07.02.2022, 00:02
Tarón konnte das Schlagen seines Herzens bis in seinen Hals spürten.
In der Dunkelheit seiner kleinen Kammer hatte er Ewigkeiten an die Wand gestarrt – blind in der Schwärze, die sein zugeschwollenes rechtes Auge nur weiter verfinsterte. Er hatte auf der Seite gelegen. Der Schmerz brannte noch frisch – sowohl in seinem Gesicht als auch auf seinem Rücken, den sein Onkel heute Mittag mit dem alten Holzstuhl erwischt hatte. Der Stuhl hatte den Zusammenprall mit dem Zehnjährigen nicht überstanden – und so hatte Tarón auch dafür noch Schläge bezogen, dass er nun in der Ecke mit Kaminholz auf ein endgültiges Ende im Feuer wartete. Faran hätte Tarón sicher am liebsten gleich mit in die Flammen geschmissen.
Erst, als die Stille in ihrer Hütte sich in die Ewigkeit zog, hatte er es gewagt aufzustehen und das viel zu leichte Bündel, das er in der Nische hinter seinem Lager versteckt hatte zu holen. Daran Licht zu machen, war nicht zu denken. Wenn Faran ihn jetzt erwischte, würde er nicht mit einem schmerzenden Rücken und einem blauen Auge davonkommen. Vor allem nicht, wenn er Tarón dabei erwischte, wie dieser etwas von ihren ohnehin knappen Vorräten nach draußen schmuggelte. Dass es sich dabei um Essen handelte, dass der Junge sich selbst vom Mund abgespart hatte, würde keinen Unterschied machen.
So verschmolz er mit den Schatten, die sich um ihn in der kläglichen Hütte ballten, die er mit den Reginns bewohnte. Bewegte sich fast lautlos und mit nur zwei Schritten durch seine Kammer und schob die dünne Holztür leise auf, die in den Hauptraum führte, in dem seine Ziehfamilie schlief. Im schwachen Schein der letzten Glut konnte er die Umrisse seiner Tante ausmachen. Isa musste in ihrem Schatten schlafen. Faran lag nicht bei ihnen – er erspähte seinen Onkel zusammengesunken auf der morschen Kiste, die er anstelle des Stuhls vor das Feuer geschoben hatte. Er lehnte an der Wand … und schlief, wie Tarón – in Entsetzen zu Stein erstarrt – erleichtert feststellte.
Sein Herz schlug nun so wild und laut, dass sein Rauschen in seinen Ohren wie das Meer klang. Faran würde ihn hören… und diesmal würde er ihn totschlagen. Die Panik versuchte sich seines Geistes zu bemächtigen, doch der Junge schloss das linke Auge – das rechte war ohnehin mehr geschlossen, als offen- und zwang sich an die Wellen zu denken. Ihr steter ruhiger Puls an einem Sommertag. Es half. Als er das Auge zögernd öffnete hatte sich Farans Position nicht verändert und Tarón wagte es wieder zu atmen. Langsam, vorsichtig. Er musste weiter.
Der Weg zur Ausgangstür kam ihm ewig vor. Hätte er ein Fenster in seiner Kammer gehabt, wäre alles einfacher gewesen, doch diese Ausrede für ein Zuhause konnte damit nicht aufwarten. Und so musste er sich durch den Raum zwingen und dabei den Blick darauf behalten, warum er dieses Risiko einging.
Erst als ihn die Nachtluft mit ihrem schweren Geruch nach Salz und Tang begrüßte fiel die Angst von ihm ab.
Tarón warf einen zögernden Blick zurück auf die geschlossene Holztür hinter sich – doch sein Onkel schlief und er würde wahrscheinlich nicht vor dem Morgen erwachen. Isala sollte für die Nacht sicher genug vor ihm sein, dass Tarón sich der anderen Sache neben ihr und ihrer Mutter zuwenden konnte, um die er sich in dieser einsamen Welt sorgte. Die Schritte nun viel freier machte er sich auf zum nahen Strand.
Isala flüchtete in letzter Zeit sehr oft aus dem Haus, in dem ihre Familie schlief. Viel zu lange schon hatte sie das Gefühl, dass sie in dem beengten Räumen nicht richtig atmen konnte. Hier oben auf dem Dach allerdings schon. hier konnte sie die Sterne zählen und von einer anderen Zeit träumen... sie träumte von der Zukunft und all den Dingen, die sie machen könnte, wenn sie nicht mehr hier wäre.
Das kleine Mädchen wusste nicht mehr wirklich wann es angefangen hatte. Ihr "Vater" hatte sie am Anfang nie wirklich gemocht und immer wieder beteuert, dass sie gar nicht seine Tochter war. IHr mutter hatte dies immer verneint, aber ob sie das aus Angst getan hatte oder ob es wirklich die Wahrheit war, hatte sie auch Isala niemals gesagt. Doch vor ein oder zwei Jahren fing es an, dass der Vater sich plötzlich für sie interssierte. Er legte so oft einen Arm um sie und versuchte sie an seltsamen Körperstellen zu berühren. Das Mädchen fühlte sich dabei jedes mal unwohl, hatte aber auch ähnlich ihrer Mutter wahrscheinlich, einfach angst sich dagegen zu wehren.
Sie war froh, dass Tarón bei ihnen eingezogen war, denn er nahm sie oft in Schutz... und erhielt dafür fast jedes mal Schläge. Sie wollte nicht, dass Tarón jedes mal verletzt wurde, also hatte sie irgendwann aufgehört es ihrem Cousin zu erzählen. Doch er bekam es dennoch mit... genauso wie ihre Mutter. Doch im Gegensatz zu Ihrer Mutter, stellte sich Tarón immer öfter schützend vor sie.
Ein geräusch holte Isala aus ihren gedanken und das Mädchen blickte in die Dunkelheit unter ihr. Tarón... was machte er hier. Schlich er sich fort? Im ersten Moment übnerlegte sie, ob sie sich zu erkennen geben sollte, doch für das Kind war es fast schon ein Spiel im verborgenen zu bleiben. Isa grinste, seilte sich vom Dach der Hütte ab und fing an, dem Jungen unentdeckt hinterher zu schleichen.
Mit jedem Meter, den Tarón sich von der schäbigen Hütte entfernte, fühlten sich seine Schritte etwas leichter an. Er hatte nicht viel beiseitelegen können – auch so schon fiel das Essen meist eher spärlich aus, auch wenn Tante Maira ihr Bestes gab aus dem wenigen, was sie hatten etwas Gutes zu bereiten. Doch zaubern konnte auch sie nicht und am Ende des Tages blieb eine Schüssel Reis eine Schüssel Reis, wenn man ansonsten Nichts hatte. Tarón half, wenn er konnte – stundenlang jagte er am Strand nach Krabben und suchte nach Muscheln oder machte sich auf in die Wälder, um nach wild wachsenden Früchten zu suchen. Einen Teil davon konnte er an guten Tagen sogar verkaufen. Er hatte es sogar geschafft ein paar Taler vor seinem Onkel zu verstecken, doch der Großteil war am Ende doch in seiner Tasche verschwunden, um wenig später in billigen Rum umgesetzt zu werden.
Dennoch hoffte er, sein neuer Freund würde sich über die kargen Geschenke freuen, die er brachte.
Als seine Füße in den unter der Oberfläche noch vom Tag warmen Sand tauchten wurde der Junge misstrauischer. Er änderte sogar die Richtung und ging schließlich in einer leicht von seinem Ziel weggewandten graden bis zum Wasser. Die Wärme des trockenen Sandes wechselte zur Nachtkühle des feuchten und bald umspülten die Wellen die Knöchel des Jungen, als er nahe an der Wasserlinie den Strand wieder in die richtige Richtung hinab lief. Er ließ sich Zeit. Niemand schrieb ihm hier vor wie und was er zu tun hatte. Er agierte aus eigenem Antrieb. Er war hier draußen, weil er es wollte.
Und so verging einige Zeit, ehe er zu der Felsformation kam, die sein Ziel darstellte. Noch einmal warf er den Blick umher, doch außer Schatten konnte er nichts um Grau der Welt entdecken. Dann schob er sich in die Finsternis des Höhleneingangs, der hinter ein paar Felssplittern verborgen lag.
Auch er musste sich ducken, um hier hindurch zu kommen – ein Erwachsener musste beinahe kriechen. Es tat weh – Taróns Rücken fühlte sich an wie ein morsches Brett - doch es machte diesen Ort nur zu einem besseren Versteck.
Tarón bog um eine Ecke des empor führenden Ganges und schon begrüßte ihn das weiche Licht einer Öllampe. In ihrem warmen Schein lehnte der Pirat auf seinem improvisierten Lager an den grauen Felsen in seinem Rücken. Als er den Mund zu einem Grinsen verzog, schimmerten die geschwärzten Zähne, die ihm seinen Namen verliehen im Lichtschein.
„Ich wusste du lässt mich nicht hängen, Junge. Hast an den alten Black Tooth gedacht…“
„Wie versprochen.“
Erwiderte Tarón und reichte ihm das Bündel, das er mitgebracht hatte.
Black Tooth Jack richtete sich nur etwas auf, um es zu greifen, doch das reichte, um ihn sein Gesicht schmerzhaft verziehen zu lassen. Besorgt sah Tarón auf die Seite, an der die Wunde unter dem dicken Stofffetzen verborgen lag, den er Jack zwei Tage zuvor gebracht hatte.
„Oh keine Sorge min Jung. Es wird schon besser. Zwickt nur noch etwas – möge dieser verfluchte Baradon auf dem Grund des Meeres verrotten! Nun, lass mal sehen…“
Langsam und dabei fast ausschließlich seine Linke benutzend schlug Black Tooth Jack den Stoff den Bündels zur Seite und blickte auf das, was Tarón mitgebracht hatte: ein hartes Stück Brot, etwas geräucherten Fisch, eine Flasche, die er mit gutem Wasser befüllt hatte und eine der Krabben, die er am Morgen gefangen hatte. Eine Welle von Scham ließ das Gesicht des Jungen im Lichtschein aufglühen.
„ich weiß, es ist nicht viel…“
„Tarón…es ist mehr, als mir jeder andere Fischkopp geben würde! Danke! ... Bissle Rum wäre schön gewesen, aber ich bin dir wirklich dankbar, min Jung.“
[color=black]Lächelnd griff Jack zu und biss von dem Fisch ab. Während er kaute blitzten seine klugen hellbraunen Augen zu dem Jungen herüber.
„Wapf ifft mit deinem Rücken paffiert?“
Isala bereute es fast, dass sie kein festes Schuhwerk an hatte, als sie weiter hinter ihrem Cousin her schlich, aber zumindest machten die kleinen nackten Füße keine lauten Geräusche. Das Kind war es ohnehin gewohnt unentdeckt zu bleiben und so ließ sie sich am Strand etwas nach hinten fallen, sodass taròn sie nicht mitbekam.
Seine Abdrücke im feuchten Sand waren allerdings eine gute Anlaufstelle. Wo wollte er nur hin? Isala hatte schon viel ausgekundschaftet - auch mit ihm zusammen, doch hier war sie noch nie gewesen.
Sie waren ohnehin nie wirklich lange unterwegs, denn ihr Vater wurde immer böse, wenn sie zu spät kamen oder ihm irgendetwas anderes nicht passte. Wenn er wieder zu viel aus seiner Flasche getrunken hatte,reichte es schon wenn sie mit dreckigen Sachen ins Haus kam...und meistens bekam nicht sie den größten Ärger...sondern ihr Cousin.
Isa wollte beinahe aufgeben....sie hatte keine Ahnung wie lange sie hier schon am Strand herum lief und wenn ER herausfand, dass sie so lange unterwegs waren, gab es mächtig Ärger. Und nachdem, was er mit taròn heute angestellt hatte, fürchtete Isala, dass der junge nicht mehr aufstehen würde.
Und dann führten die Fußabdrücke im Sand zu einer felsformation und einer Höhle und plötzlich war sie hellwach und ihre Augen glänzten vor lauter Abenteuersinn.
Sie hatte kaum den Kopf reingesteckt und die ersten Schritte in die Höhle gewagt, da hörte sie zwei stimmen, von der sie eine nicht kannte.
Als sie aus der Dunkelheit hinüber schielte und den verletzten Mann sah, zog sie erschrocken die Luft ein und trat mit ihren ungeschützten Füßen auf einen spitzen Stein. Ihr Ausruf “aua!“ hatte sie hundertprozentig verraten.
Doch Isa hielt die Luft an, in der Hoffnung, dass sie noch immer unentdeckt blieb.
Ein plötzlicher Ausruf ersparte Tarón die Antwort auf die unangenehme Frage. Anstatt Black Tooth, der seine Augen nun misstrauisch verengt hatte und an ihm vorbei schaute – die Hand an seiner Pistole, wie der Junge bemerkte – zu antworten, wirbelte er herum und zuckte dabei selbst leidvoll zusammen, als der Schmerz durch seinen Rücken schoss. Er kannte diese Stimme…
„Isa! Komm sofort raus und hör auf dich zu verstecken! Was machst du hier?“
Polterte er los, die Zähne zusammengebissen, da sein Rücken noch immer tierisch weh tat.
Black Tooth gab ein amüsiertes Grunzen von sich und ließ seine Hand wieder sinken.
„Deine Cousine, eh? Komm ruhig raus in Deern. Der alte Black Tooth tut dir nix.“
Zum Glück sah es der Pirat locker – doch Tarón ärgerte sich. Mehr über sich selbst als über Isala. Er war zu unvorsichtig gewesen. Es hätte auch Faran gewesen sein können, der ihm gefolgt war. Doch nun war das Kind in den Brunnen gefallen, wie man so schön sagte – also hieß es Schadensbegrenzung betreiben und das bedeutete Isa ab nun mit ins Boot zu holen.
„Nun komm her…“
Murrte er deshalb noch einmal, jedoch schon weit weniger aufgebracht, als eben.
Isa ließ sich Zeit und blieb noch einen Augenblick in der Dunkelheit stehen, während ihr herz versuchte ihren brustkorb zu sprengen. Dann jedoch nahm sie ihren Mut zusammen und trat ins Licht. Nun hatte sie auch endlich die Möglichkeit den Piraten genauer zu begutachten. das Kind hatte zwar einen gesunden Respekt vor allem neuen und unbekannten, jedoch keine Angst. So versuchte sie eine besonders taffe Miene aufzusetzen als sie den Mann direkt ansah.
"Wer bist du? Was machst du hier? Bist du ein Pirat?" Die letzte Frage erhellte ihr Gesicht und machte Platz für reine Neugierde. Dann jedoch sah sie zu tarón und legte den Kopf schief.
"Was machst du hier? Du weißt dass du Ärger bekommst, wenn ER das herausfindet." Und das will ich nicht, fügte sie gedanklich hinzu und sah ihren Cousin besorgt an.