06.04.2021, 20:32
Erleichterung schlug ihm entgegen, pur und vollkommen ehrlich. Was er in diesem Moment in den himmelblauen Augen lesen konnte, erfüllte ihn angesichts seiner eigenen Sorge um die Schwarzhaarige mit warmer Zuneigung und lockte ein sachtes Lächeln auf seine Lippen. Er konnte den Schmerz in ihrer Stimme hören, die Erschöpfung, und reagierte mit einer Sanftheit, die in diese Lage kaum zu passen schien und für ihn sonst ganz und gar untypisch war.
„Ich weiß.“
Mehr als nur ruhiges Verstehen schwang in seinem Unterton mit, obgleich er sonst nichts mehr sagte. Auch die Bitte darum, noch ein bisschen länger durchzuhalten, lag darin, und der ungewohnt optimistische Gedanke, dass sie es schon schaffen würden. Zumindest war Lucien jetzt, da er sowohl Shanaya als auch Talin in Sicherheit wusste, positiver gestimmt.
Letztere war es schließlich auch, die ihn von der Schwarzhaarigen ablenkte und seine Aufmerksamkeit erneut einforderte. Er wandte sich halb zurück zur Treppe, registrierte erst jetzt, dass seine Schwester ihm gefolgt war und nun zu ihm aufschloss.
„Nicht wirklich...“, setzte er deutlich ernster zu einer Antwort an, stockte jedoch, als sie den Arm hob und ihm mit ihrem Ärmel das Blut von der Schläfe wischte, das nach wie vor aus der Platzwunde darüber sickerte. Sein erster Impuls war, sich ihr zu entziehen. Einerseits, weil die Berührung ein garstiges Stechen durch seine Stirn sandte, andererseits, weil ihre unerwartete Fürsorglichkeit ihn reizte. Verstand sie denn nicht, dass dafür keine Zeit war?
Doch dann hielt er sich zurück, dachte an jene Nacht auf der Kopfgeldjägerinsel, in der er schon geglaubt hatte, sie für immer zu verlieren, und beschloss, ihre Sorge über sich ergehen zu lassen.
„Es geht mir gut“, versicherte er ihr mit einem sanften Lächeln und so leise, dass nur sie, die sie unmittelbar vor ihm stand, ihn hören konnte. Erst dann entzog er sich ihr vorsichtig – deutlich weniger unbeherrscht, als es sonst der Fall gewesen wäre. Er warf Greo einen kurzen Blick zu, der Talins Frage aufgriff und an seiner statt antwortete, und widmete sich schließlich dem letzten, noch voll gesetzten Segel, um es einzuholen.
„Geht mir genauso“, stieß Lucien auf Greos Worte und Ryms anschließende Bemerkung hin aus, während er sich mit aller Kraft in das Tau stemmte, um gegen den Wind anzukommen, der sich im Tuch verfangen hatte. „Ich hab fast das Gefühl, dieser Nebel frisst sich in offene Wunden.“
Von einem Moment auf den nächsten fehlte der Widerstand des Windes, als sich das Segel mit leisem Klackern zusammenfaltete, und Lucien verknotete das Tau sicher an der Halterung der Reling, bevor er sich wieder Talin zuwandte und sich wie zur Bestätigung seiner Worte mit leisem Fluchen das Blut aus dem Auge wischte.
„Das mit den Tüchern klingt nach einer guten Idee. Wenn sich eine Verletzung schon so anfühlt, ist mir nicht geheuer, was wir hier gerade einatmen.“
Er stockte, nur den Bruchteil einer Sekunde, in der sein Blick dem Talins begegnete. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich an den Söldner.
„Wer ins Wasser gefallen ist, weiß ich nicht. Nur, dass Tarón sich darum kümmert. Die meisten anderen habe ich gesehen oder zumindest gehört. Bei Trevor und Rúnar bin ich mir nicht sicher. Die standen beide an der Reling, bevor wir diesen Vogel an der Backe hatten. Und ich weiß nicht, wer alles unter Deck war.“