05.11.2021, 18:42
Es geschah etwas zu viel für Josiah's Geschmack. Einerseits genoss er die Action, die Hektik, einfach das Geschehen. Der Zwang zu Handlungen, das Leben im Moment. Andererseits hatte er sich immer noch nicht an diese Art des Chaos gewöhnt. Früher ging Chaos viel Planung voraus, viel Kontrolle, viel Vorbereitung. Sorgfältigkeit und Wissen waren entscheidende Grundbausteine zum Erfolg.
Und er war alleine. Er musste nur auf sich selber achten, nur mit sich selber Strategien ausmachen. Musste auf niemanden anderen acht geben oder sich nach ihm richten.
Das hier war nur schwerlich damit zu vergleichen.
Eine Stimme ertönte und ließ Josiah kurz innehalten. Sein Blick huschte kurz suchend umher, bis er den Träger des Rufes fand: Alex.
Ihnen waren Teile der Munition ausgegangen.
Josiah fluchte innerlich auf. Deswegen arbeitete er lieber alleine: wie konnten auf einem Piratenschiff Schrotkugeln ausgehen?
Seine Lippen wurden schmal, während er nickte - selbstverständlich hatte er Schrotkugeln bereits selber gebastelt - und in seinem Kopf die Optionen durchging, die sie hatten.
Per se konnte man alles in den Lauf schieben, was hinein passte. Aber es war dasselbe "können" wie das Vermögen, jeden Pilz im Wald essen zu können. Manches probierte man halt nur einmal, anderes sorgte für unschöne Nebeneffekte und nur ein paar hatten den gewünschten Effekt. Vorausgesetzt, Tot, Magenbeschwerden und Halluzinationen waren nicht Teil davon.
Die entscheidende Frage kam von Soula. Ja, was konnten sie hinein tun?
Was passte gut genug, blieb kontrollierbar und verlor dabei nicht an der erwünschte Kraft. Josiah verworf ein paar erste Ideen, dann zögerte er.
Nägel.
Der Gedanke behagte ihm nicht.
Ein Lebewesen unnötig leiden zu lassen war nicht seine Art.
Er bevorzugte kontrollierbare, gezielte Waffen. Im aktiven Kampf war diese Variable nur schwer zu kontrollieren. Das hier aber waren Pläne, gezielte Überlegungen. Sie hatten Zeit bis zur Reaktion.
Aber nicht sehr viel.
Improvisierte Schusswaffen, vor allem dieser Art, waren unberechenbarer für alle Beteiligten. Er hatte schon Waffen in den Händen von den Schützen explodieren sehen, die sie in der Hektik falsch behandelt hatten. Sie mit Dingen zu stopfen, für die sie nicht direkt ausgelegt waren, erhöhte das Risiko bloß.
Seine Gedanken trugen ihn an einen Ort, wo er lange nicht mehr gewesen war. Die schroffe Küste einige Stunden von seiner neuen Heimat entfernt, als die Dämmerung sich langsam über das Land legte. Er spürte das Gewicht einer Armbrust in seinen Händen, den Händedruck des Jägers auf seiner Schulter. Zu ihren Füßen, im nassen Gras, hatte sich bis vor kurzem noch der Leib einer kleinen Wildkatze gewungen. Jetzt war sie still - dickes Blut sickerte aus einer Wunde am Hals ins Erdreich.
"Es geht nicht nur darum, dass Angst das Fleisch von Tieren verderben kann.", donnerte die Stimme des Jägers in seinem Ohr, "Es geht auch um unsere Menschlichkeit. Alles verdient unseren Respekt. Auch der Tod. Das Ergötzen der eigenen Lust ist, das Stillen unseres Egoismus, sollte nie die Grundlage für Leid sein."
Josiah hatte den Mann selten wütend erlebt. Er hatte die Katze in seinem Auftrag erlöst und war dann mit zur Wache geschleppt worden, um den Vorfall zu melden. Lange hatte Josiah diesen Moment am meisten gefürchtet, doch während der Respekt vor den Wachen schwand, blieb die Lehrstunde des Jägers in seinem Kopf haften. Jedenfalls ein Teil davon - denn Josiah sah keinen Respekt in seinen Tötungen. Aber seitdem hatte er jeden expliziten Wunsch nach einer besonderen Tötungsart ausgeschlagen und die gewählt, die in seinen Augen am “zielführendsten” waren. Dies bedeutete zumeist, dass die eingesetzten Waffen sehr berechenbar und zielführend waren.
Trotz allem wusste er sehr genau, wie man andere Waffen hervorbrachte und damit umging. Mit ihnen, und ganz anderen Grausamkeiten.
Berufskrankheit. Josiah lachte innerlich trocken auf.
Er sah auf. Die Gedanken sind frei, aber vor allem schnell - Alex war noch nicht zum Antworten gekommen. Josiah störte sich nicht daran.
"Wo lagern wir die Nägel?"
Die Frage war weder an Alex, noch an Soula spezifisch gerichtet. Er stellte fest, dass er die Entscheidung eigentlich schon lange vor seinem Zweifel getroffen hatten. Nägel und etwas zum Abdichten.
Dann richtete auch er seinen Blick auf Alex. Soulas Frage nach seinem Plan stand immer noch aus - und auf das “befüllen”, wenn er die Sache streng sah.
Er war sich nicht sicher, ob Alex auch die Nägel im Kopf hatte, oder gar etwas ganz anderes. Wenn überhaupt. Aber vielleicht hatte er noch etwas im Kopf, was Josiah vergessen hatte - er sollte sich wirklich öfter anschauen, was genau sie wo gelagert hatten.
[bei Alex & Soula]