27.04.2022, 22:22
Schließlich hatte er in Erfahrung gebracht was der Auflauf der Crewmitglieder am Mast zu bedeuten hatte. Und tatsächlich hatte sich die Konstruktion, die wohl hauptsächlich Liam und Rúnar zusammengebastelt hatten, als wirkungsvoll erwiesen – zunächst als Demonstration für die Verbliebenen auf Deck, dann in ihrer eigentlichen Funktion, als einer der verdammten Vögel erneut angreifen wollte.
Tarón hatte das alles mit Skepsis und Sorge mehr oder minder beobachtet, doch selbst anderes zu tun gehabt, so, dass er sich nicht anbieten konnte anstelle eines der anderen selbst nach oben zu steigen. Doch wenn er darüber nachdachtet hätte ihm das auch garnicht angestanden: es war ihr Plan, ihre Stunde sich nützlich zu machen und zu beweisen. Und grade Rúnar schien an dieser Herausforderung zu wachsen.
Schließlich also hatte er mit einigen der anderen von unten weiter beobachtet – soweit man denn überhaupt etwas sehen konnte – was sich über ihnen zutrug. Wachsam, die Stirn nachdenklich gekräuselt. Und endlich zog der Vogel ab, als er von dem Lichtstrahl getroffen wurde, der ihm ein gellendes Kreischen entlockte (Tarón empfand reichlich wenig Mitleid mit dem Vieh).
Aber irgendetwas stimmte nicht – das konnte er förmlich riechen, wenn er auch keine Ahnung hatte, was.
Skadi neben ihm senkte ihren zuvor angespannt gehaltenen Bogen, schien sich zu entspannen, zumindest bis ihr Ruf nach oben unbeantwortet blieb…oder bis etwas über den Rand des schräg stehenden Krähennestes fiel – direkt auf Tarón zu.
Grade als der Falke sich umgewandt hatte und vorschlagen wollte nach oben zu klettern – den Witz auf den Lippen, dass die Helden nun wohl ihre Höhenangst entdeckt hätten – entging es seinem Auge. Nicht aber Skadis – zu seinem verdammten Glück! Die Frau, viel leichter als er, rumpelte schwer genug in ihn hinein, um ihn zwei Schritte wegtaumeln zu lassen, ehe sie beiden den Halt verloren und zu Boden gingen. Grade weit genug weg, um dem Geschoss von oben zu entgehen, das hinter ihnen zerbarst.
„Scheißt der alte Seeteufel! Danke, Skadi!“
Hauchte er eher, als er es aussprach. Taróns Augen waren geweitet von dem Schrecken, der sich peitschend durch seine Adern wand und ein kaltes Eisschwert in seinem Magen hinterließ, während er der Frau auf die Füße half, ihr einen ehrlich dankbaren Blick zuwarf und ihr, als sie wieder standen, kurz brüderlich auf die Schulter klopfte.
Das Scheißding – wohl die Konstruktion, die ihnen eben noch den Arsch gerettet hatte – war mit derartiger Wucht aufgekommen, dass an der Einschlagsstelle sogar ein Loch im Holz der Sphinx klaffte. Das Teil hätte ihn ziemlich sicher getötet…oder ihm, an der Schulter aufgekommen, einen Arm gekostet. Doch ehe er den Gedanken, wie haarscharf er grade nur durch Skadis Einschreiten einem vorzeitigen Ableben entkommen war, richtig fassen konnte, drang Rúnars Stimme von oben herab.
‚Mann am Boden‘ – Liam! Aber warum? Der Vogel war ihnen nicht so nahe gekommen…Sein Blick glitt zu den anderen Umstehenden, dann nach oben zu dem Krähennest, auch wenn er sich das hätte sparen können, denn zu sehen gab es dort für sie hier unten noch immer nichts.
Dafür sparte er es sich vorerst zu fragen was passiert war – die Information genügte bereits: Liam war am Boden – das musste für den Moment reichen.
„Möwendreck…ok, wir werden wohl Seile brauchen, wenn wir ihn da runter bekommen wollen, ohne dass sich jemand den Hals bricht…“
Im Grunde war es nicht allzu schwer jemanden aus den Höhen eines Krähennestes zu bergen. Zumindest wenn derjenige wach genug war, um mitzuarbeiten oder k.o. genug, um keinerlei Widerstand zu leisten. Was und ob eines davon zutraf war jedoch ungewiss. Und damit auch, ob es reichen würde sich Liam in der simpelsten Lösung auf den Rücken zu binden – nicht Rúnar natürlich, wohl auch nicht Tarón – aber Alex oder dieser Jón schienen geeignete Kandidaten für so ein Manöver.
„Rúnar, hat Liam was abbekommen?“
Kam er nun doch nicht herum zu fragen.
Vielleicht war es nur der Stress, der ihm den Boden kurzzeitig unter den Füßen weggezogen hatte – das kam bei den stärksten Männern vor. War Liam aber verletzt mussten sie sich eventuell beeilen.
„Planken sind vielleicht auch keine schlechte Idee, wir könnten ihn darauf abseilen…“
überlegte er laut genug, dass die anderen es hören konnten.
Seinen nun rasenden Geist damit abzulenken hier nach einer Lösung zu suchen, half zumindest sich von seinem ebenso rasenden Herzen abzulenken und das leichte Zittern und das vehemente brennende Reißen seines eigenen linken Armes zu ignorieren, das eingesetzt hatte, nachdem er sich auf die Beine gehievt hatte…