09.02.2021, 01:02
Rúnar konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte Josiah seinen Arm gepackt und ihn in den Eimer mit dem Putzwasser getaucht. Rúnar schrie auf vor Schreck, als das kalte Wasser seinen Arm hochspritzte. Der Nebel--
--wurde unwichtig. Ein gellendes Kreischen ließen ihn abermals aufschrecken. Es klingelte in den Ohren und schien aus allen Richtungen zu kommen -- Rúnars Kopf zuckte herum, er versuchte auszumachen, wo es herkam--
Und dann kippte die Sphinx um.
Inventar rumpelte Unterdeck, Rúnar schrie, hörte Tarón laut und beinahe verzweifelt nach Isa schreien, Lucien und Trevor rutschten aus -- Rúnar schaffte es gerade noch so die Reling zu packen. Mit der einen Hand. Die andere packte Josiah am Oberarm und seine Finger gruben sich in Josiahs Trizeps. Doch Rúnars Füße schlitterten auf dem Deck und er musste Josiah loslassen, hielt sich mit beiden Händen an der Reling fest -- und seine Stiefelspitze fand eine Kerbe im Deck, die ihn stabilisierte.
"Was ist passiert?" Die Sphinx war auf halbem Weg zur Seite hängen geblieben.
Hinter sich hörte Rúnar ein heftiges Flattern und ein wütendes Krächzen, ehe sein aufgemischter Sittich an ihm vorbeischoss. "Harald!" versuchte Rúnar ihm hinterherzurufen, aber es kam nur ein eine angestrengte Reihe an Buchstaben heraus. Und wie anstrengend es wurde, so auf halb acht zu hängen. Rúnar sah sich um -- ob er sich nicht doch einfach runterrutschen lassen sollte -- da sah er Alex, wie dieser sich mit einer Schrotflinte in eine bestimmte Position zu begeben versuchte. Er rief Josiah zu, dass dieser schießen sollte und Rúnars Kopf zuckte zu Josiah herum, dann zu Lucien, wieder zu Alex, zu Tarón -- alle schauten sie zum Krähennest.
Als Rúnar nach oben blickte, blickte ihm ein leuchtendes Paar Eulenaugen entgegen.
Er schnappte nach Luft, um nicht nochmals aufzuschreien.
Rúnar hörte seinen eigenen zittrigen Atem.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Was hatte er sich früher nicht alles ausgemalt. Drachen, verfluchte Prinzen in der Gestalt eines Bären, böse Königinnen, die Eissplitter umherschleuderten -- Monster und Gestalten, die er und seine Spielkameraden sich vorgestellt hatten, nur um dann mit einem Stock, einer Mistgabel oder einen alten Reitgerte in die Luft zu stechen und so zu tun als seien sie die Helden, die alle vor dem Unheil bewahrt hatten.
Und jetzt hing eines dieses Monster am Mast über ihnen und sah auf die Crew hinab, als seien sie Figuren auf einem Spielbrett. Als müsse es nur noch überlegen, welche Züge es brauchte, um seinen Gegner schnellstmöglich schachmatt zu setzen.
Rúnar sah zu James hinüber. Hätte er das gewusst, dann hätte er bei ihrem Trinkabend nicht so blöd rumposaunt, was für ein großer Bestienzähmer er wäre. Nicht, dass er angenommen hatte, dass irgendwer das ernst nehmen würde. Dass irgendjemand den schlacksigen, hysterischen, feinen, hochwohlgeborenen Rúnar als Bestienzähmer einschätzte.
Zählte Svavar auch als Bestie?
Egal.
Genau in dem Moment sprach Tarón das aus, woran Rúnar gehofft hatte, dass keiner sich erinnern würde. Er war sich nicht sicher, wie ernst Tarón das nun meinte, denn in der Taverne, hatte er es offensichtlich nicht getan. Oder?
Rúnar zwang sich, den Vogel anzusehen. Direkt in die Augen des Tieres zu blicken -- sich so sehr darauf zu konzentrieren, dass er vergaß, wie viel Angst er eigentlich hatte. Er hatte Wale gejagt und präzise erbeutet, ein gute handvoll Pferde gebrochen, er hatte eine Echse eingefangen und einen Vogel an der Backe, der seiner vorigen Besitzerin angeblich die Augen ausgepickt hatte, sich aber nachts an Rúnars Gesicht schmiegte als gäbe es keinen besseren Schlafplatz als eine kalte, von Salzluft angerauhte Wange.
Rúnars Augen begannen, die Bestie abzusuchen. Konnte er sie mit einer Harpune erledigen? Alex mit seiner Schrotflinte? Eine Kanonenkugel vielleicht?
Tarón rief ihm etwas zu -- Blendbombe. Friedliche Lösung. Soula rief irgendwas von Feuer. Friedlich aber riskant.
Und im selben Moment in dem Rúnar sich dafür schämte, dass sein erster Gedanke gewesen war, das Tier zu töten, fiel ihm etwas auf. Das was an dem Vogel hing, was ausgehen hatte, wie der aktive Nebel, der auch an ihnen gehangen war, war eigentlich Rauch. Er stieg dem Vogel aus dem Schnabel und dem Gefieder. Dichter, dunkler und wirbelnder als der Nebel. Und seine Federn wirkten stumpf und ungepflegt, die Schuppen an seinen Beinen matt.
"Ich--" begann Rúnar, versuchte die Stimme anzuheben, sodass die Crew ihn hörte. "Ich glaube, er hat irgendwas!" Oh, Götter, wie absurd das klang. Aber er war sich so sicher. "Er ist aggressiv, weil er irgendwelche Schmerzen hat!" Kurze Pause, dann betonte er nochmal: "Glaube ich!"
{ hält sich an der Reling fest | ruft, sodass alle an Deck ihn hören können }