11.10.2020, 17:33
Wie auch Skadi schien der Dunkelhaarige die Blicke förmlich im Nacken zu spüren, die sie aus dunklen Räumen durch kalte Glasscheiben hindurch beobachteten. Hinter ihnen und über ihnen. Und wie die Jägerin erinnerte er sich in diesem Moment bewusst an das vertraute Gewicht der Waffen, die an seinem Gürtel und in seinem Stiefel steckten. Bereit, jederzeit gezogen zu werden und einen großkotzigen Schläger auf Abstand zu halten. Die grimmige Stimme hinter der Tür bestätigte ihm nur, dass das in den Kreisen, in denen sie sich zu bewegen gedachten, unbedingt nötig war. Dennoch entlockte Skadis Antwort ihm vielmehr ein erneutes, breites Grinsen, als dass er tatsächlich vorsichtig wurde. Der anerkennende Blick, der der Dunkelhaarigen galt, schien ein saloppes 'schön gesagt' auszudrücken, bevor die Stimme hinter der Tür erneut antwortete.
„Verzieht euch. Hier gibt’s keine Ablenkung für Leute wie euch.“ Lucien schnaubte leise, schüttelte kurz den Kopf.
„Leute wie uns? Was glaubst du denn, sind wir für 'Leute'?“
Dieser Moment war absurd. Sie standen hier in irgendeiner zwielichtigen Gasse, klopften an der Tür eines scheinbar verlassenen Hauses und baten um Einlass bei einem Kerl, der durchaus dazu in der Lage schien, sie beide dem Erdboden gleich zu machen. Zumindest wirkte die tiefe, bassige Stimme, als stünde ein Berg von Mensch hinter dem sicheren Holz. Ein Kerl der sie, dem Tonus seiner Stimme nach, wohl für bekloppt hielt. Was vielleicht auch zu kleinen Teilen stimmte.
Skadi bezweifelte nicht, dass der pure Alkohol aus ihr Sprach und Lucien unentwegt dieses spitzbübische Grinsen an die Mundwinkel tackerte, das faszinierend ansteckend war. Wieder einmal musste sie sich unter seinem Blick ein Glucksen verkneifen. Starrte mit erhobener Augenbraue auf die Tür, ehe sie einen Schritt zurück setzte und auf die Fenster über ihren Köpfen blickte.
“Vielleicht glaubt er ja, dass wir dem, was da drin auf uns wartet nicht gewachsen sind.“
Ein Schnauben ertönte hinter der Tür. Fast als stimmte ihr der Fremde wortlos zu. Bis er erneut die Stimme erhob und ein Wummern ertönte. “Ich sagte verzieht euch.“ Das war reichlich unpräzise und taugte der Nordskov nicht als Antwort. Mit einem Seufzen streckte sie die Arme aus und verkeilte die langen Finger auf den Hüften.
“Hast du das gehört Lucy... der glaubt wohl echt, dass wir kleine Waschlappen sind. Dabei könnte er so verdammt viel Geld mit uns verdienen, dass er nicht mehr in so ner Barrage wohnen müsste.“
So musste es sich also anfühlen Trevor zu sein. Ohne Filter vor Kopf und Mund und mit beschwingtem Herz und Leib. Was für ein großartiges Gefühl!
Ihre Bewegung lenkte Luciens Blick für einen Moment auf Skadi, die einen Schritt zurück trat und das Gebäude genauer in Augenschein nahm. Die dunkle Stimme hinter der Tür wiederholte ihre mürrische Aufforderung noch ein Stück unhöflicher und der junge Captain musste sich ein leises Glucksen verkneifen. Das blieb ihm in der nächsten Sekunde ohnehin im Halse stecken.
Stattdessen hob er eine Augenbraue, warf seiner Begleiterin einen halb skeptischen, halb amüsierten Blick zu. Wohl nicht sicher, ob er 'Lucy' als Spitznamen jetzt beleidigend finden, oder noch beeindruckt über den Versuch sein sollte, seine Identität zu wahren. Sofern es tatsächlich so ein Versuch war. Wenn nicht, würde er nach diesem kleinen Abenteuer noch ein ernstes Wörtchen mit Skadi wechseln müssen.
Er stieß ein erneutes, fast trotziges Schnauben aus und wandte sich wieder der unhöflichen Tür zu.
„Ob wir dem gewachsen sind, oder nicht, kann er ja mal getrost uns überlassen.“, meinte er und klang nun fast ein bisschen ungeduldig – nur der offensichtliche Schalk in den tiefgrünen Augen verriet, dass er nach wie vor viel zu erheitert über diese Situation war, als sich wirklich zu ärgern. Außerdem hatten Skadis Worte ihn auf eine Idee gebracht, die dem grimmigen Türsteher vielleicht half, seine Ansicht etwas zu lockern.
„Vielleicht glaubt er ja auch, dass wir gar kein Geld dabei haben...“
Er ließ seine Gürteltasche aufschnappen und zog seine Geldkatze wieder hervor, bevor er ein Stück näher an die Tür trat und die Stimme etwas senkte, dabei einen geradezu kumpelhaften Ton anschlug.
„Hör mal, mein Freund. Wir sind nur zwei Durchreisende. Wir machen keinen Ärger, unser Gold sitzt locker und wir sind auf der Suche nach ein bisschen geselliger Unterhaltung, dem ein oder anderen Spielchen und einem guten Tropfen, um uns angemessen die Kehle zu befeuchten. Und der hier...“
Er fischte einen Achter aus dem Beutel in seiner Hand, ließ ihn auf die Schwelle fallen und trat sofort mit dem Stiefel darauf, damit er gar nicht erst in die Dunkelheit davon hüpfen konnte. Dann schob er ihn mit dem Fuß durch den Spalt unter der Tür.
„...ist für dich, wenn du uns einen Ort zeigen kannst, an dem wir das alles bekommen.“, schloss er leichthin.
Sie schenkte ihm ein bloßes Achselzucken auf seinen sichtlich missmutigen Gesichtsausdruck. Ganz schien es, als gefiele ihm dieser mit Bedacht gewählte Spitzname nicht. Zugegeben. Sie hätte weitaus kreativer sein sollen. Doch so erhoffte sich ihr Unterbewusstsein insgeheim, dass der Jüngere sich dadurch schneller angesprochen und sie sich im späteren Vollrausch in der Lage fühlte, sich diesen falschen Namen merken zu können. Schweigend beobachteten die braunen Augen die Bewegungen ihres Begleiters, dessen Einfall ihr den Ausdruck von kurzweiliger Bewunderung auf die Züge legte. Nicht anders war das breite Grinsen zu interpretieren, das fast einem anerkennenden Schulterklopfen gleichkam. Er hatte ja bereits auf der Morgenwind gezeigt, dass er ein schlauer Kopf war, doch das hier entfachte eine kribbelnde Vorfreude in ihren Adern. Lediglich die nachfolgende Stille dämpfte das Trommeln ihres Lebensmuskels. Nur das leise Kratzen von Metall auf Holz erklang und verschwand binnen Sekunden im Dunkel der Gasse. Offensichtlich hatte der rauchende Kerl die Münze aus dem Türspalt gepuhlt.
“Kanalisation.“ Kam es raunend hinter dem Holz hervor. Dann folgten Schritte, die stetig leiser wurden. Bis nach einem lauten Knall wieder beengende Stille Einzug hielt. Das unangenehme Kribbeln in ihrem Nacken war jedoch just verschwunden.
“Und das war‘s jetzt?“, murmelte die Nordskov mit hinauf schnellender Augenbraue und einem scharfen Schnalzen. “Bleibt uns wohl nichts anderes als... einen Weg... dorthin... zu... finden.“
Stück für Stück trat die Jägerin rückwärts in die Gasse zurück, die braunen Augen auf die Dunkelheit links von sich gerichtet und mit aufkeimenden Erinnerungen an einen ganz speziellen Eingang in die Unterwelt.
'Kanalisation'
Und Rumps. Immer noch lag Luciens Blick auf dem Spalt unter der Tür, durch den die Goldmünze gerade verschwunden war. Etwas perplex, zugegeben.
Erst Skadis Worte, die ihm in diesem Moment aus der Seele sprachen, brachten ihn dazu, den Kopf zu heben und zu der Jägerin hinüber zu sehen.
„Er hätte uns wenigstens sagen können, wie wir da hin kommen.“, stimmte er zu und trat schließlich einen Schritt zurück, wieder auf die Gasse hinaus.
Skeptisch huschte sein Blick über die Fassade nach oben, dann zu den im Dunkeln liegenden Fenstern, hinter denen jedoch keine Bewegung zu erkennen war. Wer auch immer diese Menschen waren, sie hatten ihn und Skadi wieder sich selbst überlassen. Woraus der junge Captain schlussfolgerte, dass sie ihnen auch kein Haar krümmen würden, solange sie sie nicht auf irgendeine Art und Weise provozierten. Zum Beispiel, indem sie sich als Spitzel herausstellten – oder so etwas.
Die grünen Augen kehrten zu seiner Begleiterin zurück, deren Aufmerksamkeit jedoch in die Dunkelheit der Gasse gewandert war.
„Und deute ich deine Tonlage jetzt richtig, wenn ich vermute, du hast da eine Idee?“
Ein flüchtiges Schmunzeln begleitete seine Worte.
Ein breites Grinsen zeichnete sie auf ihren Zügen ab, kaum dass sie den dunklen Haarschopf zu Lucien herum wandte und kurz mit den Augenbrauen zuckte.
“Mh… vielleicht?“
Was nicht bedeutete, dass ihre Idee sonderlich praktikabel war. Dafür musste sie sich an den Weg erinnern, den sie vor wenigen Stunden – sie glaube, dass es nicht mehr als ein Tag her war, als das ganze emotionale Chaos losgebrochen war – mit Liam in den Untergrund verschwunden war. Zu diesen sehr unartigen Kindern, die ihr Grinsen noch eine Spur tiefer in die Wangen trieb.
“Na, Lust auf ein kleines Abenteuer im Dunkeln?“
Für einen Moment lehnte sich die Nordskov ihrem Kapitän entgegen, schien fast auf eine Antwort zu warten, um sich dann letztlich bereits in Bewegung zu setzen und mit gesenktem Blick nach dem Anzeichen einer Treppe oder Untergrundluke zu suchen.
“Wenn mich nicht alles täuscht…“, murmelte sie leise, aber für Lucien in ihrem Rücken noch deutlich vernehmbar.
“Müsste einer der Zugänge nicht weit von hier sein."
Etwas das sie mehr hoffte, als dass sie es so genau wusste. Doch was machte das schon für einen Unterschied, nicht wahr? Das Adrenalin in ihrem Blut würde es ohnehin nicht zulassen, dass sie aufgab und den Rückweg zum Schiff antrat. Sie brauchte diesen Nervenkitzel, der sich gerade kribbelnd in ihrer Kehle bemerkbar machte und sich als warmer Flaum in ihrem Magen ausbreitete.
Und kaum dass sie um die nächste Häuserecke bogen, entfloh der jungen Nordskov ein Siegeslaut. Da klaffte es. Das dunkle Loche, das nur wenige Stufen neben ihnen hinab in das Herz dieser Stadt führte. Mit einem kurzen Blick zurück umriss Skadi die Silhouette Luciens. Sog angespannt und aufgeregt die stickige Luft der Gasse ein und leckte sich über die Unterlippe.
“Und… bereit?“
Neugierig geworden von ihrem grüblerischen Unterton zog es den Dunkelhaarigen näher an Skadi heran. Ihre anrüchige Einladung entlockte ihm ein nun etwas breiteres Schmunzeln.
"Sonst wäre ich ja nicht hier."
Um nicht zu sagen: Das war ja schließlich Ziel des Ganzen.
Wie er schon vermutet hatte, schien die Jägerin eine wage Idee zu haben. Nach dem Woher fragte Lucien jedoch nicht. Als sie sich suchend umsah, sich auf den Weg zur nächsten Biegung machte, folgte er ihr. Da er jedoch keine wirkliche Ahnung hatte, wonach sie Ausschau hielt, glitt sein Blick eher beiläufig über alles, was auch nur annähernd nach 'unten' führte. Doch er fand keinen Gulli, keinen vergitterten Schacht zwischen eng stehenden Gebäuden. Nicht einmal eine Kellertreppe, die mehr hätte sein können, als das.
Dann, plötzlich, gab seine Begleiterin einen siegreichen Laut von sich, der Lucien prompt den Blick auf sie richten ließ. Begeisterung schlug ihm entgegen, steckte ihn an und in seinem Inneren flammte erneut sanft kribbelnde Vorfreude auf. Sein Herzschlag nahm Fahrt auf, sein ganzer Körper reagierte mit Adrenalin auf eine möglicherweise bevorstehende Gefahrensituation. Die schiere Gier danach brannte in den tiefgrünen Augen.
Mit einem Nicken trat er neben Skadi, machte sich dann daran, die wenigen Stufen nach unten zu nehmen und den Gang zu betreten, der sie weiter hinunter führen würde, blieb am Fuße der Treppe jedoch noch einmal stehen. Nach nur wenigen Schritten türmten sich die Wände zu einem beklemmend engen Gang auf, drängten das wenige Licht der Straße ganz und gar zurück, bis Lucien kaum mehr erkennen konnte, wie weit es hinein ging – geschweige denn, die eiserne Gittertür, die am Ende des schmalen Weges nur angelehnt in ihren Angeln ruhte.
"Hast du irgendwas, um Licht zu machen?", raunte er seiner Begleiterin über die Schulter zu, während er vorsichtshalber die Hand an die Ziegelmauer neben sich legte.
Jeder Muskel in ihrem Körper zitterte vor Anspannung. Es war schon fast absurd, wie sehr sie sich auf dieses Abenteuer freute und wie mit jeder verstreichenden Sekunde das Leuchten ihrer Augen an Stärke gewann. Wie vor wenigen Tagen, als sie mit Liam einen dieser Gänge betreten und sich vollkommen in ihrem Element gefühlt hatte. Auf der Jagd.
Nur wiederwillig hielt sie inne, als Luciens Körper zu seiner Salzsäule erstarrte und er, so schien es ihr, unsicher vor dem klaffenden Loch des Korridors stand. Mit ausgestreckter Hand an der Mauer, die ihn stützte. Hatte er etwas Angst in der Dunkelheit? Unmöglich! Mit erhobener Augenbraue kippte der dunkle Schopf der Nordskov zur Seite, während sie seine Miene fixierte, die kurz darauf über seiner Schulter aufblitzte. So ganz wurde sie aus seiner Reaktion nicht schlau. Haderte, ob es einfach nur der Wunsch nach Kontrolle war oder die Ungewissheit der Schwärze, die gähnend vor ihnen ihr Maul öffnete. Mit klopfendem Herzen schälte sie sich kommentarlos an ihm vorbei in den Gang. Blieb im Halbdunkel stehen, um den Blick prüfend in die Dunkelheit zu richten und etwas hinter dem Gitter zu erspähen. Doch blieben sowohl sonderbare Schatten, als auch seltsame Geräusche aus. Kein Grund, um sich in die Hose zu machen.
“Nein. Aber unsere Augen werden sich wohl schon an die Dunkelheit gewöhnen.“
Sie klang so zuversichtlich, als sie den Kopf zu Lucien herum wandte und seine Silhouette musterte. Das Grinsen auf ihren Zügen war zu keiner Zeit verebbt.
Ohne wirklich hinzusehen, spürte er Skadi zu ihm aufschließen. Kurz darauf trat sie an die Gittertür heran, auf die auch Luciens Blick nach wie vor ruhte. Er lauschte, wie sie, in die Dunkelheit hinein, doch bis auf die Antwort der Jägerin hörte er absolut nichts. Wenn hier unten irgendwelche illegalen Aktivitäten stattfanden, dann wahrscheinlich tiefer im Herzen der Stadt, wo man sie nicht so leicht aufspürte. Glücklicherweise jedoch hatte er eine Jägerin bei sich.
Die grünen Augen huschten wieder zu der jungen Frau und erneut flackerte ein belustigtes Schmunzeln im Halbdunkel auf. Sie sagte das einfach so dahin..
„Wenn ich mir wegen dir die Rübe an einem Ziegel anhaue, hänge ich dich an die Reling vom Achterdeck.“, erwiderte er.
Doch das gedämpfte Lachen in seiner Stimme machte mehr als deutlich, dass er ihr eine Kollision mit einem Ziegel weder übel nehmen würde, noch wirklich glaubte, er könne sie einfach so an die Reling hängen.
„Dann los. Irgendwann hören wir schon, wo die Feier stattfindet.“
Er drückte die Tür mit einem kräftigen Schubser nach innen auf und nickte Skadi kurz zu, um ihr zu bedeuten, vorzugehen. Wenn sie dann laut 'au' rief, konnte er dem Ziegel vielleicht noch ausweichen.
Sie schenkte ihm ein abschätziges Grunzen bei seinen Worten und ließ spielerisch die Augenbrauen nach oben tanzen. Natürlich nahm sie ihn nicht sonderlich ernst, nicht wenn er dreinsah wie ein kleiner Junge, der zu viele Apfelplundern verdrückt und jetzt aufgekratzt wie ein kleines Erdhörnchen durch die Gegend starrte.
“Du sollst auch deine Rübe nicht da hing hängen, wo sie nicht hingehört, Lucy.“, entgegnete sie ihm mit triefendem Humor und lachte.
Beinahe verwunderte es sie, wie schnell die Stimmung von vor wenigen Minuten gänzlich verflogen war und nahtlos in einem unausgesprochenen Einverständnis mündete. Wenn das hier zur Gewohnheit werden sollte, konnte sie sich glücklich schätzen. Dann war ihr Geist nicht der einzige auf der Sphinx mit einem riesigen Riss.
Kaum trat Lucien mit seinen Worten voraus und hielt das eiserne Tor gleich einem Gentleman geöffnet, lösten sich Skadis Füße von selbst vom verdreckten Boden. Leise knirschte der Sand und Staub unter ihren Sohlen und hallte dumpf im Gang auf und ab, während sie immer tiefer in den Bauch der Stadt vordrangen. Mit klopfenden Herzen und unbändiger Vorfreude auf das, wonach sie sich sehnten.
Immer wieder bogen sie in eine nächste Abzweigung und so ganz wusste Skadi nicht, ob sie angesichts ihrer leichten Trunkenheit problemlos zurückfinden würde. Allerdings bemerkte sie als erste die kleinen Zeichen an den Wänden, die sich mit fortschreitendem Weg immer häufiger auf den kalten und klammen Mauern abzeichneten. Da hatte sich jemand unfassbar viel Mühe gegeben, den Weg zur Arena zu markieren. Wie nett.
Und noch ehe das gleißende Licht von Fackeln sie erreichten, erhoben sich Kampfeslaute vor ihnen am Ende des Korridors. Mit einem Funkeln in den Augen wandte sich Skadi zu Lucien herum, der dicht hinter ihr lief und den sie fast mit der Drehung ihres Oberkörpers mit der Faust gegen den Brustkorb schlug.
“Schätze wir sind da.“
Nur noch wenige Meter. Dann eröffnete sich ihnen ein Anblick, der wohl in unzähligen Romanen und Legenden beschrieben wird. Ein Ring aus Feuer erhellte die kleine „Arena“, die bevölkert war von dunklen Gestalten jeglicher Form und Farbe. Zumeist Männer, wie Skadi mit geschürzten Lippen erkennen musste, während sie bereits die Treppenstufen in das hohe Gewölbe hinab lief.
Sein leises Lachen folgte der Jägerin, als sie durch die Tür schlüpfte. Darauf wusste er beim besten Willen nichts zu erwidern, außer vielleicht: Recht hatte sie. Aber nicht sollen und nicht tun waren bekanntlich zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. Sicherlich sollte er seine Rübe auch nicht in irgendwelche illegalen Machenschaften stecken, die hier unter der Stadt vor sich gingen. Und sie waren trotzdem drauf und dran, genau das zu tun.
Immerhin sein Kopf blieb heile, während sie sich durch die Dunkelheit schoben. Ihre Schritte knirschten leise auf dem schmutzigen Boden und unter seinen Fingern, die ihn an der Ziegelwand entlang führten, rieselte der Mörtel aus den Fugen. Auf den Weg achtete der Dunkelhaarige kaum. Zu sehr lenkte ihn das stetig kräftigere Klopfen seines Herzens ab. Sein Blut rauschte in seinen Ohren, dröhnte in der Stille und in seinem Magen kribbelte die Vorfreude.
Irgendwo am Rand seines Bewusstseins dachte Lucien noch darüber nach, wie erschreckend leicht ihm der Umgang mit Skadi fiel. Kein langes Gerede, kein Gefrage, kein Ausgelote. Sie schienen den gleichen, bissigen Humor zu teilen und waren dem, was hier unten wartete – ganz gleich, was es sein würde – offensichtlich beide sehr zugetan. Doch der Gedanke verschwand, als ihm bewusst wurde, dass das Rauschen in seinen Ohren längst nicht mehr das einzige war, was er hörte. Das Gröhlen einer Vielzahl von Stimmen drängte durch die Gänge, durchmischt mit Anfeuerungsrufen und lautem Ausbuhen. Am Ende des Ganges flackerte Licht durch einen Torbogen.
Skadi blieb stehen, hätte dem jungen Captain beinahe eine über gebraten, der gerade so stehen blieb, um nicht in sie hinein zu laufen. Sein Blick begegnete dem ihren und noch bevor sie es laut aussprach, wussten sie wohl beide, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.
„Sieht ganz so aus!“, erwiderte er mit einem Grinsen.
Und wieder setzten sie sich in Bewegung, betraten schließlich das Gewölbe hinter dem Durchgang und fanden sich am Rande einer ausgelassenen Menge wieder, die sich in wogenden Wellen in der Halle drängte und, wie es schien, eine halbe Hand voll freier Flächen in ihrer Mitte bildete. Gerade noch so erhaschte Lucien einen Blick auf zwei halb nackte Männer, die sich mit drohend erhobenen Fäusten umkreisten, ehe er die Stufen so weit herunter gelaufen war, dass die Köpfe der Umstehenden die Sicht versperrten.
Ohne zu zögern schloss er zu Skadi auf, griff nach ihrem Handgelenk und nickte mitten hinein in die Menschenmenge.
„Da drinnen. Komm mit.“
Über den Lärm der Menschen hier musste er seine Stimme erheben, doch niemand sonst achtete auf sie. Er zog die Jägerin mit sich, bis sie zwischen den ersten massigen Leibern in die Menge eintauchten und er sie los ließ, um sich bis zu einem der „Ringe“ hindurch zu zwängen.
Der Lärm. Das flackernde Licht. Alles brannte sich so scharf in ihr Bewusstsein, dass sie für einen Moment den Atem anhielt um die Szenerie vollständig in sich aufzusaugen. Fast ekstatisch entlud sich das Zittern ihrer Muskeln, als warme Finger ihr Handgelenk umschlossen. Hätte sie mit einer Drehung ihres Kopfes nicht das Gesicht Luciens im Wechselspiel von rotem Licht und Schatten erkannt, hätte sie ihm wohl blind ihre Faust gegen den Kehlkopf gepresst.
Fast schon widerwillig ließ sie sich von ihm tiefer ins Getümmel mitreißen und vermied tunlichst die Umstehenden mehr zu berühren, als irgend notwendig. Die meisten Leiber stanken bis zum Himmel. Nach Schweiß, Rum und einer seltsamen Mischung aus… Moschus?
Blinzelnd wandte sich der dunkle Haarschopf herum, als sie einen hochgewachsenen Mann am äußeren Rand des Ringes passierten, der so gar nicht in diese Szenerie zu passen schien. Seine Schuhe glänzten im aufgeregten Spiel der Fackeln und machten den Anblick der anderen noch schäbiger, als sie ohnehin schon waren. Die langen, gepflegten Finger strichen über einen frisch geschnittenen Bart, der bei weitem mehr Körperpflege kannte, als Skadi ihrem eigenen Leib zukommen ließ.
Nun war sie es, die ihre Finger um Luciens Unterarm fest zog und mit schierer Vorfreude in den Augen die grünen Iriden fixierte, die sich herum wandten. Mit tanzenden Augenbrauen nickte sie zu dem Mann hinüber, der verhalten grinsend den Kampf beobachtete.
“Wonach sieht der für dich aus?“
Lärm, Licht, Hitze und Gestank – all das registrierte der 21-Jährige kaum. Die Eindrücke mischten sich zu einer gefährlich gewaltbereiten Mixtur, die sich wie Gift durch seine Haut bis in seine Adern brannte. Es war diese Gier nach Schmerz und Blut in den Augen der Männer, die sich um die Kämpfenden reihten, von der sich der junge Captain anstecken ließ. Die etwas in ihm weckte, das nur darauf gewartet zu haben schien.
Sein Herz geriet für einen Moment aus dem Takt, als sich die gleiche Gier durch sein Innerstes fraß. Und dabei war ihm beinahe gleichgültig, ob er nur zusah oder selbst einzustecken hatte. Bei allen Welten, wie sehr sehnte er sich in diesem Augenblick nach Kampf, Blut, Zorn und Gewalt. Der Alkohol in seinen Adern ließ es in ihm nur zusätzlich brodeln.
Skadi war es, die ihn wieder zur Besinnung brachte. Er riss den Blick von den Kämpfenden los, sah fast eine Spur widerwillig erst zu ihr, bevor sich sein Verstand zurück meldete und er fragend die Stirn runzelte. Er konnte sie über den Lärm hinweg kaum verstehen, doch ihr Nicken war eindeutig und den Rest spann er sich aus den Bewegungen ihrer Lippen selbst zusammen.
Er folgte also ihrem Blick und jetzt, da er darauf aufmerksam gemacht worden war, wunderte Lucien sich, wie er diesen Mann hatte übersehen können. Er stach heraus wie der Fuchs aus einer Horde Hühner.
„Wie der, der hierbei das meiste Geld verdient.“, sprach er aus, was ihm als erstes durch den Kopf ging. Wobei er sich zu der Jägerin hinüber beugen musste, um sicher zu gehen, dass sie ihn tatsächlich verstand. Und nicht jeder andere mithörte.
„Wieso? Was glaubst du, wer er ist?“
Irgendwie war alles viel zu einfach. Der Weg nach unten. Unbewacht und still. Das laute Kampfgebrüll und die obszönen Rufe, die über die Köpfe davon schwirrten und den Kampfdurst verstärkten, der sich ihre Kehle hinab schlich. Es war zu einfach sich ins Getümmel zu stürzen. Teil der Masse zu werden, die sich allesamt einer Straftat hingaben. Und niemand nahm von ihnen auch nur irgendeine Notiz.
Skadis Herz klopfte aufgeregt und quetschte sich immer wieder kraftvoll zwischen ihre Rippen. Mit leuchtenden Augen hielt sie den Blick ihres Gefährten im Visier. Nahm seinen Duft war, als er sich zu ihr hinüber lehnte und ihren ersten Gedanken verbalisierte. Der Kerl steckte voll mit Geld. Ob auf Grund seiner zwielichtigen Abendbeschäftigung oder weil er ein angesehener Bürger der Stadt mit viel Einfluss und Ansehen war.
"Womöglich der, der uns nicht nur hier behalten und reich machen, sondern uns direkt IN den Ringen schicken könnte."
Sie klang dabei so aufgekratzt, dass sich ihr Atem beschleunigte und die Unterlippe unter einem Biss ihrer Vorderzähne verschwand. Alles an ihrer Ausstrahlung schrie danach nicht nur Teil der verschwitzten und grölenden Zuschauer zu sein.
Ein vorwitziges Schmunzeln formte sich auf Luciens Lippen, der der Jägerin immer noch auf geradezu vertrauliche Weise nahe war – um sie über den Lärm hinweg verstehen zu können.
„Klingt, als wärst du ganz heiß darauf, dich zu schlagen.“
Weder Frage noch Vorwurf schwangen in seiner Stimme mit. Es war eine reine Feststellung, gefärbt von gewaltbereiter Vorfreude. Die gleiche Gewaltbereitschaft, die er auch in ihren Augen erkannte. Ein Glühen, dem sie beide sich in ihren Alltag auf der Sphinx eher selten hingaben. Sei es, weil sie es unterdrückten oder weil ihnen die Gelegenheit fehlte. Doch jetzt bot sich ihnen diese Gelegenheit.
„Das wird aber nicht klappen, wenn wir ihn nur nett darum bitten...“
Die tiefgrünen Augen huschten zurück zu jenem Mann, der mit distanzierter Arroganz über das Getümmel herrschte. Mit Sicherheit ließ dieser Mann nur vorher sorgfältig ausgewählte Kämpfer in den Ring. Außer...
„Ich hab eine Idee. Komm mit.“
Wieder griff der junge Captain nach Skadis Unterarm, schob sich mit ihr zwischen ein paar Umstehenden hindurch, die kaum Notiz von ihnen nahmen und gröhlend in Richtung des Ringes starrten. Näher heran an ihr gemeinsames Ziel. Die Stimmung um sie herum war derart aufgeladen mit Gewalt – es brauchte nur einen winzigen Anreiz, um in unmittelbarer Sichtweite dieses reichen Typens eine Schlägerei anzuzetteln. Ein Rempler hier, ein Schubser da... Und mit ein bisschen Glück reichte das, um die Aufmerksamkeit auf den Blutdurst der Jägerin zu lenken. Eine Frau im Ring sorgte sicherlich für herausragende Quoten.
Woher er das wohl nur annahm? Nicht, dass sie verneinen würde. Ganz im Gegenteil. Mit einem Schulterzucken und breiten Grinsen auf den Lippen erschien es der Jägerin sogar Antwort genug. Davon abgesehen, brauchten sie ohnehin einen guten Plan. Denn ähnlich wie Lucien glaubte sie kaum, dass sich hier etwas mit gut gemeinten und wohl formulierten Worten ausrichten ließ. Taten sprachen mehr als tausend Worte, war dem nicht so? Und so wie der Kapitän gerade an ihrem Unterarm zerrte, verstand sie sofort, welcher Gedanke ihm durch den Kopf geschossen war. Statt sich hinter ihm klein und unauffällig zu machen und in seinem Schatten unterzugehen, stolperte und taumelte sie unkontrolliert von rechts nach links. Raunte hier und da eine Entschuldigung, bis sich lange Finger um ihr Handgelenk krallten und sie ruckartig zurück zogen. Direkt aus Luciens Umklammerung. „Hey! Hast du keine Augen im Kopf, du Winzling?“
Spucke spritzte gegen ihre Wangen und brannte jäh auf ihrer Haut. Der Atem, der ihr augenblicklich um die Nase schlug roch nach Alkohol und irgendwas Verfaultem. Angewidert rümpfte Skadi die Nase und versenkte ihr Knie in der fremden Magengrube. Verpasste dem Kerl kurz darauf eine schallende Backpfeife und brüllte über den Lärm der Kämpfe hinweg.
“Grabbel mich noch einmal an du Schwein oder ich prügel dir deine schlechte Manieren aus dem Leib.“
Während er ihnen beiden einen Weg durch die Menge bahnte, lagen die grünen Augen unverwandt auf dem Gesicht des Mannes, der über die Szenerie im Ring wachte. Noch nahm er keine Notiz von ihnen, doch angesichts der Tatsache, dass Skadi sich mit Rempeleien hinter ihm kaum zurück hielt, war das nur noch eine Frage der Zeit.
Urplötzlich entglitt ihm ihr Handgelenk, zwang ihn zum Stehenbleiben. Er drehte sich um, suchte in der Menge der Leiber nach ihr und fand sie nur zwei Schritte hinter ihm. Jemand hatte die Jägerin zurück gerissen, forderte nun offenbar Vergeltung für ihren rüden Durchmarsch und diese wenigen Augenblicke hatten gereicht, damit sich zwei Zuschauer zwischen ihn und seine Begleiterin hatten schieben können, die in ihrem Fokus auf den Ring allerdings noch nichts von der sich anbahnenden Schlägerei bemerkten. Noch nicht. Alles eine Frage der Zeit, denn Skadi leistete ganze Arbeit.
Lucien machte keine Anstalten, wieder zu ihr zu gelangen. Auch nicht, als sein Blick auf einen zweiten Mann fiel – möglicherweise ein Kompagnon des ersten – dessen Gesichtsausdruck zu einer unheilverkündenden Fratze verzerrt war. „Ich geb dir gleich Prügel, Weib!“, raunzte er über seinen in die Knie gehenden Mitstreiter, schubste einen Unbeteiligten aus dem Weg und ging unbeherrscht vom Alkoholrausch auf die Jägerin los.
Und damit trat er eine Kettenreaktion aus Gewalt los. Der Unbeteiligte stolperte in den Zuschauer eine Reihe vor ihm, bevor er stürzte. Der wiederum fand die Störung alles andere als unterhaltsam, wandte sich um und erspähte lediglich Skadi und ihre Kontrahenten, ging kurzerhand davon aus, dass sie das gewesen sein mussten und warf sich ebenfalls dazwischen, um irgendwem eine zu verpassen. Innerhalb von Augenblicke lenkte der Tumult die Blicke der Umstehenden auf sich, ein Kreis bildete sich. Wenn auch ein sehr kleiner.
Auf Luciens Lippen stahl sich ein süffisantes Lächeln. Er musste nicht mal etwas tun. Außer vielleicht… Sein Blick huschte hinüber zu dem geschniegelten Typen und auch dessen Aufmerksamkeit lag inzwischen auf der Prügelei außerhalb des eigentlichen Ringes. Schon hob er eine Hand, um ein paar Wachposten heran zu winken, als der junge Captain sich in Bewegung setzte, sich bis zum Rand des kleinen Kreises vorkämpfte und dabei brüllte:
„Zehn Achter, dass die Kleine alle drei fertig macht.“
Irgendjemand griff die Wette begeistert auf, ein paar der Umstehenden lachten verächtlich, boten dagegen. Und das Winken am Rande seines Blickfelds wurde unvermittelt zu einem Stoppsignal. Er wartete.
Augen wandten sich herum. Fixierten den Hünen und kurz darauf die Nordskov, sie mit erhobener Augenbraue über ihre Schulter sah und ein kaum sichtbares, aber nicht weniger amüsiertes Lächeln auf den Zügen trug. Ihr Plan war aufgegangen, zu gut, wenn sie ehrlich sein sollte. Kaum ging der Erste unter einer heftigen Schnappatmung zu Boden, kehrte erneut Bewegung in die Umstehenden. Wo sich eine Person heraus schälte, kam wenig später die Nächste. Scheiße. Mit einem Ausfallschritt tauchte sie unter dem Hieb des Zweiten hinweg, trat ihm mit einer Drehung ihres Oberkörpers kraftvoll seitlich gegen den Brustkorb und verfrachtete ihn, taumelnd und womöglich mit einer angeknacksten oder gar gebrochenen Rippe, gegen den sich aufrappelnden Leib seines Kumpanen. Schreiend und fluchend lagen sie übereinander, schlugen und schupsten sich gegenseitig zur Seite, als bereits der Nächste auf die Jägerin zugeeilt kam. Mit einem Ruck sah Skadi zur Seite, wich knapp einem Faustschlag aus und stolperte. Staub kräuselte sich in der Luft, als sie rücklings zu Boden fiel. Lautes Gelächter durchdrang den Kreis der Zuschauer. Gefolgt von Buhrufen und dem Schrei nach mehr Manneskraft. “Schafft die Frau da weg… das ist doch langweilig.“
Skadi schenkte keinem dieser Herren eine Sekunde ihrer Aufmerksamkeit. Ihr Blick blieb wie gebannt auf das vor Wut und Alkohol verzerrte Gesicht des Fremden über sich gerichtet, der sich zu ihr hinab beugte und nach ihrer Kehle griff. Doch alles, was sich auf den Zügen der Dunkelhaarigen widerspiegelte, war ein berauschtes Grinsen.
“Ups… Da hast du mich wohl überrumpelt.“
Ruckartig riss sie ihre Arme über ihren eigenen Kopf. Brachte seinen Schwerpunkt aus dem Gleichgewicht und hinterließ ein widerliches Knacken in der Luft, als sie mit ausgestreckten Armen Kopf und Kiefer herum drehte. Bewusstlos rollte der Hüne zur Seite, gefolgt von dem schmalen Körper der Jägerin, die ruckartig auf ihren Versen hockte und zu den zwei Herrschaften auf der anderen Seite hinüber starrte.
“Habt ihr‘s bald mal?!“
Die Belustigung troff aus jedem ihrer Worte heraus, zog das amüsierte Grinsen bis in den letzten Winkel ihrer Wangen und färbte das Gesicht ihrer Kontrahenten in ein hässliches, vor Wut getränktes Rot.
„Schafft die Frau da weg, dass ist doch lagweilig!“, brüllte irgendjemand gar nicht so weit von Lucien entfernt. Wie zur Antwort ging eine kleine Welle durch die Umstehenden, die näher an Skadi und ihre Kontrahenten zu drängen schien. Jedoch auch unvermittelt wieder abflaute und sich zurück zog, als die Jägerin ohne viel Federlesen ihren dritten Gegner bewusstlos zu Boden schickte.
Ein kleiner, stämmiger Kerl unmittelbar neben dem Dunkelhaarigen stieß ein Wutschnauben aus – wohl, weil er sich durch die Versager weiter vorn in seiner männlichen Ehre nicht ausreichend vertreten fühlte und die Sache lieber selbst in die Hand nehmen wollte – und war drauf und dran, sich nach vorn zu schieben, als Lucien ihm unvermittelt die Faust vor den Solarplexus rammte und mit einem kühlen Lächeln zurück in die Reihe verwies. Immerhin überragte er ihn um fast zwei Köpfe, was wohl der einzige Grund war, weshalb er sich von einem 21-Jährigen aufhalten ließ.
Zwar hatte der junge Captain nicht die Befürchtung, Skadi käme mit noch einem Kontrahenten nicht genauso gut zurecht, wie mit den ersten Dreien, doch seine Aufmerksamkeit hatte während des kurzen Kampfs die ganze Zeit auch auf jenem Mann gelegen, der das Schauspiel mit neugierigem Blick beobachtete und sich nun in Begleitung zweier riesiger Hünen durch die Umstehenden schob.
Der Großteil der Zuschauer konzentriere sich voll und ganz auf die Geschehnisse innerhalb des offiziellen Rings. Doch in ihrem kleineren Kreise hier richteten sich nun aller Augen auf ihn, als er auf die freie Fläche zwischen die Leute trat und den Blick auf Skadi richtete. Ihre beiden noch wachen Gegner hatten sich derweil aufgerappelt, wurden jedoch von einem der Hünen wirksam davon abgehalten, wieder auf sie los zu gehen.
„Du scheinst es ja kaum erwarten zu können, dir dein hübsches Gesicht verunstalten zu lassen“, bemerkte er in zwar gewählter Ausdrucksweise, aber doch nicht so gestochen, wie sie Leute von höherer Geburt pflegten. Er schien also aus einfachen Verhältnissen zu kommen, auch wenn er nicht mehr so aussah. Mit kritischem Interesse musterte er die Jägerin ein mal von oben nach unten, dann zuckte in seinem Mundwinkel ein Lächeln. „Ich wette, ein paar der Männer hier würden nur zu gern sehen, wie man dich wieder auf deinen Platz verweist. Habe ich nicht Recht?“
Für seine Frage hob er die Stimme deutlich an, damit jeder ihn hören konnte, und die Umstehenden antworteten mit hämischem Gröhlen.
Spuckend und fluchend erhoben sich die beiden Männer, ohne auch nur einen Schritt auf sie zuzugehen. Fast genügsam sah die Nordskov ihnen dabei zu und wischte sich mit dem Handrücken über den Mundwinkel. Je länger sich die Herrschaften Zeit ließen, desto lächerlicher wurde es. Immer mehr Augen richteten sich auf ihre Auseinandersetzung. Sie spürte jeden einzelnen Blick wie kleine Nadeln in ihrem Körper, ohne sich auch nur einmal herum zu drehen. Und erst als der hoch gewachsene Schatten sich umringt von seinen Begleitern aus der Menge schälte, entspannten sich die Muskeln der Dunkelhaarigen, die kurz den Kopf im Nacken kreisen ließ. Absolut unbeeindruckt, obgleich jede Faser ihres Körpers zum Zerreißen gespannt war und ihr Blut vor Kampfeslust überschäumte.
"Ich bezweifle, dass es einen fähigen Mann unter ihnen gibt, der dazu in der Lage wäre."
Mit einem Mal klang Skadi derart selbstgefällig, dass sie fast ihrer eigenen Worte wegen auf den Boden spucken wollte. Doch all das diente letztlich dem Zweck, die Stimmung aufzuheizen und sich das nötige Zubrot zu verdienen, dass sie für die Crew und das Schiff brauchten. Oder nicht? Für einen Sekundenbruchteil huschten die dunklen Augen zur Seite und erspähten Lucien in der Menge. Mit einem Ausdruck auf den Zügen, den sie derart spiegelte, als verschmelzen ihre Gedanken und ihr aufblühendes Temperament.
"Vielleicht ist es an der Zeit den Herrschaften zu zeigen, auf welchen Platz SIE gehören."
Fast schien es, als wollten sich die ersten wütend aus den Reihen lösen, sich auf sie stürzen oder ihre Krüge nach ihr werfen. Doch eine erhobene Hand des Mannes und die Meute trat zurück in die Wogen aus Trunkenheit und angestauter Verachtung.
Skadi beherrschte das Schauspiel perfekt. Wobei Lucien nicht einmal beschworen hätte, dass es nicht mehr als das war. Denn wie er ließ sie sich ganz von der aufgepeitschten Stimmung mitreißen, ging gänzlich über in die Bereitschaft, zu kämpfen und Blut zu vergießen. Ähnlich eines Berserkers im Rausch des Schlachtgetümmels.
Über die Lippen des jungen Captains huschte ein Lächeln, in dem siegessichere Zufriedenheit und das Verlangen nach einem Kampf lagen, als die Jägerin provozierend die Stimme erhob. Sie wählte die richtigen Worte, trug die richtige Haltung zur Schau, die von selbstgefälliger Überzeugung sprach. Ein Ausdruck, der den schlanken Mann hämisch grinsen ließ. Er schien der festen Überzeugung zu sein, ihr ihre Siegesgewissheit aus den athletischen Gliedern prügeln zu lassen.
Lucien begegnete Skadis Blick, in den tiefgrünen Augen eine merkwürdig düstere Gier. Er nickte ihr zu, nur einmal kurz, ehe sie sich wieder an den Mann wandte, der über den Ring zu entscheiden hatte. „Wir werden sehen...“ Der Alte schnaubte spöttisch, nickte dann, als er seine Entscheidung fällte, und hob die Hand, ohne seinen Blick von der Jägerin zu lösen. Mit einem Wink zu den beiden Hünen, die ihn begleiteten, wies er sie an, Skadi Richtung Ring zu eskortieren. Einer der beiden war tatsächlich so unbedacht, sie am Oberarm zu packen, um sie mit sich zu zerren. Gleichzeitig schien der Kampf im Ring für beendet und der Sieger erklärt worden zu sein. Denn nun teilte sich die Menge vor ihnen und ließ die kleine Prozession durch.
Lucien griff nach seiner Geldbörse, schob sich parallel zu der entstandenen Schneise auf den Kampfplatz zu, um an dessen Rand in Sichtweite zu bleiben, und suchte bereits denjenigen in der Menge, der die Wetten entgegennahm. Es wurde Zeit, ein bisschen Gold zu verdienen.