15.05.2022, 18:09
Spätestens in dem Moment, in dem sich der Bug der Sphinx allmählich aus dieser heimtückischen Nebelsuppe gekämpft hatte, war Alex still geworden. Soula hatte ihm geholfen, eine der Kanonen auf dem Achterdeck auszurichten, sodass sie das Krähennest im Visier hatten. Die Lampe, die Liam und Rúnar gebastelt hatten, hatten sie hier unten auch durch den Nebel sehen können. Ein gutes Zeichen für ihre Funktionalität allgemein. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie damit auch einen der Epogryphen in die Flucht schlagen würden. Dass sie die Kanone auf das Krähennest ausgerichtet hatten, hieß allerdings ebenso wenig, dass sie einen möglichen Angreifer auch tatsächlich treffen würden. Würde er seinem Freund nicht blind vertrauen, hätte er diesem Plan mit Sicherheit niemals zugestimmt. Aber Alex wusste, dass Liam in Deckung gehen würde, sobald er rief. Und Liam wusste, dass Alex mit dem Schuss warten würde, bis er grünes Licht von oben bekam.
Fragen oder zögerliche Versuche Soulas, die Gedanken ein wenig aus ihrer Anspannung zu ziehen, beantwortete nur noch knapp, wenn nicht sogar einsilbig. Aber auch die junge Frau schien mit voranschreitender Zeit zunehmend angespannter und schweigsamer. Als sich dann der gewaltige Schatten tatsächlich nährte, war die Luft zum Zerreißen gespannt. Alex hatte es kaum gewagt zu atmen, als der Epogryph nach unten stob, um sich seine Beute aus dem mitgenommenen Krähennest zu angeln. Er war bereit gewesen, hätte innerhalb eines Sekundenbruchteils auf einen Ruf von oben reagieren können und dem Suppenhuhn eine gewaltige Ladung improvisierten Schrott in den Hintern jagen können. Seine Nervosität stieg, je länger die Nachricht von oben ausblieb und dann – schrie der Vogel tatsächlich auf und machte kehrt. Skeptisch blickte der Lockenkopf gen Himmel, doch die Kreatur machte keine Anstalten, wieder umzudrehen. Trotzdem – die Sicherheit war tückisch und Alex wagte es kaum, die Muskeln wieder zu entspannen. Und dann erschein ein blasses Lächeln auf seinen Lippen – den Blick noch immer auf den Epogryphen gerichtet, der in der Weite verschwand und sie siegreich ziehen ließ.„Du elender Glückspilz.“, murmelte er weniger zu Soula als zu sich selbst mit einem amüsierten Kopfschütteln über seinen Freund, der mit all seinen törichten Plänen immer und immer wieder unverletzt durchkam.Dann erst holte Skadis fragende Stimme seine Gedanken zurück auf das Deck des Schiffes. Sein Blick wanderte nach oben und erwartete jeden Augenblick die Entwarnung aus dem Krähennest. Doch die Sekunden vergingen und ihn suchte das Gefühl heim, dass doch nicht alles so gut da oben war, wie er gedacht hatte. Der dumpfe Aufprall im Holz unweit von Tarón und Skadi entfernt ließen ihn aufschrecken; keine Sekunde später hatte er sich bereits in Bewegung gesetzt, noch bevor Rúnars Ruf über dem Meer verhallt war.„Was zum -?!“Ohne auch nur einen Moment auf Soula zu achten, war er die Stufen hinab zum Deck mit so wenigen Schritten wie möglich hinabgesprungen.„Was ist da oben los?!“Tarón hinterfragte die Lage gar nicht. Alex hätte vermutlich nicht anders gehandelt, hätte es sich nicht um seinen besten Freund gehandelt, der dort oben zu Boden gegangen war. Ohne ersichtlichen Grund, übrigens.„Seile nicht von hier oben, die haben zu viel vom Nebel abbekommen. Im Zweifel lösen wir die Ladung aus ihrer Sicherung.“Bevor sie Liam hier herunter fallen ließen, sollten die Vorräte doch durch die Gegend rutschen, bis sie die Lage wieder unter Kontrolle hatten. Die Netze, mit denen die Fässer an der Reling festgemacht waren, sahen allesamt mitgenommen aus. Einem dieser Seite hätte er vermutlich nicht einmal mehr zugetraut, seine Haare in einem Zopf zu halten – geschweige denn einen ausgewachsenen Mann.