01.07.2016, 10:20
Kurz bevor er dem Nachtschwärmer in seiner Zelle Wasser und Brot brachte, hatte Aspen die Hühne gefüttert – seine Hühner! - und pflichtbewusst in die Sonne unter der Ladeluke gestellt. Nicht ganz ohne Stolz für den beweglichen Hühnerkäfig, der sogar kleine Räder besaß. Aspen hielt sich gerne als Mantra vor, dass das Federgetier nur durch die vielen Sonnenstrahlen so brav Eier legten. Nunja, abgesehen von dem Shanaya-Huhn: Das gackerte lieber wild vor sich hin, als auch nur einer Person ihr Frühstück zu schenken. Fast wie ihre lebensgroße Namensvertreterin. Da nun schon der dritte Morgen auf See war, an dem er mit stolz geweiteter Brust die kleinen weißen Kugeln in die Kombüse gebracht hatte, glaubte Aspen nicht mehr daran, dass auch nur ein einziges Crewmitglied die Hühner weiterhin als „Fehlinvestition“ beschimpfen würde. Während der Blondschopf sich von der offenen Ladeluke entfernte und weiter in den Schatten in Richtung Zellen trat, fuhr er sich über das stoppelige Kinn und gähnte ungehalten. Eine der einzigen Beschäftigungen die es als „Wachhund“ hier unten gab waren die vielen Gedanken über die Namenswahl seiner Schützlinge: Da der Name des Hahns bereits von Anfang an feststand, war nur ein kleines Federtier übriggeblieben um als Liams Namensvertreter her zu halten. Seitdem befasste Aspen sich mit der schwerwiegenden Frage, ob es für den seltsamen Kauz eher lobsamer wäre, das Huhn nach seiner weiblichen Katze zu benennen.
Ein weiteres Gähnen ließ sich nicht zurückhalten, als Aspen sich auf einer umgedrehten Kiste neben Ryans Zelle nieder ließ und die Beine zum Schneidersitz verknotete. Am Anfang hatte es ihn zwar interessiert, warum der Nachtschwärmer trotz seiner Abneigung gegen Talins Geschlecht an Bord gekommen war, doch mittlerweile festigte sich der Entschluss in dem Carpender, dass der schwarzgekleidete Mann einfach aus purer Langweile durch die Weltgeschichte reisen wollte. So oder so: Sympathien waren ihm von Anfang an nicht gegönnt, somit bestand noch nicht einmal Interesse an einem leidenschaftslosen Gespräch. Gedankenverloren zippelte Aspen nebensächlich an seinem Gürtel und holte die zweite Holzfigur aus ihrem Versteck, das Schnitzmesser gleich mit bei. Der kleine Rabe war bereits sicher verstaut, allerdings war der Bär in seiner Hand erst schemenhaft zu erahnen. Aaaaber – und das könnte sogleich Hoffnung als auch Drohung sein – ihm würde schließlich noch genug Zeit an Bord der Sphinx bleiben. Mit gekonnten Automatismen begann er seine Arbeit weiter fortzusetzen. Und weil ihn dies so sehr beruhigte, begann er eines der wenigen Arbeitslieder seines Heimatinsel zu pfeifen.
Trotz des klärenden Gesprächs mit dem Schwanenhals hatten sich in den letzten Tagen einige Fragen in ihm aufgebaut: Wo ging ihre Reise hin? Wie sah der Plan aus? Das zuvor gefasste schwache Vertrauen in die Blonde, die ihm zur Anwerbung offene Karten vor Augen gelegt und dies zukünftig versprochen hatte, geriet Tag für Tag mehr ins Schwanken. Nicht wegen ihrem Konflikt an Land, nein. Ihm war schließlich von Anfang an klar gewesen, dass sein neuer Captain noch nicht die Erfahrungen und Sicherheit besaß wie ein alter Mann. Aspen ging es eher darum, dass er zwar wusste, dass sie ihren Bruder suchte und die ganze Mission zwangsläufig dahin gehen würde. Allerdings war ihm nicht beantwortet worden, ob ihre Verfolgungsjagd an Land – bei der Shanaya und er den Passanten ausgehorcht hatten – wirklich viele Informationen gebracht hatte. Mit dem kleinen Raben konnte er darüber nicht sprechen: Sie machte ein viel zu großes Geheimnis aus ihrem Wissensstand. Und Talin? Die verriet kein Wort, warum auch immer.
Als sich fremde Schritte von Oben ankündigten hob er nicht den Kopf, sondern warf nur dem Nachtschwärmer einen drohenden Blick zu.
(Laderaum, mit Ryan (+Talin?))