21.03.2021, 20:06
Liam kam nicht dazu, auf ihre Frage zu antworten. Das lag nicht daran, dass er ihr nicht antworten wollte – glaubte sie zumindest – sondern einfach daran, dass die Leute um sie herum in Bewegung kamen. Rayon machte sich wieder auf den Weg, um Liams Ablenkung vorzubereiten und Elian folgte ihm, um neues Wasser zu holen. Gregory hingegen starrte Löcher in die Luft, bis er sich wieder gefasst hatte und zu dem Medizinschrank ging, um nach dem zu suchen, wonach Liam gefragt hatte. Die Blonde war dem Lockenkopf dankbar, dass er die Sache in die Hand nahm und über Skadis Vorschlag hinaus dachte. Am liebsten hätte sie das Gleiche getan oder zumindest schneller geschalten, um sich irgendwie nützlich zu machen, aber ihr Körper schien sich nicht weiter bewegen zu wollen und ihr Kopf einfach nur zu explodieren. Hatte sie sich doch schlimmer wehgetan, als sie gedacht hatte? Lähmte sie die ganz Situation, obwohl sie sich doch in die Gefahr hineinstürzen sollte? Der Gedanke, dass so etwas wie Nebel oder ein Riesenvogel sie erstarren ließen, war so lachhaft, dass sie sich fast gegen die Stirn geschlagen hätte. Sie hielt sich nur zurück, weil die Blonde wusste, dass es ihren Kopfschmerzen nicht zu Gute kommen würde. Trotzdem hob sie beide Hände und schlug sich unsanft mit den Handflächen gegen die Wangen. Es klingelte in ihrem Kopf, aber sie ignorierte es und konzentrierte sich darauf, dass Gregory Liam zwei Fläschen reichte, bevor die Welt abermals kippte.
Es war nicht so, als wäre sie darauf besser vorbereitet gewesen, als beim ersten Mal. Dennoch war sie etwas geistesgegenwärtiger und griff reflexartig nach der Tischkante, statt mit dem Kopf dagegen zu schlagen. Nur Sekunden später standen Schiff und Welt wieder gerade. Schnell sah sie sich nach den anderen um, die zwar umgefallen, aber sich nicht mehr zu verletzt haben schienen, als zuvor. Während Liam und Gregory nach den beiden Phiolen suchten, die anscheinend aus der Hand des Dunkelhaarigen gefallen waren, drehte Talin sich um und wollte schon durch die Tür hinauf aufs Deck rennen, dachte dabei nicht mehr groß an ihren Plan mit den Tüchern, als Farley ihr entgegenkam. Sein Gesichtsausdruck gefiel ihr ganz und gar nicht und sie konnte sich ein genervtes Seufzen nicht verkneifen, als der junge Mann ihr ungutes Gefühl mit seinen abgehetzten Worten bestätigte. Fast hätte sie so etwas wie Erleichterung verspüren können, dass der Riesenvogel sie losgelassen hatte, doch als die ersten Nebelschwaden sich ihren Weg durch die Ritzen zwischen den Brettern des Schiffes suchten, konnte sie sich einen herzhaften Fluch nicht verkneifen. Zum Teufel mit der Erleichterung. Sie schielte zu Liam und Gregory, die genauso alarmiert wirkten, wie sie sich fühlte. Sie nickte auf die Worte des jungen Mannes und erkannte dann aus dem Augenwinkel, dass Elian mit einem Eimer wiederkam.
Talins Griff um ihren Dolch verstärkte sich. Überrascht erkannte sie, dass sie unbewusst danach gegriffen haben musste, als Farley aufgewühlt angerannt gekommen war. Kühle, unheimliche Nebelfinger schienen nach der Klinge zu greifen und nur mit großer Anstrengung konnte die Blonde das Bedürfnis unterdrücken, nach den Fäden zu schneiden. Es war nur Nebel... ihre Augen wurden groß und sie spürte fast, wie ihr jegliche Gesichtsfarbe entwich, als sie den Dolch näher an ihr Gesicht hielt, nur um diese leichte rote Färbung darauf noch deutlicher zu erkennen.
„Bei allen Welten...“ Sie drehte den Dolch, sodass auch Liam und die anderen den Hauch von Rost auf der Waffe sehen konnten. Bevor sie jedoch mehr sagen konnte, erklang über ihnen die Alarmglocke, gefolgt von den Rufen, dass jemand über Bord gegangen war. Noch mehr konnte Talin gar nicht fluchen, deshalb biss sie nur krampfhaft die Zähne zusammen. Ihr Herz raste wie verrückt, denn der Gedanke, dass Lucien es war, der ins Wasser gefallen war.
„Wo sind wir hier nur gelandet?“ Sie fuhr sich kurz durchs Haar und steckte ihren Dolch wieder weg, da er ihr nutzlos erschien. „Liam, mach mit deinem Plan weiter. Elian, du kümmerst dich um die Tücher. Komm an Deck, wenn du sie fertig und hier unten alle verteilt hast. Ich schau oben nach, ob sie Hilfe brauchen und was verdammt noch mal passiert ist. Hoffen wir einfach mal, dass das Vogelvieh nicht wieder kommt und wir aus diesem Nebel wieder verschwinden können. Wenn ich mehr weiß, komm ich sofort wieder runter.“
Ohne groß die Zustimmung der anderen abzuwarten, drängelte sie sich an Farley vorbei und stürmte die Treppe zum Hauptdeck nach oben, nur um buchstäblich gegen eine weiße Wand zu laufen, die sie mit den Augen kaum durchdringen konnte.
[Im Lazarett bei Liam (Rayon, Farley, Elian, Gregory) | dann auf dem Hauptdeck ohne Orientierung]