04.10.2020, 16:09
Ein Schnauben verließ seine Kehle, kaum dass Coillin die eisigen Augen auf Lucien hinab wandte. Sie zeugten von so viel Verachtung und köchelnder Wut, dass es wohl nicht lange dauern würde, bis sie sich den Jungen erneut vornahmen. Und Ceallagh rechnete bereits in diesem Augenblick damit, dass seine Aktion nicht ohne Konsequenzen bleiben würde. Doch schrieb er den Bengeln so viel Schamgefühl zu, als dass sie nicht sofort zum Kapitän eilen und ihm brühwarm von ihrer Dummheit erzählen würden. Zwar behandelte Dravean seinen Sohn mit einer ziemlichen Härte und Gleichgültigkeit, doch würde er es sicherlich nicht gutheißen, wenn eine Bande von vorpubertären Halbstarken seine Tochter in eine Strohpuppe verwandelte und sie dem eigenen Sohn als Liebesspielzeug darbot. Auf die wohl pietätloseste Art und Weise. Vielleicht hegte er selbst bereits den Gedanken, dass die Bindung seiner Kinder ungesund war und hatte ihn deshalb mit auf dieses Schiff geschleppt. Wer war er schon sich darüber ein Urteil anzumaßen. Doch eines war sich Ceallagh durchaus bewusst: Kalem schätzte es nicht, wenn man sich wie ein winselnder Hund vor seine Füße schmiss und wehleidig jammerte. In diesem Punkt war sich die Generation seines Vaters erstaunlich einig. Er hoffte lediglich, dass Lucien alsbald lernte sich gegen diese Idioten zur Wehr zu setzen. Und das effektiver als gerade eben.
Denn auch wenn sein kindlicher Trotz sich ziemlich bemerkbar machte, war er absolut machtlos gegen die Überzahl seiner Peiniger. Schien es jetzt noch, wo ihn die Überbleibsel der Strohpuppe vollkommen aus dem Konzept brachten und er beim Anblick seines „Retters“ erschrocken zurück stolperte. Fast schon instinktiv schnellte Cealls Arm voraus, bekam den Jungen jedoch nicht zu fassen und konnte ihm nur bei seinem schmerzhaften Fall zusehen. Irritiert schnellten die hellen Augenbrauen hinauf, während er Lucien musterte. Fische mit der Linken ein Stück Stoff aus seiner Hosentasche und hielt es dem Jüngeren vor die Nase, dessen grüne Augen scheinbar bewusst die seinen mieden.
“Das nächste Mal gibst du dem Vollidioten einfach gleich eins auf die Nase.“
Ein wohl ziemlich bescheuerter Rat, doch was sollte er schon groß auf Luciens Worte erwidern. Er hatte getan, was er für richtig hielt. Nicht mehr und nicht weniger.
“Außerdem vergreift sich niemand an der eigenen Schwester. Brüder wie wir müssen da zusammenhalten.“
Und wieder schenkte er dem Dunkelhaarigen ein warmes Lächeln. Zwinkerte ihm zu und erhob sich dann mit knackenden Knien. Reichte Lucien die vorgestreckte Hand, um ihm aufzuhelfen.
Er wich dem Blick des Älteren nicht aus, weil er schüchtern war. Oder gar, weil er sich dafür schämte, sich nicht wehren zu können. Sondern weil er nicht sehen wollte, was Hayes über die Vorwürfe dachte. Weil er nicht sehen wollte, wie sich ein Fremder nur aufgrund des Gehörten ein Urteil über ihn bildete, das so völlig falsch war. Es hätte das junge, hoffnungsvolle Gefühl, nicht völlig allein auf diesem Schiff zu sein, nur zerstört. Die Fremde zog Lucien schon so lange zu sich hin. Weil ihn dort draußen niemand kannte. Und sich niemand ein Urteil über ihn bildete, das er nicht selbst bestimmte. Wie sollte er diese Vorstellung aufrecht erhalten, wenn der einzige Fremde, dem er begegnete, schon entschieden hatte, was er in dem Zwölfjährigen sah, nur weil ein paar Kinder, die ihn hassten, Spötteleien und Gerüchte über ihn verbreiteten?
Doch dessen Worte, die Ceallagh selbst für bescheuert hielt, klangen in seinen Ohren nur freundlich, offenherzig und beruhigend. Weder verachtend, noch spottend.
In seinen Augenwinkeln erschien ein Stofftuch. Die Bewegung ließ den Jungen erneut zusammenzucken, doch er fasste sich schnell wieder und wandte vorsichtig den Kopf herum. Vorsichtig, weil er dem Frieden nicht ganz traute. Sein Blick huschte zu Ceallaghs Gesicht, dann zu dem Tuch und schlussendlich wieder zu seinem Gesicht, bevor er zögerlich den Kopf schüttelte.
„Es geht schon, danke.“, lehnte er das angebotene Tuch mit aller Höflichkeit ab und seufzte dann tief.
Wie sollte er sich auch gegen die anderen zur Wehr setzen? Sie waren ihm in jeder Hinsicht überlegen. In Größe, Stärke und Anzahl. Selbst wenn er einen Schlag würde landen können, würden sie ihm das doppelt und dreifach heimzahlen.
Doch Lucien sparte sich die Antwort. Stattdessen sah er auf, als sein Gegenüber sich erhob und lief bei dessen nächsten Worten erneut scharlachrot an. Falls er noch eine Bestätigung gebraucht hätte, ob der Ältere den Hintergrund für diese bescheuerte Puppe mitbekommen hatte, dann bekam er sie hiermit. Aber statt ihn ebenso zu verhöhnen, streckte er ihm die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Also griff Lucien nach kurzem Zögern zu, ließ sich von ihm auf die Füße ziehen und mustere seinen Gegenüber mit neu erwachtem Interesse.
„Hast du mir deshalb geholfen? Werden du und deine Schwester auch von anderen geärgert?“
Immer wenn der Jüngere vor ihm zurück wich, versetzte es dem Hünen ein stechendes Gefühl in der Brust. Hatte er selbst als Kind mit innbrünstiger Wut, Hass und irgendwann Gleichgültigkeit auf Situationen wie diese reagiert, wirkte Lucien mit einem Schlag so seltsam zerbrechlich. Als könne ihn just nur ein falsches Wort brachialer zu Boden ringen, als jeder Schlag, den er hatte einstecken müssen. Fühlte sich der blonde Hayes dem gewachsen? War er wirklich der Meinung einem kleinen Jungen wie Lucien das Maß unerschöpflichen Selbstbewusstseins einimpfen zu können, das er für dieses Schiff brauchte, wo doch klar war, dass er selbst nur wenige Monate bleiben würde? Es war einen Versuch wert. Und ohnehin längst zu spät für derlei Zweifel. Bereits jetzt hockte er zu tief in der Scheiße und war es dem Dunkelhaarigen fast schon schuldig. Denn langfristig gäbe es keinen langen Lulatsch wie ihn, der für ihn in die Bresche sprang und seine Überlegenheit – wenn auch nur gespielt – zur Schau stellte. Der sich nicht davon beeindrucken ließ, ob so ein paar Hanswurst der Meinung waren, sich an einem Schwächeren vergreifen zu müssen.
Also akzeptierte er Luciens Abweisung mit einem Lächeln. Er selbst hätte wohl in dessen Lage nicht anders reagiert. Erhob sich langsam und streckte die langen Finger hinab, abwartend, ob der Jüngere auch diese Hilfe ausschlagen und sich selbst aufrappeln würde. Fast schon zu Ceallaghs Verwunderung umfassten Luciens Finger seine Handfläche. Ließen sich nach kurzem Zögern federleicht hinauf ziehen, bis er sicher auf den schmalen Beinen stand. Instinktiv hielten die grünblauen Augen denen des Jüngeren stand. Funkelten für einen kurzen Moment, in dem die Frage des Dunkelhaarigen durch den Raum hallte und Ceall unter einem tiefen Einatmen seufzte.
“Unter anderem. Aber mittlerweile traut sich niemand mehr den Mund aufzumachen, wenn ich dabei bin. Auch wenn ich es manchmal noch immer in ihren Augen sehen kann.“
War sein Blick gerade drauf und dran, nachdenklich an Lucien vorbei in die Schatten zu driftet, schnellten die grünblauen Augen wie von selbst auf das zerkratzte Gesicht zurück. Musterten es eine Weile schweigend, ehe sich ein ehrliches, fast schon erleichtertes Schmunzeln auf die vollen Lippen legte.
“Wir sollten vielleicht hoch an Deck gehen, bevor sie wiederkommen. Was meinst du?“
Strohhalme rieselten von seiner Kleidung zu Boden. Ein paar hingen in seinem kurzen Haarschopf fest und dachten nicht daran, loszulassen. Doch der Zwölfjährige beachtete sie nicht weiter. Trotz der Hitze in seinen Wangen lag vorsichtige Neugier in den tiefgrünen Augen, die unverwandt auf dem Älteren ruhten. Es war leicht, ihn zu umgarnen und das kindliche Misstrauen zu verscheuchen, denn er war Freundlichkeit nicht gewohnt. Wenn sie ihm begegnete, öffnete er sich ihr nur allzu bereitwillig und sog sie auf wie ein Schwamm.
Ceallagh Hayes, der die Demütigung zwar mitangesehen hatte, ihn aber vor schlimmerem bewahrte und ihm nun – zumindest seiner Ansicht nach – vorbehaltlos gegenüber stand, stahl sich in diesem Augenblick nur allzu schnell in das Herz des dunkelhaarigen Jungen. Weil er mit geradezu verzweifelter Hoffnung daran glauben wollte, dass ihm auch Gutes widerfahren konnte. Abgesehen von Talin, selbstverständlich. Und der Gedanke, jemanden getroffen zu haben, der ähnliches erlebt hatte und dem nun niemand mehr dumm kam, beflügelte seine Neugier umso mehr.
Zunächst lag ihm deshalb die drängende Frage auf der Zunge, wie Ceallagh das geschafft hatte. Doch als dessen Blick an Lucien vorbei in die Dunkelheit des Frachtraums glitt, zögerte der Zwölfjährige, sah ebenfalls in die entsprechende Richtung und fürchtete bereits, seine Peiniger würden zurückkehren, als der Junge neben ihm erneut sprach.
Ohne lange darüber nachzudenken, nickte der Dunkelhaarige, dem die Enge und der Gestank hier unten plötzlich erdrückend erschienen. Er hatte jedoch kaum einen halben Schritt in die entsprechende Richtung gemacht, da blieb er erneut stehen. Starrte zunächst auf die Gliedmaßen der Strohpuppe, die nicht weit von ihm entfernt hervor lugten und wandte sich dann Ceallagh zu.
„Diese blöde Puppe... Wir müssen das Ding über Bord werfen... Aber ich will nicht, dass Vater uns sieht.“ Er nagte auf seiner Unterlippe, sah zögerlich zur Treppe hinüber. „Oder irgendjemand...“
Lucien wandte sich herum. Mit einem Gesichtsausdruck, der nur schwach erahnen ließ, dass die Furcht vor einer erneuten Übermacht der anderen Schiffsjungen abermals drauf und dran war seine Beine hinauf zu klettern. Ceallagh unterdes zerschlug dieses wackelige Konstrukt unbewusst im Keim, als er sich selbst wieder fing und tief einatmend eine Frage in den Raum stellte, die der Jüngere ohne zu zögern mit einem Kopfnicken begrüßte. Doch sein Weg führte ihn nur einen Schritt weit voraus aus der Hölle, zu der dieser stickige Raum mit jeder verstreichenden Minute wurde. Die grünen Augen auf die Überreste dessen gerichtet, das seine geliebte Schwester symbolisierte und dem mittleren Hayes erneut ein angewidertes Kräuseln über die Nasenflügel legte. Er konnte sich kaum vorstellen wie unangenehm es für Lucien sein musste, wenn er, dem dieser ganze Hass und Hohn nicht einmal galt, schon derart aus der Haut fuhr. Mit einem kurzen Seitenblick wandte sich der blonde Haarschopf herum und fixierte den Dunkelhaarigen neben sich mit ernster Miene. Beobachtete einige Herzschläge lang die schwelende Unsicherheit auf den kindlichen Zügen, ehe er sein Messer vom Gürtel löste und voraus trat.
“Mach die Augen zu.“
Der harsche Tonfall seiner Stimme prallte an den geteerten Wänden des Schiffes wieder und wirkte verglichen zu dem sanften Bariton zuvor wie ein schmerzhafter Kugelhagel. Doch er war notwendig. Sollte dem Jungen deutlich vor Augen führen, dass das, was der junge Hayes nun tat, nicht für seine Augen bestimmt war. Nur einen Moment warteten die grünblauen Iriden darauf, dass Lucien die Lider hinab senkte. Setzte dann weitere Schritte in Richtung der Puppe voraus und begann Stück um Stück die Seile und Drahtfragmete zu durchtrennen. Streifte den hellen weißen Stoff vom Strohleib und zerschlug mit kräftigen Schlägen den Rest der Arme und Beine an einem der Pfosten. Strohhalme rieselten durch die Luft und legten sich wie ein Teppich des Schweigens auf den Boden. Verkeilten sich in der blonden Mähne, die sich erst zu Dravean zurück wandte, als das Messer verstaut und das helle weiße Kleid zusammengelegt in seiner Linken lag.
“Meinst du, du kannst das irgendwo verstecken? Oder soll ich es für dich bis zum Ende der Fahrt aufbewahren?“
Die Bewegung neben ihm lenkte Luciens Blick wieder zu Ceallagh, dessen Finger sich bereits um ein schlichtes Messer schlossen. Doch auf den kindlichen Zügen spiegelte sich zunächst unsichere Verwirrung. Warum griff er nach der Klinge? Warum fuhr er ihn nun, nachdem er zunächst geradezu sanfte, tröstende Worte gefunden hatte, plötzlich an? Instinktiv wich der Dunkelhaarige einen halben Schritt zurück, kam der harschen Aufforderung bis dahin nicht nach. Bis die Erkenntnis schließlich durch seine Gedanken sickerte und seine Augen sich weiteten. Im nächsten Moment schloss er die Lider und hob die zu Fäusten geballten Hände, um sie dagegen zu drücken und das schummrige Licht des Frachtraums ganz und gar auszusperren.
Gegen die Geräusche, die daraufhin folgten, kam er jedoch nicht an und seine Phantasie übernahm den Rest für ihn. Er sah den Älteren vor sich, wie er die Puppe aufhob, mit einem hörbaren riiiitsch die Schnüre durchtrennte und versuchte, sich nicht vorzustellen, dass es seine kleine Schwester war. Es ist nur die Puppe. Nur diese olle Puppe. Trotzdem hatte Ceallagh mit seiner Vermutung vollkommen Recht: Der Zwölfjährige wollte gar nicht sehen, was vor sich ging. Er wollte nicht irgendwann einschlafen und davon träumen, wie jemand seiner Schwester die Gliedmaßen abtrennte. Er wollte es nicht sehen!
Schließlich durchschnitt die Stimme des Anderen erneut die einkehrende Stille, ließ Lucien unwillkürlich zusammenzucken und eine Hand vom Gesicht nehmen, um den Blick des andern zu finden. Und kurz danach den Boden zu mustern, auf den nun lediglich eine frische Schicht Stroh lag. Ein letztes Überbleibsel. Das und Talins Kleid in Ceallaghs Händen.
Der Junge überlegte einen Moment, schüttelte schließlich leicht den Kopf und ließ matt die Arme sinken.
"Sie würde nur wissen wollen, wo ich es gefunden habe. Aber ich glaube, es gibt Dinge, die Talin nicht wissen muss...“ Er hob den Blick von dem Stoff, begegnete dem des Blonden und bat stumm um dessen Verständnis. „Sie würde sich bloß in Schwierigkeiten bringen, wenn sie es wüsste.“
Er drückte sich die Fäuste aufs Gesicht. Nachdem er etliche Sekunden damit zugebracht hatte, seiner Anweisung Folge zu leisten. Ceallagh seufzte innerlich und wandte dem Dunkelhaarigen den Rücken zu. Es war ihm gleich, ob er seine Beweggründe verstand oder nicht. Denn er tat es nicht, um dem Jungen zu gefallen und sich sein Vertrauen zu erschleichen. Er tat es, weil er sich jäh wie ein Spiegelbild des Jüngeren fühlte. Jeder Herzschlag presste sich schmerzhaft gegen seine Rippen, während die scharfe Klinge seines Messers die Seile und Drähte durchtrennte. Selbst dann noch, als er sich herum wandte und das helle Kleid in der Linken drapierte.
Für einen Moment wurde sein Mund trocken. Sein Körper ähnlich schwer wie die Arme des Jungen, dessen ganze Erscheinung schlagartig abgekämpft wirkte. Ein tiefer Atemzug durchfuhr Ceallaghs Brust. Dann legte er das Kleid in weiteren Handgriffen zu einem schmalen Stoffstreifen zusammen und stopfte es sich im Rücken in den Hosenbund.
“Sie ist wohl ein Hitzkopf wie?“
Unweigerlich huschte ein mattes Lächeln über seine Lippen und verlieh seinen Worten eben jenen amüsierten Unterton, der sich bis zu seinen blaugrünen Augen erstreckte. Diesen Wesenszug kannte er nur zu gut von sich selbst.
“Aber mach dir keine Sorgen… das hier bleibt unser Geheimnis.“
Er schenkte Lucien ein knappes Zwinkern und wandte sich herum. Richtete das aufmerksame Augenpaar auf den feinen Film aus frischem Stroh, ehe er den Kopf kreisen ließ und sich mit der Linken den Nacken massierte.
“Was für eine Scheiße… diese Bengel machen echt nichts als Ärger.“, murrte der dunkle Barriton leise und schnaubte.
“Wie sieht’s aus? Kommst du mit ans Deck?“
Ruckartig wandten sich die blaugrünen Iriden über die breite Schulter herum und fixierten den dunklen Haarschopf.
Lucien konnte sich ein flüchtiges Schmunzeln nicht verkneifen und nickte.
„Ja. Kann man so sagen. Sie lässt sich von niemandem irgendetwas bieten.“
Er sagte es zwar nicht direkt, doch der Klang seiner Stimme verriet einerseits verborgene Bewunderung, andererseits zynische Ernüchterung. Sie war noch so jung. So viel jünger als er selbst. Und doch so viel stärker als er.
Andererseits hatte er noch nie den Sinn darin gesehen, Widerstand zu leisten. Jedenfalls nicht gegen die Hänseleien der anderen Kinder. Oder gegen den Willen ihrer Eltern. Er tat zwar selten das, was sie wollten – aber in der Regel nur deshalb, weil er und Talin sich von ihrer blühenden Phantasie viel zu schnell ablenken ließen. Nicht aus impulsivem Trotz, wie ihn seine kleine Schwester in hohem Maße in sich trug. Trotz gegen die, die sie einengten und gegen die Welt als solche, die ihr im Weg stand.
Wieder huschte ein Lächeln auf seine Lippen und er erwiderte das verschwörerische Zwinkern des Älteren mit einem Nicken – nur um einen Herzschlag später fast gleichgültig mit den Schultern zu zucken.
„Sie sind alle so.“, gab er gedämpft zurück, ohne genauer auszuführen, wer 'alle' eigentlich waren. Er schloss sich lediglich dem Älteren an, blickte auf dessen Frage zu ihm auf.
„Nur weg hier.“, stimmte er zu, zögerte allerdings kurz, bevor er den Weg zur Treppe aufnahm. „Hast du denn keine Schicht jetzt?“
Es musste hart seine für ein Mädchen unter einem Vater wie Kalem zu leben. Wenn er zu seiner Jüngsten genauso war, wie zu seinem Sohn, verwunderte Ceallagh diese sture Haltung kaum. Entweder hätte es sie zu einem weinerlichen Duckmäuser gemacht oder zu eben jenem Dickkopf, den Lucien mit einem schmalen Schmunzeln präsentierte. Es war fast schon zu schade, dass er nie in den leibhaftigen Genuss ihrer Person käme. Irgendwie hätte er schon gern mit angesehen, wie ein kleines Mädchen diesen Vollidioten die Hölle heiß machte.
“Hatte ich schon.“, entgegnete er dem Dunkelhaarigen, nachdem er sich zum Gehen abwandte und bereits die ersten Treppenstufen erklomm.
“Aber bei deinem Herren weiß man ja nie.“
Nun war er es, der mit einem amüsierten und sarkastischen Lächeln aufwartete. Die letzten Stufen der Treppe hinter sich ließ und in Richtung Küche schlenderte, um einen Krug Wasser mit an Deck zu nehmen. Immerhin war das der fingierte Grunde für seinen Weg in den Bauch des Schiffes gewesen.
Lucien hielt sich dicht an dem Blonden, als dieser die Treppe zum nächsten Deck hinauf steig. Nicht, weil er sich fürchtete, aus den Schatten heraus plötzlich angegriffen zu werden. Sondern hauptsächlich, weil er den Blickkontakt zu ihm nicht verlieren wollte. Den 'Überfall' der anderen Jungs hatte er natürlich nicht einfach so vergessen. Er hielt sich wie ein lebendiger Schatten im Unterbewusstsein des Zwölfjährigen. Aber seine Neugier griff mit gewohnter Kraft nach ihm und zog ihn in dem Bestreben, mehr über den Älteren zu erfahren, beständig hinter ihm her. Die Frage, warum der eigentlich Fremde für ihn eingetreten war, beschäftigte ihn nun stärker noch als zuvor. Denn er hatte längst mehr für Lucien getan, als je jemand sonst.
„Eigentlich sollten wir schlafen, solange wir noch können.“
Ein halb spöttisches Schnauben begleitete seine Worte und sein Blick huschte kurz zur nächsten Treppe weiter, die schließlich ganz hinauf führte. Dorthin, wo sein Vater mit strenger Hand das Schiff und seine Mannschaft lenkte. Zunächst passierten sie den Aufgang jedoch, steuerten die Kombüse an und Lucien beschleunigte seine Schritte, um wieder zu Ceallagh aufzuschließen.
„Darf ich dich etwas fragen?“.
Er fragte zwar um Erlaubnis, wartete allerdings nicht auf die Antwort, sondern redete einfach weiter.
„Warum... also.. warum lassen die Leute dich jetzt in Ruhe? Du hast vorhin gesagt, früher wurdest du auch so geärgert und jetzt nicht mehr. Wie hast du das geschafft?“
Luciens Schnauben hinterließ ein mattes Lächeln auf Ceallaghs Zügen. Der Kleine klang ja fast schon zynisch. Ob sie ihn wohl des Öfteren aus der Hängematte zerrten, wenn ihnen danach war? Es hätte den Blonden kaum verwundert, wenn er ehrlich war. Und je länger ihm der leise Schatten folgte, desto mehr beschlich ihn eine Vorahnung dessen, was der Knirps die letzten Jahre hatte erdulden müssen. Was das wohl aus einem ruhigen Burschen wie ihm machte?
Leise plätscherte das Wasser zurück in das Fass, aus dem sich der Hüne einen Becher schöpfte. Vermischte sich mit der leisen Frage, die Ceallagh den blonden, wilden Haarschopf zurück drehen ließ um Luciens Miene in Augenschein zu nehmen. Offensichtlich hatte er sich doch nicht in dem Jungen getäuscht, dessen Frage ihn gleichsam überraschte wie beruhigte. Er hatte damit gerechnet, um ehrlich zu sein. Zwar wirkte der junge Dravean nicht so störrisch wie er selbst und seine Schwester Talin, doch hatte er wohl kaum das Bedürfnis, sich diese Schikanen auf ewig über sich ergehen zu lassen.
“Weil sie Angst vor mir haben.“, erwiderte der Hayes dumpf. Wandte sich langsam herum, ohne den Blick von seinem Gegenüber zu nehmen. “Oder zumindest genau wissen, dass sie sich damit keinen Gefallen tun, sich mit mir anzulegen.“ Und das konnte sowohl aus Angst, als auch dem nötigen Respekt geschehen. Aber ob Lucien sich gegen eine solche Überzahl behaupten konnte? Nun. Es gäbe Mittel und Wege. “Wieso interessiert dich das?“ Entspannt ließ sich der hochgewachsene Körper gegen die Anrichte gleiten und den Wasserbecher abwartend an die Lippen legen.
„Aber wie?“
Die Frage war heraus, bevor Ceallagh überhaupt zu Ende gesprochen hatte und Lucien biss sich unwillkürlich auf die Lippen, um seinen hilflosen Übermut zu zügeln und ihn wenigstens ausreden zu lassen. Er stieß die Luft mit einem Geräusch aus, dem man den kindlichen Frust über seine Ahnungslosigkeit durchaus anhörte. Frust darüber, dass er nicht wusste, was er tun wollte und genauso darüber, dass er auf die Frage des Älteren im ersten Moment keine richtige Antwort wusste.
Die grünen Augen senkten sich auf das Fass mit Wasser, aus dem der Blonde sich einen Krug geschöpft hatte, während er die Worte gedanklich wiederholte. Warum wollte er das wissen? Was sollte er mit diesem Wissen überhaupt anfangen? Diese Hänseleien, das Herumgeschubse, die Tyrannei ihrer Eltern, die Blicke der Erwachsenen... all das war für ihn so alltäglich, das er es über sich hatte ergehen lassen. Immer wieder. Verletzt davon, ja. Aber ohne es in Frage zu stellen. Deshalb war er auch nie auf den Gedanken gekommen, sich davon zu befreien. Wozu auch? Die Hauptsache war doch, dass sie Talin in Ruhe ließen! Aber...
„Ich... … Wie soll ich denn meine kleine Schwester beschützen können, wenn ich mich nicht einmal selbst dagegen verteidigen kann?“ Er hob den Blick, sah zu Ceallagh auf. Und das war er. Der Grund. „Ich will, dass sie sich nicht mehr trauen, gemein zu ihr zu sein, weil sie wissen, dass ich immer da bin. Sie sollen wissen, dass sie sich damit keinen Gefallen tun. Wie bei dir! Also wie hast du das geschafft?“
Er war ungeduldig. Das war kaum zu übersehen. Ceallagh musste tief Luft holen, um ihm nicht in einem Anflug von Frustration in die Parade zu fahren. Letztlich konnte er den Kleinen nur zu gut verstehen. Doch diese immer gleiche Frage nervte ihn gewaltig. Was sich dann jedoch vor seinen Augen abspielte war ungemein faszinierend. Denn der junge Dravean verstummte jäh und signalisierte ihm etwas, das den Hünen bis ins tiefste Mark befriedigte und in seiner Annahme bestätigte, dass er wohl den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Lucien schien sich wohl nie mit dem tiefschürfenden Grund beschäftigt zu haben, wieso und vor allen Dingen was er an seiner Situation verändern wollte. Ein mattes Schmunzeln zeichnete sich auf den Lippen des Blondschopfes ab, das sich nicht einmal von den darauffolgenden Worten des Jüngeren vertreiben ließ. Und das kleine Funkeln, das für einen Sekundenbruchteil in den grünen Augen des Jungen aufblitzte, ließ das Herz des sonst so gleichgültigen Hayes höher schlagen. Er sah es. Den lodernden Wunsch sich aufzubäumen. Stärker zu werden. Alles hinter sich zu lassen, was einem das Leben als Steine in den Weg legt. Geräuschvoll sauste der Becher auf die hölzerne Oberfläche der Anrichte. Ebenso taten es die riesigen Hände des Hayes, dessen lange Finger sich fest um die schmalen Schultern des Jüngeren fixierten. Nur eine Haaresbreite hielt die drei-Tage-Bart Miene Ceallaghs vor Luciens Gesicht inne. Und schnaubte.
“Wovon hälst du dich lieber fern? Einem Bären, der brüllend direkt auf dich zuläuft, wenn du ihn nur ansiehst oder einem Rehkitz, das scheu in den Wald davon hüpft, sobald es DICH sieht?“
Und es war wohl klar, wer hier welche Rolle spielte. Für einen Moment wurde sein Griff um Luciens Schultern fester. Dann ließ er schlagartig von ihm ab und sank entspannt mit der Hüfte gegen die Anrichte.
“Und so tyrannisch dein alter Herr auch sein kann… hast du ihn jemals kleinlaut davon laufen sehen? Ich jedenfalls nicht. Und wir wissen beide, dass sich nicht mal die Hosenscheißer von vorhin trauen, Widerworte gegen ihn zu richten.“
Aus guten Gründen, die Lucien wohl von allen auf diesem Schiff am besten kannte. Zumindest vermutete Ceallagh das.
Wie immer ahnte der Zwölfjährige nicht im Geringsten, wie nervig er mit seiner ewigen Fragerei sein konnte. Den immer gleichen Fragen, die erst verstummten, wenn er eine akzeptable Antwort gefunden hatte. Er ahnte jedoch auch nicht, was der aufkeimende Trotz gegen seine Situation sonst noch in Ceallagh bewirkte. Zu gebannt war Lucien von seinem eigenen Übermut, zu fixiert auf den klaren Wunsch, der sich langsam aus seinem Herzen schälte und weit mächtiger war, als alles, was er sich je für sich selbst hätte wünschen können. Er musste stärker werden – um Talin zu beschützen. Ganz einfach.
Doch dann krachte der Krug auf die Anrichte, der laute Rumps ließ den Jungen zusammenfahren, den Blick heben und die tiefgrünen Augen weiteten sich vor Entsetzen, als Ceallagh die Hände auf seine Schultern donnern ließ und damit verhinderte, dass er vor ihm zurück weichen konnte. Ihm wich das Blut aus dem Gesicht, sein Herz schlug plötzlich doppelt so schnell und er war so verschreckt, dass er kein Wort heraus brachte – geschweige denn gänzlich aufnehmen konnte, was der Ältere ihm da sagte. Zu sehr fühlte nun er sich wie das Reh vor dem Bären – nur, dass er nicht davon hüpfen konnte.
Bis Ceallagh ihn wieder los ließ und Lucien vor Erleichterung beinahe die Knie einknickten. Er schnappte nach Luft, die ihm, ohne dass er es bemerkt hatte, gänzlich weggeblieben war und hob unsicher den Blick zu den Augen des Hayes. Der stand nun so gelassen an die Anrichte gelehnt, als wäre nie etwas passiert.
„Ich... ich denke nicht.“, stammelte er schließlich und versuchte, sich seinen Vater in irgendeiner Situation kleinlaut vorzustellen. Nein. Unmöglich. Genauso wie die Vorstellung, jemand könne ihm auf der Nase herum tanzen.
„Aber...“ Lucien sah wieder auf, halb fragend, halb trotzig. „Ich will auch nicht so werden, wie er.“
Dieser kleine Knilch musste noch so einiges über sich ergehen lassen, wie Ceallagh schien. Ganz zu schweigen davon, dass er mehr Selbstbewusstsein brauchte, um sich von nichts und niemandem mehr derart einschüchtern zu lassen. Da formte einen das Leben weitaus effektiver als er es je könnte.
“Und wer hat behauptet, dass du das musst?“
In gewisser Weise er selbst. Doch das war wohl kaum, worauf er hinaus wollte. Nur weil man hart durchgriff, musste man nicht zu einem Tyrannen mutieren. Es gab andere Mittel und Wege, um die Crew auf Spur zu halten und trotzdem konsequent durchzugreifen, wenn es Not tat.
Mit einem Seufzen verschränkte Ceallagh die Arme vor der Brust und ließ den Blick aus blaugrünen Augen durch den Raum gleiten. Vielleicht funktionierte diese Unterhaltung ja besser, wenn er den Knirps nicht die ganze Zeit so finster nieder starrte.
“Was hast du vorhin gefühlt als sie… mit dieser Puppe auf dich los sind?“
Lucien verkniff sich ein vorlautes „na du.“ So gänzlich war sich der Dunkelhaarige nämlich nicht sicher, wie er Ceallagh einschätzen sollte. Er schüchterte ihn ein – wenn auch auf ganz andere Art und Weise, als sein Vater, den er dafür alles andere als bewunderte. Kalem war grobschlächtig, gewalttätig und rau. Ceallagh dagegen einfach... respekteinflößend. Aber er wusste auch nicht, wie er auf einen vorlauten 12-Jährigen reagierte und irgendwo in seinem Unterbewusstsein, weit von wirklicher Greifbarkeit entfernt, schien Lucien auch zu verstehen, worauf er hinaus wollte. Und wenn er es jetzt noch nicht verstand, dann vielleicht in ein, zwei Monden, wenn er Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken.
In diesem Moment jedenfalls senkte er grüblerisch den Blick auf die Planken zu seinen Füßen, runzelte die Stirn und sah erst wieder auf, als Ceallagh sich mit einer weiteren Frage an ihn wandte. Nicht einmal einen halben Herzschlag später, stolpernd und prompt verkrampfend, schoss ihm tiefste Röte ins Gesicht und er sah rasch zur Seite.
„Ich wollte einfach abwarten, bis sie mich wieder in Ruhe lassen. Irgendwann hören sie immer einfach auf, wenn sie keine Lust mehr haben. Aber als sie diese Puppe raus geholt haben…“
Er blinzelte gegen das Brennen in seinen Augen und versuchte, nicht auf sein schneller schlagendes Herz zu achten, das vielleicht vor Wut, vielleicht vor Panik gegen seinen Brustkorb trommelte.
„Ich habe mich geschämt... Dass sie so etwas über mich sagen.“, brachte er schließlich mühsam hervor.
Er dachte nach. So angestrengt, dass Ceallagh fast ein mitfühlendes Schmunzeln entglitten wäre. Wie alt er wohl war? Zwölf oder Dreizehn? So genau konnte es der Blonde im spärlichen Licht kaum sagen, ganz geschweige davon, dass es wirklich etwas zur Sache tat. Ganz gleich wie viel oder wenig Zeit ihm noch blieb, bis er die ersten Ufer des Erwachsenwerdens erreichte, musste ihm klar werden, dass dieser Weg ihn nur noch tiefer in die Rolle eines Opferlammes treiben würde. Darauf warten, dass sie die Lust daran verloren, ihn zu demütigen. Ceallagh schnaubte und schüttelte nur den Kopf. Das klang so unfassbar armselig, dass es wohl kaum seiner hinauf schnippenden Brauen und eines tiefen Atemzuges bedurfte, um Lucien das deutlich zu machen. Ehrlich gesagt war er sich gerade nicht sicher, ob der Kleine wirklich das Zeug dazu hatte, sich zu behaupten. Wenn selbst die eigene Schwester mutiger war… das konnte ja noch was werden.
“Du solltest dich nicht schämen. Du solltest wütend darüber sein." Seine Stimme durchbrach die kurze Stille im Raum wie ein Hammerschlag, wenngleich er leise und bedacht gedämpft zu dem Jüngeren sprach. “Sie haben weder ein Recht so über deine Schwester, noch über dich zu sprechen. Und wenn du einfach davonläufst, gibst du ihnen nur noch mehr Gründe zu glauben, dass sie Recht haben.“
Wenn Kalem von dieser Geschichte hörte – nicht von der körperlichen Auseinandersetzung, die wäre ihm wohl scheiß egal – würde er wohl kaum so weinerlich den Rückzug antreten. Ceallagh selbst hatte sich schon mehr als einmal in dieser Situation befunden, weil Menschen nicht verstanden, dass es Bindungen zwischen Bruder und Schwester gab, die innig, aber platonisch waren. Weil es Mädchen gab, die zu schwach und zu weich waren, um sich selbst zu schützen. Die einen großen Bruder brauchten und sich nicht dagegen sträubten, wenn er sich schützend vor sie stellte.
“Was hätte wohl deine Schwester an deiner Stelle getan?“
Nur langsam kehrten die grünblauen Augen wieder zurück auf den braunen Haarschopf neben sich.
Lucien zuckte unter Ceallaghs Worten zusammen, obwohl der Ältere weder besonders laut, noch besonders verärgert geworden war. Vielleicht, weil der Junge schon den Bruchteil einer Sekunde vorher geahnt hatte, dass seine Antwort die falsche war. Dass Ceallagh sie nicht gutheißen, sie gar für schwächlich halten würde.
Er befürchtete eine Strafe, eine Kopfnuss mindestens, eine im Zorn erhobene Stimme wie er sie von seinem Vater kannte. Doch die eindringlich gedämpfte Tonlage erschreckte ihn fast noch ein bisschen mehr.
Er schwieg, starrte auf die verplankte Wand des Schiffes und runzelte die Stirn. Plötzlich regte sich dieser Ärger in ihm, den der Blonde die ganze Zeit sehen wollte. Aber nicht gegen die Jungen und ihre Hänseleien, nicht gegen seinen Vater oder gegen Ceallaghs treffsichere Wahrheiten. Er ärgerte sich über sich selbst, weil er in den Augen eines anderen nun so derart schwach wirkte. In den Augen aller. Hatte er sich nicht gerade noch geschworen, für Talin stärker werden zu müssen? Und nur zwei Sätze später zeigte sich erneut, dass er das genaue Gegenteil war?
„Sie hätte jedem in die Hand gebissen, der versuchen würde, sie zu packen und hätte Collin angesprungen, um ihm die Augen auszukratzen.“, erwiderte Lucien schließlich mit gepresster Stimme.
Trotzdem schwang eher ein enttäuschtes Seufzen als ein kämpferischer Unterton in seinen Worten mit. Enttäuscht von sich selbst.
Einen Augenblick später seufzte er tatsächlich, senkte kurz den Blick und sah dann doch wieder auf und Ceallagh unmittelbar ins Gesicht. Ein etwas ironisches Lächeln wagte sich in seine Mundwinkel.
„Aber so was machen nur Mädchen.“ Noch während er das sagte, nahm ein völlig verrückter Plan in seinem Kopf Gestalt an. „Ich... ich würde Collin gern die Nase brechen für das, was er heute... also für... Ich will, dass er dafür büßt. Und nicht erst darauf warten, dass sie mich wieder irgendwo allein erwischen. Hilfst du mir?“
Dieses Bild vor seinen Augen glich dem eines wildgewordenen Minitigers, der fauchend die Krallen ausfuhr und zum nächsten Sprung inmitten eines Pulks aufgeregt schnatternder Enten ansetzte. Unweigerlich schob sich ein amüsiertes Schmunzeln auf Ceallaghs Züge, das auch dann nicht verflog, als Lucien zu ihm aufsah und etwas sagte, für das er ihn liebend gern geohrfeigt hätte. Zumindest tat dieses spezielle Mädchen etwas, im Gegensatz zu ihm. Das gab ihm weder einen Grund noch die Erlaubnis derart zu lächeln, als wäre es keine respektable Art der Gegenwehr. Jeder kämpfte mit den eigenen Mitteln. Was für den einen wilde Fäuste oder Krallen waren, waren für einen anderen Streiche, ausgefuchste Pläne und ausgeklügelte Hinterhalte. Doch auch das was eine Lektion, die ihm das Leben noch früher oder später erteilen würde. Auf jene Weise, die ihm stärker im Gedächtnis blieb als alles, was er ihm sagen oder vorleben konnte.
Was Lucien dann jedoch aussprach, hinterließ ein kurzes Zucken in den feinen Zügen des jungen Hayes. Kehrte etwa zum Leben erwachte Rachsucht in den schmalen Körper, dessen Silhouette er unter einem prüfenden Blick in Augenschein nahm? Unfassbar wie schnell diese Situation kippte und aus dem weinerlichen, beschämten Kind der Quell eines Mannes zu tropfen begann. Die Arme in einer nachdenklichen Haltung vor der Brust verschränkt, runzelte Ceallagh die Stirn. Behielt es sich vor den Knirps für eine gefühlte Ewigkeit in seinem Eifer zappeln zu lassen, ehe er sich schmunzelnd von der Anrichte abstieß und amüsiert gluckste.
“Schieß los Kleiner. Was ist dein Plan?“
Das konnte noch lustig werden. Angesichts der Tatsache, dass er womöglich seinen Platz auf diesem Schiff und obendrein seinen Kopf riskierte. Wie gut, dass ihm ohnehin zumeist alles scheißegal schien. Und wenn ihn sein Onkel noch so oft verprügelte. Allein der Umstand seiner miesen Laune, die stetig kreisenden Gedanken um seine Person: all das brachte sein Herz zum Hüpfen. Senkte seinen Schopf in einer fließenden Bewegung hinab zu dem kleinen Kerl, der ihm so geschützt und im Geheimen seine Plan entgegen flüstern konnte.