29.05.2022, 17:49
Für einen kurzen Moment sah er die Dunkelhaarige nur voller Erwartung an, als wäre ihr Satz noch nicht zu Ende gewesen. Als fehle die Pointe eines Witzes, den sie gemacht, den er aber nicht verstanden hatte, weil er keine Ahnung von Büchern oder Schriften hatte. Laut Liam fand man so gut wie alles in der Bibliothek. Und in seinem Kopf war die Sachlage so simpel, dass er es sich kaum vorstellen konnte, dass es mit derartigen Dingen eben nicht so war. Irgendwoher mussten diese Quacksalber doch ihr vermeintliches Wissen haben – oder saugten sie sich ihren Quark einfach aus den Fingern? Er erwischte sich dabei, wie er sich abermals dumm dabei vorkam, überhaupt in so etwas seine Hoffnung zu setzen. Letztlich war er aber nicht einfältig genug, um etwas zu verteufeln, mit dem er sich einfach nur nicht auskannte. Daraus, dass er Kräuterhexen belächelte, machte er kein Geheimnis. Aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr gingen ihm die realistischen Gründe für diese Situation aus. Warum also nicht den Horizont erweitern? Am Ende würde sich ohnehin nichts ändern – es würde sich als Schwachsinn herausstellen, er würde Kräuterhexen weiterhin belächeln und seinen Freund an irgendeine dunkle Kunst verlieren, die ihm früher oder später das Genick brechen würde. Alex seufzte kurz. Für Soula musste es so wirken, als nerve ihn der plötzliche Arbeitsaufwand, den sie ihm offenbart hatte. In Wirklichkeit vermisste er gerade Lubaya ein wenig. Weil sie – wie Soula – Ahnung von solchen Dingen hatte. Und weil er in ihr vermutlich einen Partner gefunden hätte, dem Liams Wohlbefinden genauso am Herzen gelegen hätte wie ihm.
„Und wo sucht man dann nach dem, was wir suchen, wenn wir es dort nicht finden?“, fragte er skeptisch.Nicht, weil er Soula misstraute, sondern weil ihn das Wissen, mit dem sie plötzlich aufwartete, überraschte. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er das einfach nur praktisch fand oder nicht doch ein wenig unheimlich. Na, jedenfalls schien sie im Gegensatz zu ihm zu wissen, wo sie hinmussten. Er zuckte mit der Schulter und folgte ihr bereitwillig in die angedeutete Richtung.„So schwer beschäftigt gewesen oder teilt dein Freund deine Liebe zu Büchern einfach nur nicht?“, fragte er beiläufig, ehe er schmunzelnd ihr Angebot zur Kenntnis nahm. „Nicht, dass du dich zu sehr an meine Gesellschaft gewöhnst.“ Er lächelte, dieses Mal gutmütig und zufrieden, ehe er fortfuhr. „Können wir machen.“Eine Abmachung, die er tatsächlich nur halbherzig meinte. Aber er konnte Soula ja unmöglich unter die Nase reiben, dass er mit Büchern vermutlich so wenig anfangen konnte wie ihr Haushündchen. Stattdessen war er sich ziemlich sicher, dass die Jüngere schnell vergessen würde, dass er je zugesagt hatte. Ähnlich schnell wie er. Alex verschränkte die Hände hinter dem Kopf, während er beiläufig die Gestalten auf der Straße beobachtete, bevor seine Aufmerksamkeit wieder Soula galt.„Wenn wir den Mondkalender haben, muss ich dich nur noch bei Vollmond zum Weinen bringen? Was macht man dann mit den Tränen? Mischt man sie mit Krötenschleim und der Schuppe einer Meerjungfrau?“