14.12.2021, 19:35
Möglichst unauffällig presste der Lockenkopf die Luft zwischen seinen Lippen hindurch und versuchte, seinen Geist dazuzubringen, nicht mehr ganz so gefährlich unter seinen Füßen zu wanken. Zu seinem Glück waren die anderen entweder zu sehr in ihre Arbeit vertieft oder zu angespannt, als dass ihnen etwas aufgefallen wäre. Die Abstände zwischen den kurzen Momenten, in denen sich Dunkelheit über seine Augen legte, ihm die Hitze zu Kopf stieg und der Schwindel ihm den schlimmsten Wellengang seit einigen Monaten vorzugaukeln versuchte, wurde kürzer. Aber Liam hatte keine Zeit. Keine Zeit hierfür jedenfalls. Woher auch immer der plötzliche Anflug seines Körpers kam, ob nun Stress der Auslöser war (wofür er eigentlich eher unanfällig war) oder eine Krankheit in ihren Startlöchern - nicht jetzt, wiederholte er in Gedanken, drückte seine verletzte Hand etwas fester an ihren Arbeitstisch und atmete auf, als ihn die Symptome wieder verließen. Drei Stunden, vielleicht vier. Dann konnte er gerne mit Brech-Durchfall ausfallen. Aber nicht, bevor sie die Sphinx nicht irgendwie hier herausmanövriert hatten. Rúnars Ausruf traf ihn, als das Schneegestöber vor seinen Augen gerade nachließ. Liam blinzelte einige Male, bis sich sein Sichtfeld normalisiert hatte, ehe sein Blick zu dem Blonden hinüberschnellte.
„Alles okay?“, fragte er und fühlte sich noch ein bisschen benommen, doch Rúnar machte schon das, was in diesem Moment wohl das Schlauste war – die Wunde mit Tüchern verbinden und weiterarbeiten. „Zieh‘ die Tücher eng, das mildert die Angriffsfläche für den Nebel.“
Ein kleiner Rat, den er ihm aus eigener Erfahrung heraus mit auf den Weg geben konnte, ehe sie konzentriert weiterarbeiteten. James schien noch immer eher skeptisch ob ihrer Bastelei und Isala wirkte mehr besorgt und angespannt, als dass sie sich überhaupt groß Gedanken darum gemacht hätte, was sie hier vorhatten. Abermals glitt sein Blick über den Jüngeren. Liam hatte ein schlechtes Gewissen, weil er ihn tatsächlich gefragt hatte, ob er mit nach oben kommen würde. Zu zweit würden sie ihre Vorrichtung besser bedienen können. Aber es missfiel ihm, Rúnar einer derartigen Gefahr auszusetzen. Sie hatten nur keine andere Wahl. Und Liam hoffte inständig, dass Rúnar wusste, dass ein ‚Nein‘ durchaus eine Option gewesen wäre. Als sie fertig waren, nickten sie sich kurz zu. Liam packte die Teile ein und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach oben.
„Scheint, als würden wir genau richtig kommen.“, murmelte er seinem Leidensgenossen zu und warf einen flüchtigen Blick in die Richtung des anderen Schiffes.
Sie hatten das Handelsschiff inzwischen erreicht und ein paar ihrer Leute waren gerade im Begriff, überzusetzen. Liam legte die modifizierte Schüssel und die Lampe an den Fuß des Hauptmastes und beobachtete die Szenerie auf dem anderen Schiff einen weiteren Moment, dann wandte er sich um und teilte einen entschlossenen, aber besorgten Blick mit Alex, der vom Achterdeck zu ihnen hinuntersah.
„Rúnar.“, begann Liam dann wieder leise, während er sich allmählich vom Achterdeck abwandte. „Du… Musst nicht mit hoch, wenn du nicht willst.“, stellte er ihm die Option abermals offen. „Wenn es nicht funktioniert, kann ich für nichts garantieren.“