11.04.2021, 15:34
Griffith spürte, wie sein Herz unaufhörlich und viel zu schnell gegen seine Brust schlug. Das daraus resultierende Geräusch schien das lauteste von allen in dem Konglomerat aus vorherrschenden Geräuschen zu schein, aber Griffith konzentrierte sich nicht darauf. Stattdessen ließ er seinen Blick über die panisch umherrennende Ansammlung von Menschen schweifen, immer auf der Suche nach dem strengen, sicherlich kein bisschen panischen Anblick seines Vaters, mit dem er das Schiff betreten hatte. Er konnte ihn nirgendwo ausmachen und sein Hilferuf blieb auch unbeantwortet. Zumindest für einen Augenblick. Dann erhob sich eine Stimme aus der Ansammlung der Geräusche. Nicht die harte, unnachgiebige Stimme seines Vaters, die immer dann, wenn sie sich gegen ihn, Griffith, erhob, dazu führte, dass es einige Grad kühler im Raum wurde, sondern die einer Frau. Die weiche, fürsorgliche Tonlage einer Frau, die Griffith, der für sein Alter eher klein und dünn war, nur allzu bekannt vorkam. Denn während all seine männlichen Freunde längst erste Zeichen von Haarwuchs im Gesicht und auf der Brust nachweisen konnten und ihre jungenhaften Stimmen abgelöst worden sind durch raue männliche Tonlagen, hatte sich bei Griffith in den letzten zwei Jahren nur wenig getan. Sein blonder Flaum über der Oberlippe war nichts, worauf er stolz sein konnte und der erhoffte Wachstumsschub ließ weiterhin auf sich warten.
„H-Hallo. Hast du dir etwas getan?“, sprach die Stimme. Griffith schüttelte den Kopf noch bevor die junge Frau ausgesprochen hatte. Dies geschah beinahe instinktiv aus dem Wissen heraus, dass auf hoher See ganz andere Regeln galten als auf dem Festland. Verletzt zu sein führte hier nicht zu Hilfeleistungen, sondern vielmehr dazu, zurückgelassen zu werden, weil man eine zusätzliche Belastung darstellte. So zumindest war es in den Geschichten gewesen, die Griffith in den letzten Wochen aufgeschnappt hatte. Er blickte auf und fügte seiner Geste ein: „Nein, ma'am“ hinzu.
Die junge Frau war hübsch, das bemerkte Griffith zu seinem eigenen Unmut direkt als erstes. Beschämt und hoffend, dass er nicht errötet war, wandte Griffith seinen Blick ab und begutachtete stattdessen kurz den Mann neben der Frau, die ihn angesprochen hatte. Sie hielten einander an den Händen, vermutlich, um sich in dem Chaos an Deck nicht zu verlieren.
Wieder sah sich Griffith nach seinem Vater um. Es war zwar sehr nebelig, aber wenn ihn seine Augen nicht trogen, dann rannten einige seiner Mitreisenden direkt auf die Reling zu und … verschwanden dahinter.
„Die Leute verlassen das Schiff“, stellte Griffith laut und überrascht fest und fragte sich im gleichen Moment, ob sein Vater ihn wohl zurückgelassen haben mochte, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. „Sinken wir?“, fragte er unsicher, auch wenn dies sicher keine kluge Frage war.
{DECK DES HANDELSSCHIFFES – Jón / Néniel}