02.04.2021, 18:42
Was er tat war nicht mehr als eine Übersprungshandlung. Greos Hirn war immer noch bemüht einen Plan auszutüfteln, wie er nützlich sein und in der schwierigen Lage etwas beisteuern konnte. Es hatte keinen Zweck, sich jetzt zu überlegen, wo er eine originalgetreue Version seiner Schere als Ersatz herbekommen konnte. Die war einfach hinüber. Fertig. Aus.
Mit gespreizten, langen Fingern tastete er suchend eine Stelle am Boden ab, auf der ein paar Gegenstände lagen, die bei dem Angriff durcheinandergeflogen waren. Eine Stimme ließ ihn aufmerken. Greo erhob sich aus seiner gebückten Haltung und blickte dem Mann ins Gesicht, der ihn angesprochen hatte.
„Für dich ist ein nein schon fluchen?“,
fragte er und es war schwer auszumachen, ob seine Stimme ungläubig, ein wenig belustigt oder kühl klang. Irgendwie war es eine Mischung aus allem. Ohje. Was mochte er denn dann unter einem ja verstehen?
Langsam nahm er die ihm die Pistole aus der Hand und konnte sein innerliches Widerstreben nicht ganz ablegen, das wie ein unsichtbarer Faden an seinen Brustwirbeln hing und ihn leicht zurückzuziehen schien. Er erkannte den Kerl, Zarion oder Zarik oder Zimt – wie auch immer, es war der Mann, dessen Anblick die Erinnerung an einen harten Schlag auf seinen Hinterkopf weckte. Greo fürchtete für eine Sekunde, dass der anschwellende Druck innerhalb seiner Schädeldecke sich zu einem ausgewachsenen Schmerz entwickeln würde, war jedoch fest entschlossen diesen Rückstoß in die Vergangenheit nicht zuzulassen. Er zuckte kaum vernehmlich das Kinn etwas höher, neigte es dann zu einem Nicken, was als anerkennender Dank hätte interpretiert werden können, jedoch auch eine subtile, gegensätzliche Note in sich trug.
Er hätte vielleicht noch etwas sagen sollen, kam aber nicht mehr dazu, weil die beiden Herrschaften Kapitäne das Achterdeck betraten. Greo schob die angerostete und ihm nunmehr gleichfalls nutzlose Pistole in seinen Gürtel und drehte sich Lucien und seiner Schwester zu. Er kam näher, konnte auch diesmal die Grußgeste an den Hut nicht unterdrücken und hielt zunächst die Klappe. Nun, da sie beieinanderstanden, entging ihm trotz der wabernden Masse um sie herum nicht die Erleichterung, die sowohl Shanaya, als auch Lucien und Talin mit einem Male ausstrahlten. Sein Blick fiel auf die ramponierte Navigatorin und er runzelte ob ihres Gefühlsausbruchs unter seiner Hutkrempe leicht die Stirn.
Greo riss sich von ihr los, als ein Ruck durch die Sphinx ging und ankündigte, dass ihre Fahrt jetzt erst einmal ein Ende fand. Ein Bild zwang sich ihm auf, von einem Schiffsrumpf, der in einer einzigen, schwerfälligen, aber äußerst kraftvollen Bewegung über einen Kopf hinwegrollte. Aufschäumendes Wasser und das Krachen einer gewaltigen Welle am Bug des Schiffes begleiteten diese Vorstellung. Der Ankerwurf verhinderte das jetzt vielleicht, gleichzeitig hatten sie das Problem, dass das Schiff sich dem Wind entsprechend an der Kette hängend drehen würde. Etwas besorgt schaute er zu den Segeln empor, oder mehr, in die Richtung, wo diese waren. Die Fläche musste weg, sonst würden sie ein unfreiwilliges Manöver einlegen. Wenn er sich recht entsann, hatte Lucien vor seinem Erscheinen auf dem Achterdeck zumindest das Reffen angeordnet.
„Da ist was auf dem Mast gelandet.“, setzte er Talin knapp ins Bild und wusste, wie selten dämlich diese Erklärung klang, „Ein Vogel oder so etwas. Riesiges Viech. Das hat uns in die Schieflage gebracht und als es losgelassen hat zurückgeschleudert. Dabei ging wohl jemand über Bord. Der Nebel macht alles alt und rostig.“ Er zögerte kurz und verzog das Gesicht ein wenig. „Ich weiß nicht, wie’s euch geht, aber mir brennt der überall.“, meinte er und zog sich den Ärmel des rechten Armes hoch. Sein Ellbogen war aufgerissen, aus der Wunde sickerte Blut.
Er bezweifelte ein wenig, dass die Tücher jetzt noch so viel brachten oder ob das Kind nicht schon längst in den Brunnen gefallen war. Eingeatmet hatten sie das Zeug bereits. Eine Reinigung der Wunden hingegen könnte helfen, dieses unsägliche Brennen einzudämmen.
Dann schaute er wieder Shanaya an. Sie war immerhin die Navigatorin. Wenn der Nebel Richtung Land drängte, konnten sie sich vom Wind einfach Richtung Küste schieben lassen. Wählten sie einen raumen Kurs, hätten sie vielleicht eine Chance zügig aus dem Dunst zu entkommen – auch wenn er sie wahrscheinlich irgendwann wieder einholte.
[Achterdeck | Shanny, Talin, Luc, Rym]