07.04.2021, 20:59
Noch während Isala den Korken vom Fläschchen löste und die helle Flüssigkeit in roten Schlieren ihren Arm hinab lief, riss Skadi mit einem Ruck den letzten Faden auseinander. Funktionierte und reagierte, statt einen Gedanken an die anderen unterhalb des Krähennestes zu „verschwenden“. Niemand würde ihnen hier oben, bewacht von mordlustigen Augenpaaren, von Nutzen sein können. Isala war der einzige Ankerpunkt den sie hatte. Und sie die erste Hilfe für die Dunkelhaarige, deren Arm gesäubert unter dunklem Leinenstoff verschwand.
Und dann drangen Rufe bis über den Rand des Krähennestes. Erst schwach, dann so klar, dass selbst Skadi den Kopf herum wandte. Hatte sie Tarón gehört? Oder Lucien. Wer auch immer es war. Isala sprang bereits auf die Beine, noch ehe Skadi zur Seite treten oder sich aufrichten konnte. Die Fremde besaß urplötzlich mehr Leben in ihrem Körper, als bis vor wenigen Sekunden noch in ihrem Gesicht gestanden hatte. Und die Jägerin lauschte. Stillschweigend. Verräumte das kleine Fläschchen in ihrer Hüfttasche und warf einen Blick auf die Gestalten am Himmel. Noch immer zogen sie dort oben ihre Kreise. Mit wachsamen Augen und scharfen Krallen, die immer wieder im Licht der Sonne glitzerten. Was bei allen Göttern waren das nur für Wesen? Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass sowohl Shanaya als auch die Captains diese Route freiwillig gewählt hatten - im vollen Bewusstsein, dass sie die anderen dieser Gefahr aussetzten. Oder täuschte sie sich? Gab es Abgründe, die sogar die ihren überstiegen?
Erst das Leuten der Glocke riss sie aus ihren Gedanken. Löste ihren Blick augenblicklich vom hellen Gefieder, das sie an alte Zeiten, an Orten weit oberhalb dieser Welt erinnerte.
“Was...?!“
Erneut ertönten Rufe unter ihnen. Ein Mann war über Board gegangen. Und mit ihm die Ruhe vor dem Sturm. Gewusel. Chaos. Alles schwappte in kleinen Wellen weißen Nebels über ihre Fußspitzen, kaum dass die Frauen nebeneinander am Geländer standen. Den Blick hinab gerichtet und mit nachdenklichen Mienen. Skadi holte Luft. Presste die innere Anspannung, die sich schmerzhaft gegen ihr Brustbein drängte, Richtung Magen hinab. Es ging ihm gut. Es würde ihm gut gehen. Ganz sicher.
Und fast, um nach der Beruhigung zu suchen, die sie selbst brauchte, wandte die Jägerin den Kopf herum. Musterte Isalas Profil, ehe ihr klar wurde, dass nicht sie diejenige war, die beruhigt werden musste.
Man sah ihr an, dass sie am liebsten hinab springen würde, hätten nicht etliche, tödliche Meter unter ihnen gelegen. Dass alles in ihr danach zehrte hinab zu klettern und nach ihrem Freund zu sehen, der Tarón wohl für sie war. Doch es war fraglich wie lange sich Isala mit einem Arm in den Seilen halten und hinab klettern konnten.
Skadi presste nachdenklich die Lippen zusammen. Rückte den Blick aus dunklen Augen für eine Sekunde in die Winkel und schnaubte.
“Es gefällt mir nicht das sagen zu müssen... aber ich glaube wir sollten hier oben bleiben, solange die noch da oben sind...“
Ein Finger deutete hinauf in die Luft, in der die Greifvögel noch immer ihre Kreise zogen.
“Sehr wahrscheinlich sind wir für die anderen hier oben eine weitaus bessere Hilfe. Mit guter Sicht und ohne Nebel im Gesicht.“
Noch mehr, wenn sie nur einen vernünftigen Anhaltspunkte auf die Lage des anderen Schiffes und einer nahe gelegenen Küstenlinie hätten. Einzig und allein Isalas Kompass würde von Nutzen sein. Oder?
[Bei Isala im Krähennest]