21.02.2021, 23:30
Der Himmel kippte. Und Ceallagh verlor mit einem Mal das Gleichgewicht. Rutschte über den feuchten Boden am Hauptmast vorbei gegen eine der Kisten an der Reling. Verlor Lucien und Tarón aus den Augen. Und nur einen Herzschlag später seinen Atem. Irgendwo an seinem Rückgrat brannte ein Schmerz durch seine Knochen und Muskeln, der nur von dem Vogel über seinem Kopf überschattet wurde. Holzstücken rieselten hinab auf das Deck. Wenige Armlängen von Ceallagh entfernt, der versuchte sich langsam an der Kiste abzudrücken ohne unkontrolliert gegen die Reling auf der anderen Seite zu rutschen. Woher war das Vieh auf einmal gekommen? Mitten aus dem Nebel heraus, der das fremde Schiff lautlos verschlungen hatte? Ceallagh schluckte. Spürte das harte Holz unter seinen Füßen und bückte sich, um die Taue zu seiner Linken mit einem festen Griff zu umfassen. Dann wandte er den Blick herum und sah direkt auf Lucien, der mit mehr Glück als Verstand in das am Hauptmast befestigte Beiboot gerauscht war. Irgendetwas klebte an seiner Schläfe. Blut. Der Hauch von Panik. Wie von selbst wandten sich die blau-grünen Augen auf die Tür zum Unterdeck. Talin. Verschwunden. Über Bord gegangen? Der Hüne horchte einen Augenblick auf einen Hilferuf, der irgendwo hinter ihm aus dem Wasser dringen konnte. Wandte die Augen wachsam über die pochende Schulter. Doch abgesehen von Taróns bellenden Rufen, ertönte nichts. Lediglich Schritte. Das Laden einer Waffe. Wieder schwenkte Ceallaghs Blick herum, dieses Mal dem Körper Zairyms folgend, der flink wie ein Wiesel aufs Achterdeck kletterte. Hinter ihm rotierte das Steuerrad wie vom Teufel besessen. Von Shanaya war keine Spur mehr zu sehen. Ebenso wenig von Greo.
Sein Geist suchte fieberhaft nach einer Lösung. Etwas, das er tun konnte. Eine Erinnerung an Geschichten und Legenden, die er einst in seinen Händen gehalten oder vom Alten erzählt bekommen hatte – ein Quergedanke, der absurd und doch nie unmöglich war. Feuer. Schießpulver. Ein Blitz. Licht. Alkohol. Was wenn… Sein Blick schnellte hinab. Auf Lucien, dessen Hinterkopf er fest ins Visiert nahm und die Brauen zusammen zog. Doch gerade als er sich aufrichtete und mit der stärkeren Rechten nach dem klammen Flachs griff, geriet das Schiff in die Gerade zurück. Entriss ihm das sichere Tau zwischen seinen Fingern und schleuderte ihn brutal gegen die Reling auf der anderen Seite. Allein Taróns Körper stoppte seinen unkontrollierten Flug auf der Hälfte.
Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen, presste Ceallagh die Augen zusammen. Hörte das Fauchen einer Echse dicht an seinem Kopf und fluchte unter den leuchtenden Flecken, die wie wild gewordene Sterne vor seinem inneren Auge tanzten.
“Wenn das vorbei ist, verprasse ich mein Gold für gebratene Riesenvögel.“
Langsam presste er sich mit beiden Händen auf alle Viere. Schnappte nach Luft, um das Brennen seiner Schulter zu übertünchen. Er roch den anderen mehr, als dass er ihn unter dem anhaltenden Flirren vor seinen Augen sah. Stützte sich langsam auf seine Beine, um aufzustehen. Und zog sich letztlich mit der Rechten an der Reling hinauf.
“Alles okay bei dir?“
Endlich klärte sich die Sicht. Gab einen lädierten, aber halbwegs (zumindest oberflächlich) unbeschadeten Tarón frei. Wie von selbst wandten sich die blau-grünen Augen herum. Suchten prüfenden nach den anderen. Bis der Nebel plötzlich über die Reling kroch. An seinem Körper vorbei wie ein dichter, feuchter Schleier. Schlagartig verlor er den Blick auf Lucien. Soula. Den Mast. Allein Tarón dicht neben ihm war im milchigen Weiß zu erkennen. Augenblicklich begann seine Haut zu kribbeln. Leicht und angenehm. Doch Ceallagh spürte mehr, als dass er es wusste: gut konnte es nicht sein. Es war als brannte etwas auf seinem Körper. Wie kleine, kaum sichtbare Flammen. Mit einer Hand zog er die lederne Kette unter seinem Hemd hervor. Betrachtete den Ring, der am anderen Ende baumelte. Überzogen mit einer dünnen Patina. Der Taljenblock. Das morsche Holz. Sie mussten aus diesem Nebel. Und solange sie es nicht konnten, mussten sie das Schiff davor schützen in sämtliche Einzelteile zu verfallen.
“Wenn etwas feucht ist, muss man es trocknen…“, murmelte er mehr zu sich selbst, als in Richtung des Älteren.
“Mit Sand. Luft. Stoff.“ Doch wo bekamen sie eine derartige Menge an Utensilien her? Und was taten sie mit dem Teil des Holzes, das gut geteert unter Wasser lag? Würde es dort auch in Mitleidenschaft gezogen werden? Teer. Teer und Sand…
“Was ist mit Teer? Wachs. Mehl. Stroh. Könnten wir irgendetwas davon benutzen, um ein Großteil des Schiffs damit auszulegen? Solange bis wir uns aus dem Nebel manövrieren können? Um ihn aufzusaugen und vom Holz fern zu halten.“
Ein erneuter Griff nach Strohhalmen. Doch besser als nichts. Dann lauschte er. Auf Luciens Stimme. Steuerte Schritt um Schritt auf ihn und somit auch auf den Eingang unter Deck zu.
“Haltet euch geduckt!“, schrie er übers Deck. “Falls der Vogel wieder runter kommt.“
[unterwegs in einer reinen Schlitterpartie übers Schiff | letztlich bei Tarón an der Reling Steuerboard, dann auf dem Weg unter Deck - an Lucien, Alex, Soula und James vorbei steuernd]