13.02.2021, 23:54
Sie hatte zu sehr auf den Vogel über der Wolkendecke geachtet, als dass ihr die Verwirbelung im Nebel aufgefallen war. Diese kleinen Strudel, die immer wieder hinter den verschwommenen Schatten hervor traten und urplötzlich ein massigen Leib in die Luft spuckten. Ein lauter Flügelschlag. Schwingen, die das Schiff ins Wanken brachten und die Oberfläche des Meeres aufwühlten. Flammend rot und schneeweiß. Skadi wandte ruckartig den Kopf herum. Sah in die leuchtend gelben Augen, ehe der Kopf des Tieres erschrocken zur Seite ruckte und der helle Körper mit einem weiteren Flügelschlag dem Mast des Schiffes auswich. Ein zweiter Vogel!? Reflexartig trat Skadi einen Schritt zurück. Entging um Haaresbreite den weißen Federspitzen, als das Ungetüm sich in die Luft erhob. Es hatte sie nicht kommen sehen. Genauso wenig wie sie selbst, als sie auf das faszinierende Monstrum starrte und mit aufgerissenen Augen in die Hocke ging, als scharfe Krallen aufblitzten und in ihre Richtung stoben. Der Aufschrei des Tieres schob sich Mark erschütternd durch ihren Körper und ihre Nervenbahnen. Wurde nur wenig später von dem Isalas abgelöst, die neben ihr ins Straucheln geriet. Doch Skadi blieb kaum ein Augenblick, um zu der anderen hinüber zu sehen, als das Schiff vom Gewicht des Vogels, der statt ihnen den hölzernen Mast zwischen die Krallen bekam, in Schieflage geriet und die Nordskov kraftvoll gegen das Geländer des Krähennestes rumpelte.
Mit schwerem Atem fühlte die Jägerin einen Moment dem Schmerz in ihrem Rücken nach. Dem Pochen in ihrer Lunge, das sich anfühlte, als säße ein dickes Kind auf ihrer Brust. Wie gebannt starrte sie auf den massigen Leib des Vogels über sich. Die weit ausgestreckten Schwingen. Die kleinen schwarzen Stellen im Gefieder, die sich unter dem dichten Weiß auftaten und von weitem kaum zu erkennen gewesen waren. Dem schillernden Unterleib, der von matten Stellen unterbrochen schien. Kleine Rauchschwaden, die den Schnabel und nur noch wenige Bereiche der Flügel umspielten und augenblicklich verschwanden, als die Nordskov blinzelte. Das Tier erinnerte sie an tosende Feuer. Die kleinen Funken, die von Gesängen und tanzenden Leibern begleitet in die dunkle Nacht stieben. An jedem einzelnen Tag, den sie den Göttern huldigten. Den Gezeiten. Dem Leben und dem Tod.
„Das ist ein Weibchen.“, raunte sie in einem Anflug von Erkenntnis. Wandte den Kopf augenblicklich herum, um am Fußende den Kopf Isalas zu erspähen. Doch ihr Körper reagierte bereits, noch ehe sie sich vergewissern konnte, dass die junge Frau wohlauf war. Dass Isala nicht mehr Schaden davon getragen hatte, als eine blutende Wunde am Arm, die sich rot unter ihren Fingern auf dem Stoff ihres Oberteils abzeichnete. Sie musste dafür sorgen dass das Vieh vom Schiff abließ. Sofort.
Stück für Stück schob sich Skadi mit Händen und Füßen in die Hocke. Nutze die Rippen und Oberkanten des Geländers, um mit den Stiefeln Halt zu finden. Fischte bereits mit einer Hand nach einem ihrer Wurfmesser, während sie die andere fest um den Griff ihres Dolches schloss. Ein Versuch. Mehr würde ihr nicht bleiben. Ein einziger Augenblick, der darüber entschied, ob das Tier vom Schiff abließ und sie nicht kurz darauf zu Monsterfutter wurde.
Doch genauso wie sie das Tier über sich beobachtete, streckte der Vogel seinen Kopf voraus. Balancierte sein Gewicht auf dem verhältnismäßig winzigen Mast zwischen seinen Krallen aus und wandte seinen Kopf skeptisch und irritiert zur Seite. Beinahe glaubte Skadi sogar, dass es schnurrte, als sie sich aufrichtete und die Federn auf der voluminösen Brust zu vibrieren begannen. Doch das plötzliche Funkeln in den Augen war ihr Warnung genug, um mit einer schnellen Bewegung nach vorn und oben zu schnellen. Mit gezückter Klinge auf eine der matten Stellen am Bein zu, während das Vieh bereits mit einem Schrei seinen Kopf senkte und nach ihr schnappte. Im selben Augenblick als sich unter ihnen ein Schuss löste.
[Im Krähennest bei Isala]