03.01.2022, 00:47
Liam war froh, dass Rayon seinen Kommentar offensichtlich nicht als Seitenhieb verstanden hatte. Er wusste, dass sein Freund ihn nicht bevormunden wollte und hatte seine Sorge auch ganz und gar nicht so verstanden – Im Gegenteil. Es war schön, wenn man wusste, dass es Menschen gab, die sich um einen sorgten. In seiner Welt jedenfalls. Diese Einstellung spiegelte sich auch in dem dankbaren Lächeln wider, mit dem er den Dunkelhäutigen bedachte. Dann räusperte er sich, zwang sich zu einer ernsteren Miene und blickte ein wenig skeptisch zu ihm hinüber. Die Grübchen, die sich um seine Augen gebildet hatten, zeugten davon, dass er wirklich an sich halten musste, ernst dreinzublicken.
„Die nächste Schlägerei nicht ohne dich, habe verstanden. Hätte ich gewusst, dass du dich so gerne prügelst wie ich, hätte ich dir direkt Bescheid gesagt.“
Es war schön, mit jemandem zu reden, von dem man kein ernsthaftes Urteil zu erwarten hatte. Es ging nicht darum, keine Kritik zu vertragen oder bemitleidet zu werden. Es ging darum, dass jemand zuhörte, mit einem lachte und einen darin bestätigte, dass Fehler menschlich waren. Und dass man nicht jeden Fehler bereuen musste. Außerdem war es nicht verkehrt, jemanden zu haben, der einem im Zweifel von Dummheiten abhalten konnte, bevor man sie beging. Liam hatte immer Alex gehabt; hatte ihn jetzt vielleicht wieder aber so sehr er seinem wiedergefundenen Freund auch traute – er schrieb dem Dunkelhäutigen weitaus mehr Gewissenhaftigkeit zu als seinem langjährigen Begleiter.
„Dafür müsstest du mich erst einmal kriegen.“, warnte er den Smutje mit einem Lachen in der Stimme vor. Die Vorstellung hatte ein wenig etwas von Räuber und Gendarm. „Uff, aber warten wir damit bitte, bis wir wieder die gleichen Voraussetzungen haben.“ Doch Rayon relativierte seine Aussage sogleich, brachte Liam abermals lachen und ließ ihn lässig mit der Schulter zucken. „Dann wird’s wenigstens nicht ganz so einsam, wenn wir im Regen die Zeit totschlagen müssen.“
Jetzt gerade war er leichte Beute – ganz egal, ob für einen freundschaftlichen Streich, eine zwielichtige Racheaktion oder auch der Tiefe der eigenen Gedanken. Von daher war die Aussicht auf einen arbeitslosen Rayon gar nicht so verkehrt. Der Lockenkopf nickte langsam, während er nachdachte, seufzte in gespielter Demut, als der Dunkelhäutige ihm seinen Plan erklärte und ergab sich, indem er das Buch vor sich zu Boden legte.
„Bevor du mich wirklich noch an den Hauptmast fesselst, ergebe ich mich lieber direkt.“, grinste er und ließ den Blick doch noch einmal über den Garten schweifen. Plötzlich missfiel ihm der Gedanke, den Hinterhof des Bordells zu verlassen, gar nicht mehr so sehr wie noch vor einigen Minuten. Als Rayon ihm dann aber unterstellte, andere Verabredungen für den Tag zu haben, blickte er ihn mit gespielter Entrüstung entgegen. „Wichtigere Verabredungen als dich?“, fragte er. „Tut mir leid, heute habe ich auf die Schnelle keine Ausrede parat, dich zu versetzen. Heute Abend vielleicht, aber ich glaube, du würdest dich mit Alex auch gut verstehen. Und wenn die Captains dich schon so unterfordert hinterlassen, tut dir ein kühles Bier sicherlich gut.“
Liam überlegte kurz, ehe er sich aufrechter hinsetzte, als würde er gleich in mühseliger Anstrengung aufstehen wollen.
„Du hast gesagt, dass du bei der nächsten Schlägerei nicht fehlen willst, richtig?“, begann er dann, seinen Plan zu offenbaren und veräppelte den Älteren erst einmal. Dann zwinkerte er. „Nathan, der Rumtreiber von gestern. Wir haben ihn nach der ganzen Aktion nicht mehr gesehen. Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang? Vielleicht finden wir ihn ja in irgendeiner Ecke.“