14.12.2021, 14:04
Als Lucien den Blick seiner Schwester bemerkte, mit dem sie ihm und Tarón die Tücher reichte, verdrehte der Dunkelhaarige nur kurz die Augen und band sich den Stofffetzen kommentarlos vor Mund und Nase. Dass sich das ungewöhnliche Kratzen in seinem Hals längst zu einem ausgeprägten Hustenreiz entwickelt hatte, der ihn schon beim Werfen der Enterhaken behindert hatte, verschwieg er wohlwissend. Im Augenblick mochte es gehen und sobald sie diesen Nebel hinter sich ließen, würde das Kratzen hoffentlich von selbst verschwinden.
Hier und Jetzt beschäftigten ihn jedoch andere Dinge weit mehr. Die Sphinx und das kleine Handelsschiff hatten aneinander festgemacht, die Matrosen auf der anderen Seite der Reling hatten sich – soweit Lucien das überblicken konnte – als kleiner Haufen zusammengerottet und wartete auf ihre Ankunft, und Tarón hatte wie geheißen eine kleine Gruppe zusammengestellt, die sich bereit machte, auf das andere Deck überzuwechseln.
Für einen Herzschlag huschte der Blick des jungen Captains zu Ceallagh hinüber, dann zu Talin und an ihr vorbei zum Achterdeck, wo er Alex noch beim Vorbereiten der Kanonen vermutete. Was immer er und Liam planten – er konnte nur hoffen, dass es funktionierte. Denn wenn sein Vorhaben nicht aufging, das Revier dieser Vögel im Schutz des Nebels zu verlassen, dann blieb ihnen nur die Idee der beiden Männer. Und die wenigen Bruchstücke, die Talin zu berichten wusste, klangen genauso erfolgversprechend, wie darauf zu hoffen, dass die Nebelbank groß genug und langsam genug war, um ihnen Deckung zu bieten.
So oder so blieb ihnen nicht viel Zeit. Sie würden aufsammeln, was aufzusammeln sich lohnte, und dann von hier verschwinden. Und mit ein bisschen Glück, genug Wind und Liams und Alex‘ Unterstützung vielleicht mit heiler Haut davon kommen.
„Also gut, wir haben nicht viel Zeit“, wandte er sich damit an die Gruppe, die mit ihm an der Reling stand und darauf wartete, dass es los ging. „Tarón, Talin und ich werden mit diesem Jón sprechen. Josiah und Rayon kümmern sich um die Leute an Deck. Treibt sie zusammen und sorgt dafür, dass sie nicht zur Gefahr werden. Die anderen Beiden durchsuchen das Schiff nach allem, was wir gebrauchen können und schaffen es rüber auf die Sphinx. Es ist ein Handelsschiff, also finden wir bestenfalls ein paar Sachen, die wir im nächsten Hafen wieder verkaufen können. Irgendwas, was dieser Nebel noch nicht völlig zerfressen hat. Aber seid vorsichtig. Gut möglich, dass Unterdeck immer noch jemand am Leben ist, der sich über euren Anblick nicht besonders freut. Selbst über Ceallaghs hübsches Gesicht nicht.“
Mit einem kurzen Schmunzeln, dass sich in kleinen Fältchen um seine Augen zeigte, bedeutete er ihnen mit einem Nicken, dass es los ging und wandte sich dann zu der Planke um, die Trevor und er von einem Deck zum anderen gelegt hatten.
Nach wenigen Schritten betrat er das kleinere Handelsschiff, wartete nur einen Augenblick, bis Tarón und Talin bei ihm waren, bevor er sich dem jungen Mann zuwandte, der mit ihnen in Verhandlungen hatte treten wollen. Nur kurz streifte sein Blick dabei die Matrosen, die sich in einer Ecke zusammengerottet hatten, doch als Jón das Wort ergriff, richtete Lucien seine gesamte Aufmerksamkeit auf ihn. Vertraute seiner Crew schlicht und ergreifend, dass sie die übrigen Männer in Schach halten konnten.
„Nun ja, was heißt Plan?“, erwiderte Lucien mit der Spur eines Lächelns in der Stimme. „Wir verschwinden von hier, das ist unser Plan. Aber wir sind bereit, diejenigen von euch mitzunehmen, die freiwillig mitkommen wollen und euch auf der nächsten bewohnten Insel abzusetzen. Ich vermute, das ist das, was du gehofft hast. Die Frage ist nur, was ihr als Gegenleistung bieten könnt?“