28.06.2021, 13:29
Die weiteren bissigen Worte aus James Richtung ließ Tarón an sich abperlen, wie Gischt die auf einen Wachsmantel trifft. Für ihn war das Thema – vorerst – erledigt. Und es war eine Erleichterung, dass auch James die Sache offenbar erst einmal abhaken konnte und auf Taróns Bitte einging den Fremden zu Luc zu bringen. Der Falke war nicht etwa plötzlich konfliktscheu geworden – doch diese Sache hatte zugegeben bereits zu viel Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Und dennoch nahm er sich noch einen weiteren Moment zu schnell verrinnender Zeit, als Soula ihre Frage an ihn richtete.
‚Warum?‘
Die Antworten, die er darauf hätte geben können, waren lang und bohrten tief.
Der Nebel – diese nach wie vor mysteriöse und bedrohliche Erscheinung – lichtete sich. Auf dem Schiff war die Sicht nun fast wieder frei.
Taróns Augen – Verräter mit Eigenleben – strichen kurz über Isa, die endlich – den Göttern sei gedankt – vom Krähennest gekommen war. Offenbar in einem Stück. Doch er ließ seinen Blick nicht lange verharren, zwang die Verräteraugen weiter, ehe sie noch mehr Verrat üben konnten, und sah Soula direkt an. Nein, er würde ihr nicht all das sagen, was er bei dieser Frage dachte und empfand, woran er sich erinnerte und was er lieber vergessen würde. Und so blieb seine Antwort knapp – wenn auch ehrlich.
„Weil Menschen – egal welchen Geschlechts – keine Gegenstände sind, mit denen man machen kann, was man will.“
Und weil du nicht dabei zusehen wirst, wie der nächste geile Bock seine moralischen Grenzen Stück für Stück auflöst, bis von ihnen nicht mehr übrig ist als Erinnerung und Selbstbetrug.
Er lächelte leicht und vielleicht erkannte man in diesem Moment das Mehr im Meer seiner blauen Augen – unausgesprochene Worte, die darin trieben wie über Board gegangene Fracht.
Dann durchbrach jedoch der Ruf das kurze Schweigen. Alleine das geschriene Wort verriet, dass der Schrei wohl kaum von einem von ihnen gekommen war. Wie wohl alle anderen auch eilte Tarón zur Reling – der Stimme nach – und gruppierte sich neben Rúnar einnur um im nächsten Moment wie vom Donner gerührt zu verharren.
Da war das Handelsschiff – leck, aufgelaufen auf das Wrack eins weiteren Schiffs …viel näher als es jedwede mögliche Physik betrachtend hätte sein dürfen.
Mit Abstand betrachtet hätte er Runars „Segel in Sicht“ urkomisch gefunden… doch in diesem Augenblick war der Schaden an seinem Glauben an feste Logik zu sehr erschüttert um irgendetwas witzig zu finden. Es fehlte nur noch, dass Himmel und Meer sich umkehrten – vielleicht hätte ihn das nun auch nicht mehr gewundert.
Die Reaktion aller anderen – die der Crew der Sphinx wie auch diejenige der Handelsschiff-Leute – bestätigte zumindest, dass er nicht einfach wahnsinnig geworden war und sein Gespür für Zeit und Raum über Board gegangen war. Wie das hier möglich war verstand offenbar keiner.
Gut. Damit gab es nur eine Möglichkeit: das Ganze für den Moment einfach als gegeben hinzunehmen und das Beste daraus zu machen. Und das Beste war, dass sie verdammt nochmal hier weg kamen.
Zeit für eine Bestandsaufnahme: die verdammten Vögel schienen noch immer wie Auusgeier über ihnen zu kreisen, sich aber nicht durch den Nebel zu trauen (das konnte er ihnen nicht verübeln). Der Nebel wiederum zog sich zumindest etwas zurück – dem Weg nach zu folgen, den die Schwaden auf Deck genommen hatte nach Westen, es sei denn die Luft wurde hier stellenweise verwirbelt. Isa und Skadi würden das wissen, wenn sie den Nebel von oben beobachten konnten. Zudem hatten sie Land gesehen. Ceallagh konnte ihr Wissen sicher ergänzen und Shanny sie hier raus navigieren… so gesehen sah es garnicht so schlecht aus. Blieb die Frage was Luc mit den Schiffbrüchigen da vorne anstellen wollte. So gesehen war das Handelsschiff nun ein recht wehrloses Opfer – nur bezweifelte Tarón stark, dass irgendjemand vorhatte hier auch nur eine Minute länger zu bleiben als nötig und das schloss wohl verspätete Beutezüge ein. Hieß also: entweder ließen sie die armen Schweine hier oder…taten etwas sehr unpiratiges. Es war nicht an ihm das zu entscheiden. Das würde Luc übernehmen. Genauso wie er sicher war, dass Skadi und Isa und Ceallagh wussten wie ihre Rollen aussahen.
Was ihn anging blieb damit eines, das er tun konnte.
„Ruhig Blut, ihr Leichtmatrosen! Scheint euer Kahn sinkt! Keine Sorge, wir haben wenig Interesse an Treibholz!“
Tarón legte seinen ganzen Charme in die Worte und das freundliche Lächeln, dass sie begleitete. Egal was Lucien – oder Talin – entscheiden würde, Tarón versuchte vorerst die Aufmerksamkeit der Handelsleute zu binden und sie ein wenig zu beruhigen. Eine Eskalation zwischen den Gruppen konnten sie nicht brauchen und selbst wenn Luc entschied, dass sie die Schiffbrüchigen einfach abknallen würden wäre es von Vorteil, wenn die Handelsleute nicht umgehend damit rechneten.
„Calwah…“
Zischte der Falke leise zur Seite, während er die Arme locker auf der Reling abstützte und die Handelsleute mit seiner Mischung aus freundschaftlichem Spott und offener Neugier betrachtete.
Offenbar noch immer kooperationsbereit kletterte die Echse auf seine Schulter, lugte ebenfalls neugierig zu den Fremden herüber und breitete seine Flügel balancesuchend aus. Ein kleines buntes Schauspiel für das neue Publikum.
[Reling mit Blick aufs Handelsschiff | Rúnar, Soula, Josiah]