02.03.2021, 22:39
„Nein!“
Himmelherrgottinteufelsnamen. Greo zog einem Frosch gleich die Beine an und drückte sich ab. Er schmiss sich regelrecht nach vorne und schleuderte die Arme voraus, in der Hoffnung, sie irgendwie zu erwischen. Alsbald seine Finger Stoff unter der Haut spürten, grapschte er feste zu. Er hatte ihre ohnehin schon ramponierte Bluse erwischt und nun auch noch ihre unversehrte Schulter. Eigentlich war das unnötig gewesen: sie hätte wesentlich mehr Schwung draufhaben müssen, um entweder die Reling zu durchbrechen oder über sie hinwegzufliegen, aber Greos Verstand hatte in diesem Moment bereits ausgesetzt und seinen Körper zum Handeln befehligt.
Nun lag er also da, mit der einen Hand in Shannys Kleidung verkrallt, mit der anderen flach neben ihrem Kopf und selbst ausgestreckt wie ein Tier, das von einem Vierspänner überrollt worden war. Erst jetzt wurde ihm gewahr, dass er vor Spannung die Luft angehalten hatte und er ließ die Stirn für einen Augenblick auf das Holz sinken, während er den Atem in einem erleichterten Seufzer ausstieß. Dann konnte er seine verkrampften Finger lösen und krabbelte auf sie zu. Ein jäher Anflug von Zuneigung durchfuhr ihn. Greo beugte sich unvermittelt über sie, umarmte sie vorsichtig, barg sie wie ein sicherer Wigwam unter sich und atmete tief durch.
„Oh bitte sag mir, dass deine Knochen noch an Ort und Stelle sind.“,
murmelte er, während er ihr behutsam unter die Arme griff, um sie ebenfalls auf die Knie zu ziehen. Der plötzliche Adrenalinstoß betäubte für den Augenblick das Brennen in seinen Ellbogen, aber so ganz weg war es nicht. Geistesabwesend rieb er sich die Wunde am linken Arm und schwenkte mit dem Blick irgendwo dahin, wo Zairym war – bloß, dass er ihn in dem Nebel und der Umnachtung seines ratternden Hirns nicht als solchen erkannte. Er schien mehr die Andeutung eines menschlichen Wesens zu sein. Hatte der Typ sich schon vorher auf dem Achterdeck befunden? Greo konnte sich nicht erinnern.
Er stand auf, rückte sich seinen Hut ordentlich zurecht und eierte mit Shanaya an der Seite zum Ruder hin. Er beugte sich tief über eines der Pulte neben dem Steuerrad, kaum, dass der Ruf eines Manns über Bord kam. Aber wo zum Teufel war das? Er konnte nichts sehen, schlug die Alarmglocke ein paarmal kräftig an, bis ihm klar wurde, dass das vorn und hinten keinen Sinn machte und schüttelte resigniert den Kopf. Unschlüssig stand er da. Er wollte nicht auf das Hauptdeck und Shanaya verlassen. Er schnappte sich hingegen eine leichte Schot, knotete einen großen Palstek und entfernte sich nur wenige Schritte, um über die Steuerbordreling spähen zu können – um dann wieder nichts zu sehen. Frustriert schmiss er in einem blinden Versuch die Schot aus: er konnte weder erkennen, wo sie landete, noch sehen, ob sich der verlorene Mann überhaupt auf der richtigen Höhe, in passender Entfernung oder gar der gleichen Schiffsseite befand.
[Achterdeck, Nähe von Shanaya und Rym, betätigt erst die Alarmglocke und wirft pseudomäßig ein Rettungsmittel nach Steuerbord aus]