28.03.2021, 14:57
Er hätte gern von sich behauptet, dass er wusste, dass seine Kugel nicht daneben gehen würde. Dass er immer sein Ziel traf, egal in was für einer Lage er sich befand. Und wenn ihn jemand gefragt hätte, ja, dann hätte er genau das auch lautstark behauptet. Aber in diesem Augenblick auf diesem wackelnden Holzkahn unter und das sich bewegende Ziel über sich, wusste er nicht, ob seine Kugel nicht doch daneben gehen würde. Für einen winzigen Augenblick hätte er sogar beunruhigt sein können, das er nicht den Vogel, sondern einen der beiden menschlichen Schemen dort oben traf. Vor allem, als das Riesenvieh auf einmal den Kopf nach hinten riss. Und doch...da... Rym konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber er meinte zu erkennen, dass seine Kugel das Gesicht des zu groß geratenen Vogels traf und dieser mit einem ohrenbetäubenden Schrei schließlich losließ. Das Schiff schnipste in rasender Geschwindigkeit wieder zurück, wie eines dieser Spielzeuge, das man anstubste und das dann immer von der einen Seite auf die andere schwankte, bis es schließlich zum Stillstand kam. Geradeso schaffte er es noch, nach der Reling zu greifen, um nicht wie wild durch die Gegend zu fliegen, nur um schnell wieder nach oben zu schauen, ob das Mistvieh auch wirklich weg war. Am Rande nahm er dabei wahr, dass dort oben jemand drohte über Bord zu gehen. Doch der Vogel war weg.
Nur unter größter Anstrengung widerstand der Dunkelhaarige dem Drang, seine Faust siegesgewiss in die Höhe zu stoßen. Zum einen war es eine unglaublich lächerliche Pose, die er das letzte Mal mit jungen vierzehn Jahren gemacht hatte und zum anderen konnte er sich nicht einmal sicher sein, ob sie wirklich in Sicherheit vor dem Tier waren. Er sah den Umriss des Vogels schon wieder näher kommen, legte erneut seine Waffe an, nur um dann gegen eine Wand zu starren.
Irritiert ließ Rym sein Gewehr sinken und sah sich auf dem Schiff um. Er sah nichts mehr, als wäre er völlig blind. Ruckartig nahm er sein Gewehr nach unten und riss sich die Brille von der Nase, aber er erkannte noch viel weniger als vorher, Nebel hüllte ihn völlig ein und ließ ihn sich fühlen, als wäre er abgeschnitten von der ganzen Welt. Das Herz des jungen Mannes begann schnell und heftig zu pumpen, ließ den Körper verkrampfen und seine Atmung sich beschleunigen. Es war lange her, dass er sich so gefühlt hatte, dass letzte Mall als ihn statt dunstiger, grauer Nebel völlige Schwärze umhüllt hatte. Nur mit Mühe hielt Rym sich an seiner Waffe fest, die ihm das Gefühl gab noch mit der Welt verankert zu sein. Die Textur des Gewehrs schien sich allerdings unter seinen Fingern zu verändern, doch er konnte nicht sagen, was dort geschah, da er nicht einmal die Kraft hatte, den Kopf zu drehen. Er wusste, dass um ihn herum die Welt noch existiere und sich die Leute in seiner Nähe bewegten. Doch er nahm nichts wahr, als hätte jemand Stroh in seine Ohren gesteckt, um ihn daran zu hindern, wirklich zu hören. Ihm war bewusst, dass er eine angehende, wenn nicht sogar schon ausgewachsene Panikattacke hatte. Als Kind hatte er so etwas öfter gehabt. Doch das Wissen darum ändere nichts daran, dass er immer noch wie erstarrt an Ort und Stelle stand und er weiterhin hektisch nach Luft schnappen musste. Wieder erklangen Rufe um ihn herum und er meinte seinen eigenen Namen dabei zu hören. Das war...ah das Lockenköpfchen. Dann war er wirklich nicht allein in diesem Nebel, richtig? Der Dunkelhaarige schloss die Augen – ob Weiß oder Schwarz vor Augen war doch wirklich einerlei – und versuchte, dabei tief einzuatmen, was immer noch nicht ganz gelingen wollte.
Das Geräusch einer Glocke riss ihn schließlich aus seinen festgefahrenen Gedanken und seiner Starre. Rym zuckte zusammen und sah sich in die Richtung um, aus der das Geräusch erklungen war. Wie zu erwarten, sah er nichts, aber dennoch klärten sich seine Gedanken und er konnte sich wieder bewegen, wenn auch noch etwas abgehakt. Und was war das gewesen, was Lockenköpfchen gerufen hat? Sie könnten wieder angegriffen werden? Das wäre Rym gerade mehr als Willkommen, weil die Wand vor seinen Augen sich dann nämlich wieder lichten würde. Doch er wusste, dass er sich nicht auf die glorreiche Erscheinung des Riesenvogels würde verlassen können – allein weil er nicht so viel Glück haben konnte -, weshalb er sich wohl eine bessere Stelle suchen musste, um auf alles heranfliegende schießen zu können. Auch wenn ihn kurz der Gedanke kam, dass er mit seiner Blindheit nicht viel ausrichten konnte.
Mit einer ruckartigen Bewegung steckte er seine Brille weg, legte die Hand auf die Reling und hangelte sich mehr schlecht als recht in... irgendeine Richtung. Nach nur wenigen Schritten stieß er gegen etwas, was über das Holz schabte und er hob es auf. Eine Pistole und von der Textur her, ließ sie sich genauso wie sein Gewehr anfassen, irgendwie falsch. Rym runzelte die Stirn, richtete sich wieder auf und meinte in seiner Nähe Stimmen zu hören. Er wusste nicht, wer es war, aber irgendjemand schien nicht sehr begeistert von der Situation zu sein, sonst würde er nicht die ganze Zeit ‚Nein‘ sagen. Was ihm nicht gerade wie ein guter Fluch erschien. Nur mit Mühe konnte er einen Fuß vor den anderen setzen, als er sich von der Reling entfernte, und meinte schließlich einen Schemen im Nebel erkennen zu können. Er wusste nicht wer es wahr, aber er war groß und damit vielleicht der Mann, der gerade noch so niedlich geflucht hatte.
„Was verhagelt dir so die Stimmung, dass du nicht mal mehr in der Lage bist, anständig zu fluchen?“ Ein kleiner Geistesblitz traf ihn. „Suchst du vielleicht die hier?“ Er hielt dem Mann die Waffe hin.
[Auf dem Achterdeck | erst allein dann bei Greo und Shanny | mit Greos Kanone]