21.05.2022, 21:38
Show me everything I could never see
Abend des 15. Juni 1822 Lucien Dravean & Shanaya Árashi
Shanaya schnaufte leise, während ihre Finger sich fester um das Tuch schlossen, dem man eindeutig ansah, was es verbarg. Die letzten Tage hatte sie Situationen vergehen lassen… einfach weil dieser Kerl ein Idiot war! Gut, vielleicht nicht nur deswegen, aber es hatte nie gepasst. Oder er war zu beschäftigt gewesen. Und für ihr Vorhaben wollte sie Lucien wenigstens halbwegs konzentriert wissen. Trotzdem überkam sie jedes Mal eine neue Welle von Aufregung und Nervosität, die es schwer machte, sich zurück zu halten. Wieder ließ sie die umwickelte Klinge auf ihre Hängematte fallen, untermalt von einem theatralischen Seufzen. Sie hatte nicht bedacht, dass das solch ein kompliziertes Unterfangen sein würde. Vielleicht witterte ihr Captain irgendetwas? Möglich war es, aber Shanaya würde das nicht so auf sich ruhen lassen. Trotzdem wandte sie sich für diesen Moment von diesem Gedanken ab. Morgen war auch noch ein Tag. Und übermorgen. Und nächste Woche schließlich auch noch. Etwas in Gedanken versunken fuhr sie sich mit einer Hand über die Wunde an ihrem Hals.
Mit einem frustrierten Aufstöhnen begab sich die Schwarzhaarige also zu der Treppe, die sie auf das Deck führen würde. Stimmgewirr drang an ihre Ohren, wurde lauter, je höher sie kam. Frischer Wind schlug der jungen Frau entgegen, während sie sich still fragte, ob die kleine Gruppe noch dem Würfelspiel nachging, das sie vorhin kurz beobachtet hatte. Mit einem tiefen Atemzug trat die Schwarzhaarige schließlich auf das Deck – und erstarrte in ihrer Bewegung. Lucien stand direkt vor ihr, so wie es aussah, selbst auf dem Weg unter Deck. Augenblicklich verengte Shanaya die blauen Augen, ließ den Blick kurz schweifen. Niemand, der direkt bei dem Dunkelhaarigen war, niemand, mit dem er sich unterhielt. Sollte das ihre Chance sein? Sie konnte es kaum glauben.
„Du.“
Kaum kehrten die hellen Augen zu dem Mann zurück, hob die junge Frau auch eine Hand, deutete mit dem Zeigefinger auf ihr Gegenüber. Lange zögerte sie jedoch nicht, trat schnell einen Schritt vor und umfasste seine Hand mit einem festen Griff. Er sollte es wagen zu versuchen, sich zu befreien! Etwas, was auch in ihrem Blick lag, mit dem sie den Dunkelhaarigen fixierte, ehe sie sie anfing, rückwärts zu gehen, Lucien mit sich zu ziehend, zurück in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war.
„Du kommst jetzt mit.“
Auch in ihrer Stimme lag ein Ton, der keinerlei Widerspruch duldete. Die Schichten waren beendet, niemand war bei ihm gewesen. Er hatte also keinerlei Ausreden! Noch einige Herzschläge musterte sie den Mann mit festem Blick, ehe ihre Züge sanfter wurden, das Lächeln auf ihre Lippen zurück kehrte. Ein vorfreudiges Glühen hatte sich damit in die Augen der jungen Frau geschlichen, mit dem sie Lucien weiter mit zog, auch als sie sich herum wandte, um die Treppe hinab zu steigen.