27.03.2021, 00:29
Ein wildes Stimmengewirr umgab Griffith, der flach auf dem Rücken lag und alle Gliedmaßen von sich gestreckt hatte. Im ersten Moment erinnerte Griffith sich nicht wie er hierhergekommen war – war er etwa ohnmächtig gewesen? Griffith blinzelte einige Male feste, ohne damit eine Verbesserung seiner Sicht zu erreichen. Seine Augen brannten höllisch vom Salz, das in der Luft, seiner Kleidung, in seinen Poren, neuerdings offenbar in seinen Augen und auch sonst eigentlich überall war. Salz und Sand. Je näher er dem Ozean gekommen war, desto mehr hatten Salz und Sand sein Leben eingenommen. Früher hatte er immer davon geträumt an der Küste zu leben; ein Kapitän zu sein und die Welt zu erkunden. Alles war ihm besser vorgekommen als auf der Farm seiner Eltern zu leben und diese nur zu verlassen, wenn es darum ging, Waren auf dem örtlichen Markt zu verkaufen. Heute sehnte er sich ein wenig zurück nach der harten, aber vertrauten Arbeit auf den schier endlos wirkenden Feldern. Dort, wo für gewöhnlich weit und breit kein anderer Mensch zu sehen war. Dies stellte das komplette Gegenteil seiner aktuellen Situation dar. In seiner kleinen provisorischen Bleibe in Hafennähe war eigentlich immer etwas los; Menschenmassen tummelten sich überall und es war schwer einen ruhigen Moment zu fassen. Griffith genoss daher die Momente früh am Morgen, wenn er seinen Obst- und Gemüsestand aufbaute, während der Rest der Welt noch schlief und nur einige müde Seelen den Strand entlang schlenderten…
Für einen Moment hatte Griffith sich in seinen Gedanken verloren. Viel zu spät bemerkte er daher, dass eine ihm unbekannte junge Frau über ihn gebeugt war. Unweigerlich und sich halb erinnernd fasste sich Griffith an seine linke Wange, die kribbelte und sich warm anfühlte. Die Frau musste ihn geohrfeigt haben, um ihn aufzuwecken. Sie sagte irgendetwas zu ihm, aber Griffith konnte keines ihrer Worte ausmachen. Die Stimme war viel zu leise, viel zu leer, schien von ganz weit weg zu kommen und ging unter dem Dröhnen in seinen Ohren völlig unter. Wieso lag er eigentlich auf dem Boden? Griffith kniff die Augen nochmals zusammen. Er musste die Ereignisse mehrmals in seinem Kopf rekapitulieren, um greifen zu können, was geschehen war. Es hatte einen oder vielleicht auch mehrere laute Knalls gegeben, Körper waren dumpf auf dem Boden aufgeschlagen und sein Korb war ihm aus der Hand gerutscht; seine Haselnüsse waren über das Deck gerollt, hatten sich in alle Richtungen verteilt. Vater hatte ihn angeschrien, während etwas auf ihn zugeflogen war und… Vater – wo war er?
Griffith setzte sich auf und bemerkte einen dunklen Rand um sein Sichtfeld, der eine nahende Bewusstlosigkeit androhte, und stand deshalb zunächst nicht auf. Der Boden unter ihm war feucht und klebrig, genau wie sein Hemd und seine Hände. Die Welt um ihn herum war weiterhin vom Chaos beherrscht.
„Vater?“, rief Griffith, wobei seine Stimme ihn krächzend verließ, und blickte von rechts nach links, doch konnte niemanden ausmachen. Er blickte auf und wollte die junge Frau fragen, ob sie seinen Vater gesehen hatte, der mit ihm an Board gewesen war, doch sie sah ihn nun nicht mehr an. Ihre Aufmerksamkeit war von etwas anderem, etwas hinter Griffith, eingenommen worden. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Hand hatte sie über ihren vor Schock leicht offenstehenden Mund gelegt. Vielleicht hätte dies Griffith mehr erschrecken müssen, als es das tat. Vielleicht hätte er wissen müssen, dass etwas ganz und gar nicht stimmen konnte. Aber alles, was er bemerkte, war, wie die junge Frau plötzlich losrannte. Griffith sah ihr für einen Moment lang nach und schrie dann wieder einige Male: „Vater??“, bevor er aufgab und stattdessen: „Hilfe!“, gefolgt von einem leiseren: „Kann mir jemand helfen?“ rief.
{DECK DES HANDELSSCHIFFES – Jón / Néniel}