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I have waited for the sun to rise
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
#2
Skadi schien nicht damit zu rechnen. Viel mehr stand ihr ihre Verwirrung förmlich ins Gesicht geschrieben, als er mit dem Beutel zurückkehrte und sich wieder neben sie setzte. In diesem Augenblick wirkte sie wie ein Kind, dessen Eltern finanziell nie in der Lage gewesen waren, ihm materiell eine kleine Freude zu machen, egal wie sehr sie sich bemühten, ackerten und versuchten, ihm ein möglichst sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Ihre Überraschung verlieh seinem Lächeln eine noch wärmere Note. Er nickte als Bestätigung auf ihren Unglauben hin und hielt ihr das Geschenk entgegen, bis sie es vorsichtig entgegennahm, als würde es jede Sekunde zerbrechen können. Skadi schwieg. Und Liam beobachtete sie voller Zufriedenheit dabei, wie sie den kleinen Beutel erkundete. Allein das war es wert gewesen. Diese kindliche Freunde in ihrem Gesicht, die es zumindest für eine kurze Zeit vermochte, die Härte und Bitterkeit der Vergangenheit aus ihren Zügen zu vertreiben. „Doch. Allein dafür, dich so glücklich zu sehen.“ Liams Lächeln war warm und ehrlich. Ihre Freude war ein viel größeres Geschenk für ihn als das, was er ihr überreicht hatte. Aber das behielt er für sich. Für den Moment sah er sie einfach nur an, fischte sich dann ebenfalls ein Bonbon aus dem Beutel, das mit einer feinen, natürlichen Süße zu bestechen wusste. Skadi hatte sich indes dem Dolch zugewendet. Liam sah sich kurz um, lehnte sich dann hinter ihr nach oben Richtung Bettende und sammelte den Tee wieder ein, dem er eben keine Aufmerksamkeit mehr hatte schenken können. Er ließ ihr die Zeit, die sie brauchte und schwieg, erfreute sich lediglich an ihrer Sprachlosigkeit. „Alex hat mir geholfen.“ Er war niemand, der sich mit fremden Federn schmückte und wenn es um Holz ging, kannte sich der Ältere zweifellos besser aus als Liam selbst. „Es ist möglichst flach gehalten, damit man es möglichst einfach verstecken kann.“ Im Stiefel zum Beispiel. Wahlweise auch im Ärmel. Ganz nach Situation eben.
Die Oberfläche funkelte im Licht, das durch das winzige Fenster in den Raum fiel. Immer wieder drehte Skadi den Schaft zwischen ihren Fingern. Bestaunte die feinen Linien und Gravuren. Es sah atemberaubend aus. Nicht dafür gemacht, jemals benutzt zu werden. Der heilige Gral unter all den Messern und Dolchen, die sie jemals besessen hatte. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass er losgezogen war, um es allein für ihren Geburtstag zu kaufen. Zudem vor so unfassbar langer Zeit. Der Hauch eines schlechten Gewissens bahnte sich in ihre Magengrube. Jetzt erschien ihr der Streit noch furchtbarer als ohnehin schon. Alles was sie je für ihn getan hatte, war ihre Launen an ihm auszulassen. Während er los zog und selbst Alex dazu brachte, ihm bei der Auswahl ihres Geschenks zu helfen. Und ja, eine Sekunde später war ihr durchaus bewusst, dass er ihm dieses Detail sehr wahrscheinlich verschwiegen hatte. Doch es änderte nichts daran. Nun besaß sie zwei wichtige Dinge in ihrem Leben, die sie hüten würde, wie ihren Augapfel. Die kleine Okarina, die sie seit ihrem Ausflug immer bei sich trug und nun diesen Dolch. Mit funkelnden Augen sah die Nordskov auf und lächelte. „Du bist wunderbar, das weißt du oder?“ Ihr Herz schlug mit jeder verstreichenden Sekunde kraftvoller gegen ihre Rippen. Explodiert förmlich, weil sie kaum wusste, was sie zuerst tun sollte. Ihre Freudentränen unterdrücken. Über ihn herfallen oder einfach nur das Glück genießen, das sie empfand. „Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe.“, fügte sie leise hinzu. Presste die Lippen aufeinander und wandte den Blick wieder auf den Dolch in ihren Händen.
Das Lächeln auf seinen Zügen wurde breiter, als er ihr Kompliment entgegennahm, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, es zu rationalisieren. Untypisch für ihn, aber vielleicht lag es auch daran, dass es Skadis Art war, ihre Dankbarkeit auszudrücken. Liam nahm einen Schluck Tee und sah ihr dabei zu, wie sie ihren neugewonnenen Schatz inspizierte – denn genau so musterte sie ihn. Wie einen unbezahlbaren Schatz am Ende einer langen, schwierigen Schatzsuche. „Nicht ‚womit‘.“, korrigierte er sie mit einem kurzen Kopfschütteln und behielt den Becher in beiden Händen. „Du hast es verdient.“ Der Gedanke, etwas dafür tun zu müssen, um sich eine Aufmerksamkeit zu verdienen, war kein gesunder Gedanke. Vielleicht stand Liam mit dieser Einstellung recht alleine da, nachdem er auch nicht unbedingt sehr an materiellen Dingen für sich selbst interessiert war. Skadis Freude war ihm so viel mehr Wert als Gold es je sein konnte. „Hast du mir nicht gesagt, ich soll nicht immer so bescheiden sein?“ Neckend bedachte er sie von der Seite und nahm einen weiteren Schluck seines Tees. Die Wärme tat gut und besänftigte tatsächlich das Brummen in seinem Kopf.
„Hab ich das?“ Ein amüsiertes Schnauben entwich ihr. Abermals wandte sich die Klinge zwischen ihren Fingern. Funkelte und verschwand dann, geräuschvoll in ihrer ledernen Verkleidung. „Und selbst wenn...“ Der dunkle Haarschopf wandte sich herum. Offenbarte ein breites Grinsen auf den Zügen der Nordskov, das eine Spur spitzbübischer über ihre Schulter ragte, als ihre Augen zu leuchten begannen. „... halt die Klappe.“ Lachend ließ sie sich wieder auf den Rücken fallen, den Beutel Bonbons zwischen sich und dem Lockenkopf. Den Dolch sicher gegen ihren Bauch gepresst. Sie würde bei Zeiten ein gutes Versteck dafür brauchen. Ob im Stiefel, ihrem ledernen Bustier oder einem Oberschenkelgurt - Hauptsache sie trug es ebenso nah bei sich wie die Okarina, die in der kleinen Ledertasche an ihrer Hüfte auf ihren nächsten Einsatz wartete. „Allerdings frag ich mich noch immer, wieso wir auf einmal so weit vom Kurs abgekommen sind... oder woher diese Vögel auf einmal kamen. Das hatte schon irgendwie... was mystisches an sich. Meinst du nicht?“ Ihr Blick fiel von der Decke auf die feinen Züge des Musikers.
Wusste sie jetzt, warum es nicht hatte warten können? Böse Zungen hätten wohl behauptet, es hätte einzig dem Zweck gedient, ihren Ärger zu stillen. Doch wer Liam kannte, wusste, dass er keineswegs berechnend war. Selbst wenn der Zwist zwischen ihnen noch gewütet hätte - er hätte ihr das Geschenk ebenso überreicht. Nicht persönlich vielleicht, aber zumindest bei ihrer Hängematte deponiert, um ihr ihren Abstand zu lassen. Ihren Frieden. Ihre Antworten auf Fragen, die sie ihm nie gestellt hatte - deren Beantwortung sie ihm in Zukunft aber hoffentlich selbst überlassen würde. Er lächelte hörbar, als sich Skadi galant aus der Verantwortung zog, ihm aber damit gleichzeitig bedeutete, dass sie den Wink verstanden hatte. Gemeinsam mit ihrem Schatz kippte sie zur Seite in die Laken. Liam leerte den Tee in seiner Hand und stellte den Becher schließlich hinter sich auf den Boden neben der Pritsche. Auch die Bonbons verschnürte er und machte Platz, um sich zur Seite umzulegen. Die Liege bot kaum Platz für zwei Personen. Er blieb auf der Seite liegen und bette den Kopf mit einem ruhigen Atemzug auf Skadis Mitte unterhalb des Dolches in ihren Händen, statt nach oben zu rutschen. „Sie brüten dort. Ich weiß nicht, wie wir so weit abkommen konnten, aber die Gewässer sind berüchtigt für Epogryphen. Die heimischen Händler meiden die Route derart nah an diesem Gebiet. Nur der Nebel - davon habe ich noch nie jemanden erzählen hören. Als wir das letzte Mal auf diesem Seeweg unterwegs waren, war freie Sicht.“, erzählte er mit geschlossenen Augen. Er konzentrierte sich auf das sanfte Heben ihres Brustkorbs und das deutlich spürbare Schlagen ihres Herzens, dass er selbst auf Höhe ihres Bauches noch wahrnehmen konnte. Und - nicht zuletzt - auf ihren unverwechselbaren Duft, der ihm die Ruhe brachte, noch ewig hier liegen zu können. Zumindest die - unter diesen Umständen hoffte er wirklich auf mindestens fünf - Stunden, bis das Brummen in seinem Kopf wirklich nur noch ein Ziehen war.
„Geschweigedenn etwas gelesen. Auf der See sind wir den Epogryphen schutzlos ausgeliefert. Das zu untersuchen wäre also vermutlich eine Reise ohne Widerkehr.“ Hörte man ihm da etwa leise Enttäuschung an? Er wäre der Sache furchtbar gerne auf den Grund gegangen. Aber ständig mit der Gefahr im Nacken, den Vögeln zum Opfer zu fallen, war dieses Vorhaben mehr als aussichtslos. Musste selbst er sich eingestehen.
Die Vögel waren also eine Gefahr, die durchaus bekannt gewesen war? Skadi runzelte die Stirn bei diesen Worten. Rief sich in Erinnerung was Jón erzählt hatte und dann die Karte, die Shanaya auf einem der Tische ausgerollt hatte, um sich dort Position und Radius zu vermerken. „Als hätte uns der Nebel dorthin gesogen.“, murmelte sie in Gedanken versunken und ließ ihren Blick von Liams dichten Locken an die Decke schweifen. „Ich frage mich wirklich was es damit auf sich hatte.“ Ob der Nebel zufällig dort gewesen war. Ob die Ladung des anderen Schiffes diese Erscheinung verursacht hatte. Oder ob der Nebel mit den Vögel kam und ging. Letzteres erschien ihr fast am unwahrscheinlichsten. Die Tiere hatten das gefährliche Weiß partout gemieden. „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass, sobald wir wieder drin waren, die Haut angefangen hat zu kribbeln? Vor allem an den Wunden?“ Wenn es bereits bei ihren minimalen Schnittverletzungen gebrannt hatte, konnte sie sich gut ausmalen, wie es mit einer blutenden Hand gewesen sein musste. „Als hätten wir in Säure gebadet.“ Womöglich war es das auch. Anders ließ sich der Zustand ihrer Waffen und des Holzes kaum erklären. „Selbst die Vögel sind immer wieder davor weggeflogen. Einen hatte es sogar so schlimm erwischt, dass seine Schuppen matt und rau geworden sind. Wahrscheinlich hab ichs allein deshalb nur geschafft, ihn vom Mast loszueisen. Deren Haut sah nicht danach aus, als könnte man sie so kinderleicht mit einem Dolch durchtrennen.“ Und dann kam der Nordskov etwas in den Sinn. Langsam legte sie den Dolch zur Seite, umfasste Liams Gesicht mit beiden Händen und richtete sie auf. Schob seinen Kopf behutsam auf ihren Schoß. Ihre Miene wirkte nachdenklich. Fast schon zu ernst. „Meinst du jemand hat Jagd auf die Tiere gemacht und diesen Nebel absichtlich erzeugt? Wäre das denkbar?“
Liam brummte nachdenklich, ohne dass er die Augen öffnete. Mit ihrer Frage stand sie nicht alleine da. Und damit meinte er nicht nur sich selbst. So, wie er Talin und Lucien inzwischen kennengelernt hatte, spuckte auch ihnen vermutlich eben dieser Gedanke durch den Kopf. Aber solange sie die Schäden der Sphinx und für ihre Gesundheit nicht richtig einordnen konnten, war es selbst in Liam Augen Irrsinn, der Sache nachzugehen. Beiboote, vielleicht sogar eine Flotte, die die Position des Nebels beobachtete und kartierte. Alleine war es schier unmöglich, mehr herauszufinden. „Ja. Und wer weiß, was passiert wäre, wenn du nicht auf die Idee mit den Tüchern gekommen wärst.“ Obwohl er aussah, als würde er ruhen, hatte die Jüngere ihn mit ihrer Fragerei angesteckt. Trotz der schweren Augenlider jagte dahinter ein Gedanke den anderen. „Vermutlich hast du uns damit das Leben gerettet.“, erinnerte er sie mit leiser Anerkennung. Mit einem Dolch auf ein beschupptes Tier loszugehen, war eine Idee, die vermutlich ebenso von Liam hätte stammen können. Nicht erfolgsversprechend, aber lebensrettend, wenn es doch funktionierte. Er öffnete die Augen, als er Skadis Hände spürte und sah fragend auf, gab ihrer Bewegung allerdings ohne Zögern nach. Irritiert blinzelte er ihr entgegen, verstand dann aber und schloss die Augen wieder, kaum dass die Nordskov seinen Kopf in ihrem Schoß gebettet hatte. Das Nächste, was sie sagte, klang ernster als die vagen Vermutungen zuvor. Nun drehte sich Liam doch auf den Rücken in eine bequemere Position und sah zu Skadi auf, bedachte sie nachdenklich und runzelte die Stirn. „Ganz abwegig ist es wohl nicht. Auf dem Schwarzmarkt bekommt man hohe Summen für Klauen, Schnäbel oder Schuppen. Oder natürlich Federn.“ Und wozu Menschen für Geld bereit waren, wussten sie beide nur allzu gut.
„… Erinnerst du dich, dass wir uns dem Handelsschiff an die Fersen gehängt haben? Vermutlich haben wir dabei die sichere Distanz verlassen. Ceallagh kommt, soweit ich weiß, aus dieser Gegend – ich kann mir nicht vorstellen, dass er Shanaya nicht darüber in Kenntnis gesetzt hat. Und wenn das Handelsschiff in heimischen Gewässern unterwegs war, wussten auch sie von den Epogryphen.“ Das allerdings wusste er nicht, versprach sich aber von Skadi eine Antwort auf diese Frage. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich an einem Tag gleich zwei Schiffe unwissend in diese Zone verirren? Was, wenn das Handelsschiff in diese Richtung geflohen ist, weil sie glaubten, dass wir um das Risiko wussten und abdrehen würden, bevor sie selbst im Gefahrengebiet ankamen? Wenn der Nebel auf ihrem Mist gewachsen ist, würde das zumindest erklären, warum sie so mutwillig hineingesteuert sind. Oder aber…“ Eine kurze Pause entstand, in der Liams Blick sich in seinen Gedanken verlor. Erst zwei, drei Herzschläge später sah er wieder in das dunkle Braun ihrer Augen. „Da war noch ein anderes Schiff, oder? Das Wrack?“ Wie lange es dort gelegen hatte, war ob der reizenden Wirkung dieses Nebels wohl unmöglich zu sagen.
Die Tücher. Ja, das war eine gute Idee gewesen, in Anbetracht der Umstände. Dennoch konnte sie nur über das Lob hinweglächeln. Das Leben gerettet klang in ihren Ohren ohnehin ein bisschen überdramatisch. Was er dann jedoch von sich gab, ließ sie in ihre Gedanken zurückfallen. An den dicken Locken spielen, die sich butterweich über ihre Oberschenkel legten und sanft auf der Haut kitzelten. Wie früher, wann immer sie ihren Schwestern von großen Kriegern und alten Geschichten erzählt hatte. Nur um die kleinen Quälgeister endlich zum Einschlafen zu bewegen. „Laut Karte lagen etliche Meilen zwischen unserem Ausgangspunkt und dem Gebiet. Ich bezweifle, dass sie es waren, die dort auf Vogeljagd gegangen sind oder uns wissentlich da hinein gelockt haben. Ganz davon abgesehen, hätte Jón uns davon erzählt, wenn dem so wäre.“ Zumindest glaubte sie, dass er es getan hätte. Immerhin hatte er keinen Grund zu lügen. Weder vor ihr und erst Recht nicht Rúnar. „Aber Recht hast du... da war noch ein anderes Schiff. Allerdings weiß ich nicht, wie lange es dort schon lag und wieso es überhaupt so gut zu sehen gewesen war. Ich mein... das Meer müsste hier so tief sein... wir hätten absolut nichts sehen dürfen. Und laut Ceallagh gibt es hier auch keine Sandbänke. Erst recht nicht so weit auf offenem Meer. Das ist alles irgendwie... sehr sehr seltsam.“
Für den Moment trat ein fragender Ausdruck auf seine Züge. „Jón?“, wiederholte er den Namen, den sie genannt hatte und fischte abermals im Dunkel seiner Erinnerungen. Letztlich traute er Skadis Einschätzung allerdings und strich die Möglichkeit somit aus seinen Gedanken. Er genoss das leichte Spiel ihrer Finger, ließ sich aber davon nicht von ihren Überlegungen ablenken. „Vielleicht wurde denen ihr Vorhaben zum Verhängnis.“, hielt er es für möglich. Den Nebel oder das ausbleibende Sinken erklärte es allerdings nicht. „Irgendetwas, was mit Wasser reagiert… „ Er kannte sich nicht gut genug aus, um jetzt mit irgendwelchen Stoffen hantieren zu können, die in Frage kamen. Aber sicherlich gab es auch Stoffe, die bei solch einer Reaktion genügend Gase erzeugten, die einen Teil eines Schiffes oben halten konnten, oder? „Angenommen, im Rumpf hat sich Luft gesammelt, die nicht mehr entweichen konnte – dann würde das Schiff nicht untergehen. Wie viel Luft das allerdings sein muss, dass sogar ein zweites Schiff einfach auflaufen kann, weiß ich nicht. Und von irgendeiner Kreatur, die Nebel erzeugen kann… Es gibt eine Geschichte von einem Jüngling, der dazu verdammt wurde, in Gestalt eines Pferdes über das Meer zu irren. Seine Anwesenheit wird oftmals in Nebelbänken oder Sturmtiefs gesehen, die unvorhergesehen aufziehen. Aber auch da ist nicht von Säure die Rede.“
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie Liam nie von ihm erzählt hatte. Nur einmal. In einer ihrer wenigen Geschichten aus der Vergangenheit. Kurz hielt sie inne. Forschte dem kleinen Kitzeln in ihrer Magengegend nach und war bereits mit den Gedanken so fernab, dass sie erst nach einem tiefen Atemzug bemerkte, dass Liam weitersprach. Sie blieb ihm wohl bis zum Ende dieser Ideenspinnerei eine Antwort schuldig. „Mh. Luft im Schiff. Darüber habe ich nie nachgedacht. Aber... jetzt wo du es sagst... mir kommt die Geschichte mit dem Pferd irgendwie bekannt vor.“ Ihre Augen kreisten forschend um Liams Nasenspitzen, bis sie sich just aufklarten und Skadi dazu überging sanft durch Liams Mähne zu streichen. „Rúnar... ja... er hat mir damals davon erzählt. Gott... es ist schon so viele Jahre her, dass ich es schlichtweg vergessen hatte.“ Damals, als sie sich im Weinkeller der Familie versteckt hatten, um den wütenden Blicken der Erwachsenen zu entgehen. Und nein. Eigentlich war es Jón, der ihr davon erzählt hatte. Während sie sich an ihm festhielt und die Treppenstufen im Blick behielt „Aber... mir fällt es schwer daran zu glauben.. ich mein... ich hab keinen Mann gesehen oder gehört. Geschweige denn ein Pferd.“ Alles was darauf hätte hindeuten können, war nie eingetreten. „Na ja... was auch immer es war. Wir werden es wohl nie herausfinden.“
Seine Augen erkundeten die Grübchen, die sich in Skadis nachdenklichem Gesicht abzeichneten. Seine Mundwinkel zuckten, als sie ihren Unglauben bekundete und der Lockenkopf schloss wieder die Augen. „Das ist die Sache mit Legenden. Man weiß erst, ob etwas Wahres dran ist, wenn man es selbst erlebt hat.“ Nicht umsonst sammelte er solche Geschichten und war bereit, ihnen auf den Grund zu gehen. Irrlichtern zu folgen, Sirenen zu lauschen oder sich von einem Kelpie über einen Fluss tragen zu lassen. „Was, wenn er sich uns nur nicht zeigen wollte?“, warf er ein und zuckte angedeutet mit der Schulter, klang aber mehr amüsiert als ernst. „Wer weiß, was uns noch erwartet. Für’s nächste Mal sind wir jedenfalls vorbereiteter. Und dann bekommen wir vielleicht auch die Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen. Wir sollten uns jedenfalls im nächsten Hafen ein bisschen genauer umhören.“ Jetzt runzelte er kurz die Stirn. Der Nebel hatte die Sphinx deutlich in Mitleidenschaft gezogen. „Gab es eine Planänderung im Kurs? Hat Alex was gesagt, in welchem Zustand die Sphinx ist?“
Legenden. Mythen. In den meisten Fällen waren es Geschichten, um Kinder zu Gehorsam zu erziehen. Hoffnung zu schüren, wo vielleicht keine mehr war und den Glauben an das Gute in der Welt aufrecht zu erhalten. Und egal, ob sie daran glaubte oder nicht - es macht letztlich keinen Unterschied. Seitdem sie auf diesem Schiff war, geschahen allerlei seltsame Dinge. Sie hinterfragte das Schicksal nicht einmal mehr, weil es vollkommen sinnlos sein würde. Nahm es wie es kam. Und musterte Liams Miene schweigend, während er die Augen erneut schloss. Ein wortloses Lächeln huschte über die vollen Lippen der Nordskov. Ließ ihre Fingerspitze von den dichten Locken zu seiner Wange und über den schmalen Nasenrücken streichen. Dann holte sie tief Luft und ließ von ihm ab. Lehnte sich ein Stück weiter zurück und wandte die dunklen Augen auf das kleine Fenster. „Soweit ich weiß sind wir jetzt in Richtung Ritu unterwegs. Haben gestern schon angefangen jeden Winkel des Schiffes zu putzen, um die Säure los zu werden. Gott sei Dank zeigen sich die Neulinge vom Handelsschiff recht kooperativ.“ Andernfalls hätte sie Jón auch übers Knie gelegt.
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RE: I have waited for the sun to rise - von Skadi Nordskov - 22.04.2022, 16:57

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