30.03.2021, 11:41
Das kalte Wasser brannte wie Feuer auf seiner Haut, als die nächste Welle über seinen Kopf schwappte und ihn für einen Moment unfreiwillig untertauchen ließ.
Als er die Arbeit auf dem Handelsschiff angenommen hatte, aus keinem geringeren Grund als Geldmangel, hatte er anfangs noch leise Zweifel gehabt. Nach und nach hatte er sie dann unter den Teppich gekehrt. Sich gesagt, dass er ja zumindest für die Arbeit entlohnt werden würde, ein paar Gold pro Tag. Nicht viel, aber mehr als genug, mehr als er bei all den anderen Jobs in den vergangenen Wochen verdient hatte. Davon abgesehen, es war keine schwere Arbeit und er hatte das Glück gegen das ständige Schaukeln auf dem Schiff praktisch immun zu sein. So richtig angefreundet hatte er sich mit der Besatzung nicht; das nötige Vertrauen fehlte. Vielleicht, weil er doch nicht lange genug auf dem Schiff war, um die anderen einschätzen zu können. Um deren Absichten deuten zu können. Das schönste Lächeln konnte auch das falscheste sein.
Der Vogel war wie aus dem Nichts aufgetaucht, zusammen mit dem Nebel, obwohl er nicht klar sagen hatte können, ob beide Erscheinungen einher gingen. Ob die eine die andere ausgelöst hatte. Bevor er sich zum zweiten Mal nach dem geflügelten Biest umsehen hatte können, war es aber schon zu spät gewesen; die ungeahnte Wucht des Flügelschlags hatte ihn unmittelbar über Bord geworfen. Er hatte noch mit den Armen gerudert, gewunken, aber in der hellen Aufregung war der Rest der Mannschaft wohl zu sehr darauf fokussiert gewesen, ihre eigenen Leben zu retten. Und Per hatte sich nur gewünscht, er wäre doch an Land geblieben.
Die unbarmherzige Kälte des Wassers beförderte sein Bewusstsein schlagartig zurück in die Realität. Er riss die Augen auf, als hätte man ihm den eigenen Dolch mitten in die Brust gerammt, begann augenblicklich mit den Armen zu rudern und die Beine zu bewegen, um nicht von den Fluten verschlungen und von seinem eigenen Gewicht in die Tiefe gezogen zu werden. Der Nebel erschwerte die Orientierung noch einmal zusätzlich und für einen viel zu langen Moment hatte er das Gefühl in die Leere zu schwimmen. Nie irgendwo anzukommen.
Während er sich zusehends von seinem Schiff entfernte und sich dem anderen näherte — oder zu nähern glaubte, in dem Nebel konnte man ja doch nichts sehen — glaubte er auch Stimmen zu hören. Ihren exakten Ursprung zu orten schien allein aufgrund des Nebels ein tollkühnes Unterfangen. Die Stimmen waren zu leise, um einzelne Worte herauszufiltern, um irgendetwas vom Gesagten zu verstehen. Er glaubte die Phrase Mann über Bord vernommen zu haben und fragte sich im selben Moment, ob jemand ihn gesehen hatte. Was zumindest feststand — da war jemand. Irgendjemand. Wer oder was war in diesen Sekunden zweitrangig — er wollte nur aus dem kalten Wasser. Irgendwie. Weil jede Bewegung ihn anstrengte, jeder zurückgelegte Meter ihn zunehmend müder werden ließ.
Als er bereits ein gutes Stück näher (und ein gutes Stück müder) war, glaubte er mit seinem guten Auge etwas im Wasser zu erkennen. Bewegung. Eine Figur.
[im Wasser - kommt vom Handelsschiff - schwimmt auf Rúnar zu in der Hoffnung gerettet zu werden]