12.02.2021, 02:04
Es war fast schon bemerkenswert, wie einfach sich der Lockenkopf vom Ernst des Lebens ablenken ließ, kaum dass es es um Mythen, Legenden und Geschichten ging – unabhängig davon, ob an ihnen etwas Wahres dran war oder nicht. Auch, wenn Talin leider bestätigte, dass der Einzige, der (vielleicht) mehr Erfahrungen mit diesen Kreaturen hatte, Ceallagh war und ihre Chancen somit sanken, huschte ein flüchtiges Lächeln über seine Lippen. Eines, das mit diesem kindlichen Funkeln in seinen Augen einherging, das ihnen immer innewohnte, kaum dass es um die fantastischen Dinge der Welt ging. Ein Teil von ihm sehnte sich tatsächlich zurück an Deck; hoffte, dass sie vielleicht noch ein kleines Stückchen näher herankamen, um sich diese majestätische Kreatur genauer ansehen zu können. Hätte Talin ihn nicht direkt aufgefordert, sie zu begleiten, wäre er vermutlich nicht einmal mehr auf die Idee gekommen, sich irgendwo nützlich zu machen; viel zu gebannt vom Anblick dieser Wesen.
„Sollten wir das hier überleben“, begann er zuversichtlich, „muss ich dir etwas zeigen.“
Immerhin drehte die Sphinx bereits ab. Seine Schritte fühlten sich leichter an, seit der Überfall in den Hintergrund gerückt war. Und das Geheimnis, das diesen eigenartigen Nebel scheinbar umgab, erschloss sich ihm noch immer nicht. Liam runzelte die Stirn und wollte das Thema gedanklich fast schon wieder abtun, hätte Talin nicht so frei heraus zugegeben, dass er ihr mehr Sorgen bereitete als diese Vögel. Er schluckte, blieb ihr eine Antwort schuldig und tat sich schwer dabei, zu entscheiden, wer von ihnen beiden die Situation falsch einschätzte. Wie dem auch wahr – Vorsicht war besser als Nachsicht und auch, wenn der Lockenkopf nur selten vorher an Dinge wie Vorsicht dachte, erkannte er den Nutzen ihrer Idee, ganz gleich, ob dieser Nebel nun schädlich war oder nicht. Dass ein nasses Tuch überhaupt irgendetwas bewirkte, war nicht einmal gesagt – aber Talin war so überzeugt, dass er die Wirkung nicht wirklich in Frage stellte.
Gemeinsam mit Gregory kramte er die Stoffe hervor, beäugte sie prüfend und sah schließlich auf, als die Blonde zeigte, wie sie sich die Stofflinge vorstellte. Mit einer Hand griff er bereits nach seinem Dolch, als plötzlich ein markerschütternder Schrei neben dem Schiff ertönte. Er erstarrte, bis ihn ein heftiger Ruck der Sphinx unsanft nach vorne riss. Gregory stürzte zur Seite und auch Elians Kopf verschwand hinter dem Tisch zwischen ihnen. Liam verlor den Halt und landete (zum Glück) nur unsanft auf den Holzdielen. Hinter ihm rieselten einige der Glasflaschen mit den Tinkturen aus dem offenen Schrank und zerbarsten unter lautem Klirren in seinem Rücken. Schützend hielt er die Arme vors Gesicht, bis der Großteil der Fläschchen zerbrochen auf dem Boden lagen und er die Schranktür irgendwie mit dem Fuß zugeschlagen bekam. Was bei allen sieben Welten war dort oben los?!
Das was konnte er sich ziemlich gut selbst beantworten, kaum dass sich das Chaos seiner Gedanken wieder etwas gelegt hatte. Ein unangenehm schweres Gewicht ließ sich in seinem Magen nieder, wühlte Sorge und Angst auf, kaum dass ihm bewusst wurde, dass Alex und die anderen dort oben offensichtlich nicht mehr alleine waren. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte er einen Moment an die Decke über ihnen, lauschte dem Poltern und den Stimmen, die aufgeregt übers Deck flogen. Gerade, als sich seine Gedanken von Alex entfernten und den anderen zuwenden wollten, holte Talins leise Stimme sie zurück in ihre eigene missliche Lage. Etwas, wofür er ihr durchaus dankbar gewesen wäre, wäre es ihm bewusst gewesen.
„Schätze, der Nebel ist erstmal zum kleineren Problem geworden.“ Langsam versuchte er, sich wieder aufzurichten – ganz im Gegensatz zur Sphinx übrigens, die noch immer in bedrohlicher Schräglage verharrte. „Geht’s?“
Er blickte in die Runde, ehe sein Blick auf Talin hängen blieb, die sich offenbar den Kopf angeschlagen hatte. Kollateralschaden. Über ihnen löste sich ein Schuss. Liam war unschlüssig, ob es nun wirklich Sinn machte, ebenfalls nach oben zu stürmen. Sie hatten diesem Ding nichts entgegenzusetzen. Ihre Schützen waren allesamt bereits an Deck. Seine Gedanken rasten, suchten nach einer Möglichkeit, nicht völlig untätig unter Deck zu sitzen und zu hoffen. Die Lappen waren für ihn längst wieder vergessen. Dazu waren diese Vögel nun viel zu präsent. Er fluchte leise, als ihm schmerzlich bewusst wurde, dass er die Scherben vergessen hatte, in denen er sich gerade hatte abstützen wollen. Dadurch aber kam ihm auch eine Idee.
„Greg, Gift.“, packte er seine Gedanken knapp zusammen und wischte sich mit verzerrtem Gesicht die Scherben aus der rechten Hand, ehe er sich an der Tischkante nach oben zog. „Das Zeug, das Skadi mischt. Steht das hier?“
Sein Blick fiel auf die Scherben auf dem Boden. Die Flüssigkeiten hatten sich überall über den Boden ergossen. Hoffend hob er den Blick auf die restlichen Bestände in den Schränken. Die, die das Manöver überlebt hatten. Inzwischen hatten sich auch Gregory, Elian und Rayon wieder auf die Beine gekämpft. Talin wirkte noch immer etwas benommen. Liam streckte die Hand nach ihr aus, um ihr wieder auf die Beine zu helfen.
„Vielleicht können wir es davon überzeugen, dass wir nicht ganz so gut schmecken wie Fisch oder irgendwas.“
Fragend sah er zu Rayon in der Hoffnung, dass er wusste, wie viele mögliche Köder sie noch übrighatten. Sein Ziel war nicht zwingend, dieses Wesen umzubringen – vermutlich hatten sie dafür nicht einmal genügend Gift (wenn es denn überhaupt wirkte), aber auch ein krankes Tier zog sich zurück, wenn es denn konnte.