
Shanaya schmunzelte noch immer über die Vorstellung, wie jemand versuchte, ihr ihre eigene Karte zu verkaufen. Gott, sie würde den Künstler wirklich in den Himmel loben. Ein Meister seines Faches! Ein belustigtes Schnauben drang über ihre Lippen, ehe sie mit der gesunden Schulter zuckte. „Du siehst, wieso ich mich nach hier unten verzogen habe. An Deck hätte mir der Wind das Papier noch weg geweht. Dann hätte ich mindestens den Mast verprügelt und jetzt vermutlich noch eine kaputte, rechte Hand.“ Nur kurz huschte ihr blauer Blick zur Seite, betrachtete die anderen Blätter und grübelte dann mit einem leisen, nachdenklichen Ton über Luciens Frage. „Noch nicht. Also… wenn du willst, darfst du dir gern dazu etwas ausdenken. Vielleicht eine Insel voller Drachenritter?“ Mit einem Lächeln hob die Schwarzhaarige den Blick, richtete ihn kurz auf Luciens Degen und dann zurück zu dem See, der fast fertig gezeichnet war.
Lucien lächelte bereits wieder sacht und senkte den Blick erneut auf das Blatt zwischen ihnen. Tatsächlich konnte er ihre Flucht in den Bauch der Sphinx gut verstehen. Und auch ihr Bedürfnis, sich die Hand am Mast kaputt zu schlagen. „Und glücklicherweise habe ich dich hier unten gefunden. Denn hättest du mich nicht, hättest du dieses hübsche kleine Eiland nicht aus deinem Kopf herauszeichnen können“, stellte er mit einem Lächeln fest. Untypischerweise dieses Mal ganz ohne den Hintergedanken an eine mögliche körperliche Gegenleistung. Im Moment stand ihm ganz und gar nicht der Sinn danach und er hätte es ob der Schlinge, in der ihr Arm noch steckte, wahrscheinlich auch nicht in Erwägung gezogen, wäre seine Stimmung eine andere. Schließlich lenkten ihre Worte seine Gedanken ohnehin auf ein ganz anderes Thema, ließ sie abdriften in eine ferne Vergangenheit, eine blasse Erinnerung. An einen Jungen, der Geschichten liebte. Geschichten wie die, die sie ihm gerade anbot. „Hmm..“, machte er halb in diesen Gedanken versunken. „Gefällt mir, diese Idee. Und vielleicht leben sie dort, weil sie ein Geheimnis zu beschützen haben...“, spann er das Bild unwillkürlich weiter. „Vielleicht den Zugang zu einer anderen Welt. Der Achten, vielleicht.“ Und nun musste er schmunzeln. „Dann würde ich diese Insel wirklich gerne mit eigenen Augen sehen.“
Shanaya beantwortete Luciens Worte mit einem warmen Lächeln. Ohne ihn hätte sie diese Karte nicht fertig bekommen, das waren wahre Worte. Und in ihrem Blick, dem Lächeln lag dafür Dankbarkeit, die sie in diesem Moment jedoch nicht aussprach, viel mehr konzentrierte sie sich darauf, die besagte Insel fertig zu stellen, bevor ihre Schulter ihr einen Strich durch die Rechnung machen konnte. Luciens Idee, die er zu den Bewohnern weiter spann, gefiel der Schwarzhaarigen ungemein, sie nickte also mit einem begeisterten Lächeln. „Vielleicht finden wir irgendwann genau diese Insel.“ Der Gedanke gefiel ihr, ließ die Striche, mit denen sie nun das Gebirge zeichnete, noch ein wenig leidenschaftlicher werden. Gemeinsam dachten sie sich noch mehr zu den Bewohnern aus, zu ihrer Aufgabe. Bis Shanaya sich etwas aufsetzte, den Rücken durchstreckte und mit einem zufriedenen Lächeln den Blick zu Lucien hob. „Fertig ist die Drachenritterinsel. Und wenn ich jetzt die Schulter nicht etwas entlaste, verprügelt Gregory mich bestimmt. Oder du.“ Sie lächelte – und noch immer lag Dankbarkeit darin.
Nichts davon sprach er aus. Das war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit dafür. Stattdessen huschte lediglich ein Lächeln über seine Lippen. Sanft und nicht ohne eine Spur warmer Zuneigung. „Klingt nicht schlecht. Und wo liegt sie, diese Insel?“ Er legte die Hände flach auf die beiden Seiten des leeren Pergaments und hielt das Blatt damit fest an Ort und Stelle, hielt den Blick darauf gerichtet, während er auf ihre Erzählung lauschte und wartete, dass sich die leere Seite mit feinen Linien füllte.
Shanaya bekam von Luciens Gedanken nichts mit. Ihr blauer Blick ruhte nachdenklich auf dem Papier, grüblerisch, noch nicht ganz schlüssig. Sie hatte das Bild dazu genau im Kopf, gerade schien ihr Verstand jedoch ein wenig abgelenkt. Shanaya schluckte, verdrängte es damit und hob nur die Augen zu Lucien, lächelte bei seiner Frage warm, während ihr die Hände auf das Pergament legte.. "In einer Welt ohne Namen. Zumindest hat sie noch keinen, der kommt erst, wenn ich noch ein paar Inseln zusammen habe." Sie wog den Kopf ein wenig zur Seite. "Und irgendwann suchen die Leute damit nach der neunten Welt." Damit lehnte sich die Schwarzhaarige nach vorn, bis die Zähne fest aufeinander. Sie begann mit dem Umriss der Insel, fing am nördlichsten Punkt zwischen Luciens Händen an, einen feinen Kreis mit kleinen Buchten zu zeichnen. "Du willst doch Geld für die Crew verdienen..." kurz hob Shanaya den Blick, ehe sie sich wieder auf die Zeichnung konzentrierte. "Ob echte oder leicht... verfälschte Karten... wir könnten davon welche verkaufen, die ich einfach so zeichne."
Der erste Teil ihrer Antwort ließ Lucien zunächst sacht schmunzeln. Eine Welt ohne Namen – das hatte beinahe etwas Mystisches. Doch als sie fortfuhr, zog er unwillkürlich eine Braue in die Höhe. Nicht etwa, weil er ihre Gedanken als Spinnerei abtat oder spottete, sondern teils aus Überraschung, teils durchaus angetan von dieser Idee. Warum eigentlich nicht? Er hatte längst angefangen, auch ins Schmugglergeschäft zurückzukehren. Warum das Geschäft nicht um eine Sparte erweitern? Gefälschte Karten, gefälschte Dokumente – er war sich ziemlich sicher, dass Shanaya mit ihren Fähigkeiten auch Handschriften problemlos würde kopieren können – ließen sich sicherlich zu gutem Geld machen. Darüber hinaus befanden sie sich in der vorteilhaften Position, nie länger an einem Ort zu bleiben. Ehe also jemand herausfand, welchem Schwindel er aufgelegen war, hatten sie längst Segel gesetzt. „Ist eigentlich gar keine schlechte Idee...“ Sein Schmunzeln vertiefte sich, nahm einen entschlosseneren und zugleich amüsierten Zug an. „Meinst du, du kriegst es hin, eine Karte möglichst alt und wertvoll aussehen zu lassen? Wenn wir eine gute Geschichte darum spinnen und sie den richtigen Leuten präsentieren, kriegt man für eine Schatzkarte mindestens eine Stange Gold. Oder ein paar wirklich gute Informationen im Austausch...“
Shanaya hob nicht noch einmal den Blick, um auf Luciens Reaktion zu achten. Die blauen Augen ruhten auf den Linien, die sie bisher auf das Pergament gebracht hatte. Den nicht ganz runden Kreis, der langsam Form annahm. Trotzdem schmunzelte sie bei seinen Worten, hielt die Finger jedoch nicht still. „Ich habe eigentlich nur gute Ideen, das weißt du doch.“ Sie sachte das so ruhig nebenher, Worte, die sie vollkommen ernst meinte! Seine Frage ließ ihre Hand dann doch inne halten, ehe sie mit vorwurfsvoller Miene den Blick zu dem Dunkelhaarigen hob. Mit einem Pusten beförderte sie eine Strähne aus ihrem Gesicht. „Wann hörst du endlich auf, so etwas zu fragen! Natürlich bekomme ich das hin.“ Sicherheit lag in ihrer Stimme, das Lächeln auf ihren Lippen schwang jedoch auch darin mit. Ihre Augen richteten sich wieder auf die Karte vor sich. „Ich denke auch, dass für gute Karten viel Gold den Besitzer wechselt… Abgemacht. Nach dieser Karte starte ich mit einer neuen… Geschäftsidee.“ Nun war die Vorfreude in ihrer Stimme nur sehr schwer zu überhören.
Lucien gab ein amüsiertes Glucksen von sich, während er den Blick wieder auf die Karte senkte und den Linien dabei zusah, wie sie nach und nach Küste und Berge zu formen begannen. „Stimmt, hatte ich fast vergessen“, erwiderte er mit sanftem, freundschaftlichem Spott in der Stimme. Ihre Hand hielt für einen Moment inne und der Dunkelhaarige hob den Kopf, nur um ihrem beinahe strafenden Blick zu begegnen. Ein Anflug von Schalk blitzte in seinen Augen auf, doch immer noch etwas zurückhaltender als sonst und auch seine Antwort fiel alles andere als provokant aus. „Natürlich bekommst du das hin...“, wiederholte er schlicht ihre Aussage mit ruhiger Zustimmung, nicht aber ohne ein Lächeln in seinem Unterton. Er hatte keinen Zweifel daran. Auch nicht daran, dass sie bei dieser Geschäftsidee sofort mitziehen würde – zumal es schließlich ihre Idee gewesen war. „Gut, ich würde sagen... du hast Zeit, bis wir den nächsten Hafen anlaufen. Bis dahin solltest du ein paar präsentable Stücke vorbereitet haben. Eventuell finde ich dafür auch einen passenden Käufer.“ Und eventuell hatte er dafür auch schon eine Idee.
Shanaya blickte nicht noch einmal zu Lucien auf, als der ihre Worte nur noch einmal bestätigte. Die Ruhe, mit der er ihre nächsten Worte jedoch wiederholte, brachten die junge Frau etwas ins Stocken. Wieso konnte sie nicht verstehen, nicht greifen. Sie verlagerte also ihr Gewicht etwas, genoss das Ziehen in ihrer Schulter dabei fast. Sie schnaufte leise, hielt noch einmal inne und betrachtete das Pergament vor sich. „Das sollte machbar sein.“ Wieder hob die junge Frau den Blick, schmunzelte über einen Gedanken, der ihr dazu kam. „Wie lange es wohl dauert, bis jemand mir meine eigene Karte als die ultimative Schatzkarte andrehen will?“ In ihrer Vorstellung ein absurdes, amüsantes Bild. Nun fing sie an, in die Mitte der Insel einen See zu zeichnen. Groß genug, um die Insel fast auszufüllen, noch genug Platz für ein Gebirge lassend, das ihn umgeben würde. „So geht es wirklich besser. Du hättest sehen sollen, wie ich mich auf dem Boden rum gerollt habe, um dieses Papier irgendwie fest zu halten…“
Ihr Unwohlsein über sein Verhalten bekam Lucien nicht mit, schrieb das – wenn überhaupt – ihrem konzentrierten Arbeiten zu und senkte lediglich den Blick wieder auf die Insel, die vor ihm Gestalt annahm. Dennoch stahl sich ob ihrer Worte ein weiteres Lächeln auf seine Lippen. Milder dieses Mal, weniger amüsiert. „Wenn wir genug davon in Umlauf bringen? Wer weiß!“ Er sah zu, wie sie den See in die Mitte der Insel zeichnete, die längst so weit war, dass man Gebirge und Land gut erkennen konnte. Dann stieß er ein leises, sanft-spöttisches Schnauben aus, ohne zu Shanaya aufzuzsehen. „Ich kann es mir vorstellen. Vor allem nach diesem Zettelgemetzel hier unten...“ Konnte er wirklich. Ihr Frust steckte in jedem einzelnen, wütenden Gekritzel und jedem wirr herumliegenden Blatt. „Ist sie eigentlich bewohnt, diese Insel?“ Und um zu verdeutlichen, dass er sich auf die Insel zwischen ihnen bezog, nickte er deutend nach unten, bevor er flüchtig den Blick zu ihr hob.
Shanaya schmunzelte noch immer über die Vorstellung, wie jemand versuchte, ihr ihre eigene Karte zu verkaufen. Gott, sie würde den Künstler wirklich in den Himmel loben. Ein Meister seines Faches! Ein belustigtes Schnauben drang über ihre Lippen, ehe sie mit der gesunden Schulter zuckte. „Du siehst, wieso ich mich nach hier unten verzogen habe. An Deck hätte mir der Wind das Papier noch weg geweht. Dann hätte ich mindestens den Mast verprügelt und jetzt vermutlich noch eine kaputte, rechte Hand.“ Nur kurz huschte ihr blauer Blick zur Seite, betrachtete die anderen Blätter und grübelte dann mit einem leisen, nachdenklichen Ton über Luciens Frage. „Noch nicht. Also… wenn du willst, darfst du dir gern dazu etwas ausdenken. Vielleicht eine Insel voller Drachenritter?“ Mit einem Lächeln hob die Schwarzhaarige den Blick, richtete ihn kurz auf Luciens Degen und dann zurück zu dem See, der fast fertig gezeichnet war.
Lucien lächelte bereits wieder sacht und senkte den Blick erneut auf das Blatt zwischen ihnen. Tatsächlich konnte er ihre Flucht in den Bauch der Sphinx gut verstehen. Und auch ihr Bedürfnis, sich die Hand am Mast kaputt zu schlagen. „Und glücklicherweise habe ich dich hier unten gefunden. Denn hättest du mich nicht, hättest du dieses hübsche kleine Eiland nicht aus deinem Kopf herauszeichnen können“, stellte er mit einem Lächeln fest. Untypischerweise dieses Mal ganz ohne den Hintergedanken an eine mögliche körperliche Gegenleistung. Im Moment stand ihm ganz und gar nicht der Sinn danach und er hätte es ob der Schlinge, in der ihr Arm noch steckte, wahrscheinlich auch nicht in Erwägung gezogen, wäre seine Stimmung eine andere. Schließlich lenkten ihre Worte seine Gedanken ohnehin auf ein ganz anderes Thema, ließ sie abdriften in eine ferne Vergangenheit, eine blasse Erinnerung. An einen Jungen, der Geschichten liebte. Geschichten wie die, die sie ihm gerade anbot. „Hmm..“, machte er halb in diesen Gedanken versunken. „Gefällt mir, diese Idee. Und vielleicht leben sie dort, weil sie ein Geheimnis zu beschützen haben...“, spann er das Bild unwillkürlich weiter. „Vielleicht den Zugang zu einer anderen Welt. Der Achten, vielleicht.“ Und nun musste er schmunzeln. „Dann würde ich diese Insel wirklich gerne mit eigenen Augen sehen.“
Shanaya beantwortete Luciens Worte mit einem warmen Lächeln. Ohne ihn hätte sie diese Karte nicht fertig bekommen, das waren wahre Worte. Und in ihrem Blick, dem Lächeln lag dafür Dankbarkeit, die sie in diesem Moment jedoch nicht aussprach, viel mehr konzentrierte sie sich darauf, die besagte Insel fertig zu stellen, bevor ihre Schulter ihr einen Strich durch die Rechnung machen konnte. Luciens Idee, die er zu den Bewohnern weiter spann, gefiel der Schwarzhaarigen ungemein, sie nickte also mit einem begeisterten Lächeln. „Vielleicht finden wir irgendwann genau diese Insel.“ Der Gedanke gefiel ihr, ließ die Striche, mit denen sie nun das Gebirge zeichnete, noch ein wenig leidenschaftlicher werden. Gemeinsam dachten sie sich noch mehr zu den Bewohnern aus, zu ihrer Aufgabe. Bis Shanaya sich etwas aufsetzte, den Rücken durchstreckte und mit einem zufriedenen Lächeln den Blick zu Lucien hob. „Fertig ist die Drachenritterinsel. Und wenn ich jetzt die Schulter nicht etwas entlaste, verprügelt Gregory mich bestimmt. Oder du.“ Sie lächelte – und noch immer lag Dankbarkeit darin.