27.09.2020, 19:45
Ein bisschen war es vermutlich auch sein Glück gewesen, dass niemand die Segel vor ihnen vor ihm entdeckt hatte – dem ein oder anderen Aufmerksamen unter ihnen wäre das nämlich mit Sicherheit möglich gewesen.
Im Gegensatz zum Großteil der restlichen Crew war ihm der zugewiesene Posten im Krähennest nämlich trotz – oder gerade wegen – des Nieselregens ganz recht gewesen. Er liebte derlei Wetter, bei dem sich das geschäftige Treiben meist in die Häuser - oder wie in ihrem Fall: unter Deck – verlagerte und man die Ruhe genießen konnte. Den Wind in den Segeln, die Wellen, die am Holz des Rumpfes brachen und das leise Geräusch des Regens. Und es wäre gelogen gewesen, hätte man behauptet, er wäre durchgehend aufmerksam seiner Aufgabe nachgegangen. Der Regenschleier hatte ohnehin nicht allzu viel Sicht zugelassen, dementsprechend umsichtig hatten sie das Tempo anpassen müssen. Erst jetzt, wo das diesige Grau ein wenig nachließ, war es überhaupt wieder möglich, irgendetwas in der Entfernung zu erkennen. Auch die fremden Segel waren ihm am Anfang mehr wie ein trügerischer Schatten vorgekommen, eine Illusion. Je näher sie allerdings gekommen waren, desto deutlicher hatten sich die Umrisse aus dem Grau herauskristallisiert.
„Schiff ahoy!“, rief er nach ungeachtet dessen nach unten, wer dort unten gerade zu Werke war. Und wenn es bloß Shanaya gewesen wäre. „Auf elf Uhr!“
Doch es war Lucien, der ihm antwortete und – wie es schien – seine Sorgen zu teilen schien. Zu seiner Erleichterung deutete die Flagge allerdings nicht auf die Marine hin. Händler. Der Lockenkopf versuchte, die ungute Vorahnung in seiner Magengegend zu unterdrücken, richtete sich nun gänzlich auf und begab sich ernsthaft auf den Beobachtungsposten, um den Zweimaster im Blick zu behalten. Unter ihm wies Lucien die Mannschaft zum Handeln an.
„Wir wurden ebenfalls entdeckt!“, verkündete er so laut wie möglich und beobachtete das Treiben mit unscharfem Blick durch das Fernrohr. „Setzen Segel, wollen vermutlich fliehen.“
Wer konnte es ihnen verübeln? Liam sicherlich nicht. Und trotzdem wusste er, dass nichts an dem vorbeiführen würde, was jetzt kam. Er hoffte bloß, dass es glimpflich ausging. Bei ihrem momentanen … Glück.